Machtspiele
Ganz eilig hatte es die US-Regierung, in den Besitz des irakischen Waffendossiers zu gelangen, was nicht nur Verstimmung, sondern auch Misstrauen weckt
Noch war der irakische Waffenbericht kaum bei der UN angekommen, demonstriert die US-Regierung bereits deutlich, wer letztendlich das Sagen hat. Von den beiden Ausfertigungen haben sich US-Regierungsangehörige in der Nacht vom Sonntag auf Montag im UN-Hauptquartier in New York eines besorgt und nach Washington gebracht, um es dann zunächst an die weiteren vier permanenten Mitglieder im Sicherheitsrat zu verteilen. Das Vorgehen stieß bei vielen Diplomaten auf Ablehnung und wird unter "Erpressung" abgehandelt.
Offenbar hat die US-Regierung das ganze Wochenende alle diplomatischen Mittel eingesetzt, um so schnell wie möglich an das irakische Waffendossier heranzukommen. Ausgemacht wurde erst am 6. Dezember im Sicherheitsrat, dass zunächst nur die Waffeninspekteure den Bericht einsehen sollten. Angeblich haben vor allem Außenminister Powell und der amerikanische UN-Botschafter Negroponte über das Wochenende 14 Mitglieder des Sicherheitsrats davon überzeugen zu können, dass die fünf permanenten Mitglieder über die USA zuerst einen vollständige Kopie erhalten sollen.
Nur Syrien soll sich gegen diesen Beschluss am Sonntag in der Nacht ausgesprochen haben. Inzwischen protestieren aber auch andere Länder, die wie Norwegen keinen permanenten Sitz im Sicherheitsrat haben, mit diesem Vorgehen zu Mitglieder der zweiten Klasse degradiert worden zu sein. Norwegens Außenminister forderte, dass alle Mitglieder des Sicherheitsrates den gleichen Zugang zu den Dokumenten haben müssten.
Eine besonders schöne Begründung, warum die USA als erstes in den Besitz des Dossiers kommen sollte, brachte der Sprecher des Außenministeriums am Montag vor:
QUESTION: Well, can you tell us whether a copy has reached Washington yet, or is it just --
MR. BOUCHER: As I mentioned, the documents in the declaration contain sensitive data. They need to be handled in a secure manner, in keeping with our overall nonproliferation concerns. So we have been asked to ensure that the document is copied in a controlled environment in order to guard against the inadvertent release of information. So yes, we have a copy that is being reproduced for other members of the Security Council.
QUESTION: In Washington or in New York?
MR. BOUCHER: I don't want to get into exactly where it might be. We have a copy that's being reproduced using the resources of the US Government because we are able to do this in the high volume necessary, with the technical expertise necessary, and to do it in a controlled environment. So we are making the copies for other members of the Council.
QUESTION: And during this copying process, is somebody simultaneously starting to look at it?
MR. BOUCHER: I don't know. I wouldn't necessarily know one way or the other. I can't say.
Warum es die USA so eilig hatten, an den Bericht zu gelangen (Weltpolitik als Farce), liegt auf der Hand, wenn man vom offenkundigen Kriegswillen der Regierung ausgeht. Je schneller ein Bruch der UN-Resolution durch falsche Angaben nachgewiesen werden kann, desto eher können die politischen und militärischen Vorbereitungen zum krieg einsetzen. Angeblich besitzt die US-Regierung Beweise dafür, dass der Irak Massenvernichtungswaffen besitzt oder entwickelt, doch bislang hat sie diese nicht vorgelegt, was natürlich den Verdacht nahe legt, dass diese Beweise nicht existieren.
Möglicherweise wollte die US-Regierung auch deswegen einen schnellen Einblick in die Dokumente, weil die USA selbst das Hussein-Regime Ende der 80er Jahre militärisch unterstützt und auch chemische und biologische Substanzen geliefert hatten, die zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen dienen können. Seiner Zeit stand der jetzige Verteidigungsminister Rumsfeld in Kontakt mit Hussein. In dieser Zeit, als der Irak ein Verbündeter der USA war, fand auch der Angriff mit Giftgas auf die Kurden statt, der nun regelmäßig von der US-Regierung erwähnt wird, um die Gefährlichkeit von Hussein zu beweisen (Der Irak, die USA und die Massenvernichtungswaffen). Es geht also möglicherweise nicht nur, wie vermutet wird, um mögliche Zuliefererfirmen des irakischen Waffenprogramms im Ausland. Offenbar hatte die US-Regierung zahlreiche Experten sofort an die Überprüfung der Dokumente im Hauptquartier des CIA angesetzt.
Wie in Medienberichten bekannt wurde, fand die Übergabe des Berichts an die USA eher wie eine Art Geheimdienstoperation statt. Am späten Sonntag kamen, nachdem kurz zuvor die beiden Dossiers in New York eingetroffen waren, Angehörige der US-Regierung in das UN-Hauptquartier und nahmen eine Kopie mit. Kurz zuvor hatten sich Hans Blix, Leiter der Waffeninspektion, und der derzeitige Vorsitzende des Sicherheitsrats, der Kolumbianer Valiviezo, getroffen. Angeblich habe der Sicherheitsrat Blix angewiesen, den permanenten Mitgliedern sofort Zugang zu dem Bericht zu gewähren, um bei der Analyse behilflich zu sein. Andere Berichte sprechen hingegen vom Druck auf den kolumbianischen Vorsitz (schließlich hängt die kolumbianische Regierung von der militärischen und finanziellen Hilfe der USA ab). Kurz vor Mitternacht hatte jedenfalls Valiviezo sein Okay gegeben, kurz darauf nahm die US-Delegation die Dokumente mit.
Den Widerstand von Frankreich, Russland und Großbritannien konnte man überwinden, indem auch diese eine Kopie erhalten sollten - allerdings eine, die von den USA hergestellt wurde. Ob diese in der kurzen Zeit manipuliert wurden, wie der Irak unterstellt, könnte eine heiße Frage werden, zumal Russland darauf beharrt, dass einzig die Waffeninspekteure dem Sicherheitsrat berichten sollen. Um den Ausschluss der anderen Mitglieder zu begründen, sollten nur die Länder eine Kopie erhalten, die über Wissen in Sachen Massenvernichtungswaffen verfügen. Zumindest ab 1. Januar könnten sich auch Deutschland und Pakistan darauf berufen.
"Für uns war es eine Überraschung, dass die Amerikaner kamen und die Papiere mitnahmen", soll ein UN-Mitarbeiter gesagt haben. "Wir hatten keine Idee, was da vor sich ging." Angeblich soll auch Blix über den Vorfall nicht "glücklich" gewesen sein. Britische Diplomaten meinten, dass das amerikanische Vorgehen "ein PR-Albtraum gewesen ist. Das war unglaublich schlecht gemacht."
Während sich UN-Generalsekretär Kofi Annan sich nur verdeckt kritisch gegenüber den USA äußern wollte, zunächst lediglich sagte, er hätte kein Problem damit, später aber die Hoffnung anmerkte, dass sich ein solcher Vorgang nicht wiederholen sollte, versicherte der Sprecher der amerikanischen UN-Vertretung Richard Grenell, dass alle Länder im Sicherheitsrat außer Syrien die US-Regierung in ihrem Anliegen unterstützt hätten. Ursprünglich war vorgesehen, dass die UN-Waffeninspekteure den Mitgliedern im Sicherheitsrat eine Version des Dossiers vorlegen sollten, aus der alle Hinweise darauf, wie sich Massenvernichtungswaffen herstellen lassen, herausgenommen wurden.