Ich will, wo Es ist

Seite 2: Massenpsychologie des Faschismus

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Genau diese massenpsychologische Konstellation thematisierte schon Wilhelm Reich in seiner berühmten, 1933 publizierten Schrift "Die Massenpsychologie des Faschismus". Reich arbeitete als erster Sozialwissenschaftler den Zusammenhang zwischen autoritärer Triebunterdrückung - insbesondere der Sexualunterdrückung - und der autoritären, irrationalen Charakterstruktur heraus, die anfällig sei für faschistische Tendenzen.

Somit ist es die zunehmende Triebunterdrückung durch die sich beständig verschärfenden "Sachzwänge" im krisengeplagten Spätkapitalismus, die den Faschismus auch auf dieser psychopathologischen Ebene - zusätzlich zu den sozioökonomischen Faktoren wie verschärfter Krisenkonkurrenz - immer wieder anfacht. Reich sah in seiner kurz nach der Machtübertagung an die Nazis publizierten Schrift gerade hierin einen zentralen Faktor: "Die Sexualhemmung verändert den wirtschaftlich unterdrückten Menschen strukturell derart, dass er gegen sein materielles Interesse handelt, fühlt und denkt."

Ein hinreichendes Verständnis der allgemeinen psychopathologischen Dynamik des Faschismus scheint aber nur bei einer Einordnung in das Instanzenmodell der Psychoanalyse möglich. Die Wechselwirkung zwischen den unbewussten Triebregungen und der autoritären Struktur des faschistischen Bewusstseins könnte so näher beleuchtet werden.

Die Psychoanalyse begreift den Menschen als ein weitgehend triebgesteuertes Wesen, dessen Innenleben durch drei Instanzen geprägt ist: Das Über-Ich bildet die Gesamtheit der leidvoll im Verlauf der Erziehung und Sozialisation aufgerichteten gesellschaftlichen Normen, Werte und Moralvorstellungen, die das Gewissen konstituieren.

Dem gegenüber steht das dem Lustprinzip folgende Es, das als die Summe der unbewussten Triebe, Bedürfnisse und Affekte seine unbewusste Wirkung entfaltet. Das Ich wiederum umfasst das Alltagsbewusstsein des Menschen, das das Denken, die Wahrnehmung und das Gedächtnis umfasst - und in dem zwischen den Triebregungen des Es und dem Lustprinzip, sowie dem Realitätsprinzip des Über-Ich samt den Ansprüchen der konkreten Vergesellschaftung vermittelt wird.

Das starre, "veräußerte" Über-Ich der ichschwachen Subjekthülsen, die sich in der konformistischen Revolte des Faschismus treiben lassen, ist durch Überanpassung an die widersprüchlichen Gebote und Verbote spätkapitalistischer Gesellschaften geprägt. Diese masochistische Unterwerfung unter das falsche Ganze der krisengeschüttelten Vergesellschaftung im Spätkapitalismus fordert aber ihren Tribut am Triebleben. Durch Triebverzicht, durch Entsagungen, baut sich in dem konformistischen Rebellen der Neuen Rechten psychischer Druck auf, der ein sadistisches Ventil finden muss.

Dies geht häufig einher mit einem Mangel an Sublimierung der rohen Triebe innerhalb der Neuen wie Alten Rechten. Hierunter verstand Freud die Ablenkung, gewissermaßen "Veredelung" der Triebenergien des Es, die von einem starken Ich in schöpferische Tätigkeiten, in Schaffenskraft umgewandelt würden. Laut Freud basierten die künstlerische Tätigkeit, die geistigen Leistungen der Menschheit, mitunter der Zivilisationsprozess als solcher auf der Sublimierung ihrer Triebe.

Die Unfähigkeit oder Unmöglichkeit zum Sublimieren innerhalb der Neuen Rechten muss nicht nur auf entsprechende innere Dispositionen zurückzuführen sein, die dies verunmöglichen - auch die äußeren Umstände, gerade in Krisenphasen, können Strategien der Sublimierung erschweren oder verunmöglichen.

Sado-Masochismus und Ich-Schwäche

Ohne Möglichkeit oder Fähigkeit zur Sublimierung driftet folglich das stark unterdrückte Triebleben - in Wechselwirkung mit einem nur oberflächlich verinnerlichten Über-Ich - ins Sadistische ab. Der aus Triebverzicht resultierende Hass sucht sich Sündenböcke unter Zuhilfenahme von Projektionen. Gerade in den vielfachen Projektionsleistungen der Neuen Rechten findet eine unbewusste Wiederkehr des Verdrängten und eines sadistisch deformierten Trieblebens statt.

Schon die berühmten Studien zum autoritären Charakter, an denen unter anderen Adorno mitarbeitete, stellten fest, dass der autoritäre Charakter dazu tendiere, "seine unterdrückten Impulse auf andere Menschen zu projizieren", die dann umgehend angeklagt, beschuldigt würden. Die Projektion sei demnach ein Mittel, "Es-Triebe ich-fremd zu halten", sie deute auf die "Unzulänglichkeit des Ichs … seine Funktionen zu erfüllen".

Es ließe sich überdies fragen, ob diese irrationale Dynamik der Neuen Rechten nicht eigentlich Charakteristika einer Neurose aufweist, einer mit Paranoia und hysterischen Anfällen angereicherten Massenneurose. Das schwache, unter dem Konformitätsdruck des Über-Ich zur bewussten Unterwerfung angehaltene Ich der Neuen Rechten treibt unbewusst dorthin, wo das deformierte Es in seinen sadistisch-barbarischen Fantasien sich bereits befindet.

Das Ich des Faschismus will letztendlich dorthin, wo sein pervertiertes Es bereits ist. Dieser irrationale Mechanismus, bei dem die masochistisch unterdrückte Triebenergie nach sadistischer Metamorphose zum Treibstoff der "Bewegung" mutiert, bildet das irrationale Fundament der drohenden Barbarei, die die Neue Rechte - gleich ihrem historischen Vorbild - anstrebt.

Die Xenophobie der Neuen Rechten gleicht der Zwangsneurose, die von Sigmund Freud auf angestaute Triebenergie, eine "im Verborgenen ungedämpfte Lust" zurückgeführt wird. Der Zwangsneurotiker leidet unter unbewusstem Triebverzicht, der die Ausbildung von Zwangshandlungen zur Folge habe. Freud spricht in seiner Schrift "Totem und Tabu" in Hinblick auf neurotische Zwangsvorstellungen davon, dass diese durch absurd erscheinende Verbote einen Trieb an der Entfaltung hindern und hierdurch den Kranken die betreffenden Objekte "unmöglich" machten: "Die Zwangskranken benehmen sich so, als wären die 'unmöglichen' Personen und Dinge Träger einer gefährlichen Ansteckung, die bereit ist, sich auf alles Benachbarte durch Kontakt zu übertragen." Die Parallelen zum neurechten Hass auf "Ausländer", die den deutschen "Volkskörper" kontaminieren, scheinen evident.

Entscheidend bei dieser neurotischen Dynamik sei die "großartige Verschiebbarkeit" der unterdrückten Trieblust, so Freud in "Totem und Tabu". Das neurotische Verbot oder Gebot verdanke seinen Zwangscharakter gerade seinem "unbewussten Gegenpart", der im Verborgenen ungedämpften Lust, einer "inneren Notwendigkeit", in welche die "bewusste Einsicht fehlt". Hierbei handele es sich nicht um einen Zustand, sondern um eine Dynamik, da die Trieblust sich beständig verschiebe, nach "Surrogaten für das Verbotene", nach Ersatzobjekten und Ersatzhandlungen suche, um der Absperrung zu entgehen.

Folglich verschieben sich auch die "Abwehrmaßnahmen" der Neurotiker entsprechend, um den Trieb an der Entfaltung zu hindern. Aus diesem neurotischen Konflikt entstehe ein Bedürfnis nach "Abfuhr", um die bestehende innere Spannung zu verringern. Schließlich würden diese Zwangshandlungen sich immer mehr dem annähern, was sie abzuwehren versuchen, so Freud: "Es ist ein Gesetz der neurotischen Erkrankung, dass diese Zwangshandlungen immer mehr in den Dienst des Triebes treten und immer näher an die ursprünglich verbotene Handlung herankommen."

Die Wechselwirkung von Projektion und neurotischer Zwangshandlung müsste somit zur Folge haben, dass die Neue Rechte sich in ihrer unreflektierten Praxis genau den Handlungen annähert, die sie in hysterischer Hetze ausschlachtet und für und Propaganda und Hasswellen instrumentalisiert. Dies gilt es zuerst beim Themenkomplex Sexualität zu beleuchten - insbesondere in Hinblick auf die sexuelle Gewalt gegen Frauen.

Rechte Triebtäter

Nichts scheint die Neue Rechte in bessere Stimmung zu versetzen, als wenn es tatsächlich zur sexuellen Gewalt von Migranten oder Flüchtlingen gegen Frauen kommt. Die Rechte würde die Gruppenvergewaltigung einer Freiburgerin im vergangenen Oktober feiern, wurde etwa beobachtet

Mehrere Demonstrationen wurden in Freiburg von der AfD durchgeführt, um die brutale Vergewaltigung politisch auszuschlachten. Frauen, die sexuelle Übergriffe durch Migranten vereiteln, werden von den rechten Rattenfängern mitunter gegen ihren Willen instrumentalisiert.

Die zur rassistischen Hetze transformierte Empörung über sexuelle Gewalt von "Ausländern" an deutschen Frauen, die in der Neuen Rechten in den hysterischen Vorwurf des sexuellen Genozids gesteigert wird, schlägt in diesem Milieu aber sehr schnell in ihr Gegenteil um, sobald die Feindbilder wechseln: Dann wandelt sich die scheinbare Empörung über sexuelle Gewalt zur sadistischen Vergewaltigungsphantasie, die der neurechte Mann allen Frauen androht, die nicht bereit sind, den faschistischen Ausländer- und Rassenhass der Neuen Rechten zu teilen. Frauen, die Flüchtlinge unterstützten, wird dann von rechten Trolls im Netz schon mal gewünscht, sie sollten "zu Tode vergewaltigt" werden.

Mit massenhaften Vergewaltigungsdrohungen müssen vor allem Politikerinnen leben, die sich öffentlich für Flüchtlinge einsetzen. Eine Politikerin der Grünen ist mit Vergewaltigungsphantasien rechter Trolle überschwemmt worden, nachdem sie im vergangenen August vorschlug, künftig Klimaflüchtlinge auszunehmen.

Ähnlich erging es Hamburger Bürgschaftsabgeordneten und Politikerinnen der Partei Die Linke, die sich mit detaillierten "Beschreibungen der geplanten Ermordung", oftmals "kombiniert mit sexualisierten Inhalten", mit Vergewaltigungsdrohungen und Folterfantasien rechter Sadisten konfrontiert sehen. Ein simples "Nazis Raus" einer ZDF-Jounralistin, gepostet auf dem Kurznachrichtendienst Twitter, reichte aus, eine Welle von Mord- und Vergewaltigungsdrohungen auszulösen.

Die Zwangsneurose der Neuen Rechten ist hier mit Händen zu greifen: In Reaktion auf sexuelle Übergriffe von Migranten auf Frauen, wird jenen Frauen sexuelle, sadistische Gewalt angedroht, die sich weiterhin für Flüchtlinge einsetzen. Im Unbewussten wirkender, sadistischer Neid ist es, der diese irrationale Dynamik der Neuen Rechten anzutreiben scheint.

Es bleibt nicht nur bei Drohungen: Die sexuelle Gewalt gegen Frauen, die durch rechte Triebtäter begangen wird, wird aber kaum thematisiert. Etwa der Fall eines 21-Jährigen Nazischlägers, der ein 14-jähriges Mädchen vergewaltigte. Eine Lokalzeitung berichtete über den Vorfall im November 2018.

Ermittlungen wegen Vergewaltigung wurden auch gegen einen AfD-Politiker geführt. Mitglieder der "Nationalen Sozialisten Rhein-Mein" stehen hingegen inzwischen wegen einer Vergewaltigungsserie vor Gericht - ohne dass dies zu breiter Empörung innerhalb der Neuen Rechten führte.

Deutsche Frauen werden in diesem neurechten Milieu offensichtlich immer noch (oder schon wieder?) als "Besitz" begriffen. Nicht nur als ein Objekt, über das der deutsche Mann zu verfügen hat, sondern auch als Teil der deutschen Volksgemeinschaft, die offenbar immer noch rassisch definiert wird. Deswegen triggern vor allem Frauen, die sich für Flüchtlinge engagieren oder bloß aussprechen, die beschriebenen sadistischen Vergewaltigungsphantasien, da hier schon wieder in der Neuen Rechten das altrechte Motiv der "Rassenschande" mitzuschwingen scheint. Missbrauch von Frauen durch deutsche Männer wird hingegen kaum wahrgenommen, eventuell sogar geduldet ("stell dich nicht so an").

Dieses archaische Frauenbild insbesondere in den ostdeutschen Stammländern der Neuen Rechten, das sich auch in entsprechenden sexistischen öffentlichen Äußerungen manifestiert, scheint mit einem simplen empirischen Befund in Zusammenhang zu stehen. In den ostdeutschen "failed States" herrscht extremer "Frauenmangel", wie die New York Times in einem Hintergrundbericht ausführte.

Demnach handelte es sich bei zwei Dritteln der ehemaligen DDR-Bürgerinnen, die Ostdeutschland nach dem Mauerfall verließen, um junge, gut ausgebildete Frauen. Es sei ein "extremer Fall von Frauenflucht" gewesen. Deswegen herrsche nun in eben den ostdeutschen Regionen, in denen die AfD ihre größten Wahlerfolge erziele, ein global kaum erreichtes Ungleichgewicht "zwischen Männern und Frauen".

Nur die Arktis und einige "Inseln vor der Küste der Türkei" würden einen ähnlichen Männerüberschuss ausweisen. Arktis oder Sachsen? Frauen, die vor solch eine schwere Wahl gestellt würden, müssten somit lange überlegen, wo das kleinere Übel liege.

Eine ähnliche neurotische Dynamik zwischen zwanghafter öffentlicher Anprangerung und klammheimlicher sadistischer Sehnsucht nach Triebbefriedigung herrscht auch beim Kindesmissbrauch vor. In keiner anderen politischen Strömung scheinen pädophile Tendenzen so weit verbreitet wie in der Neuen Rechten, die ja immer wieder die Todesstrafe oder zumindest "Keine Gnade für Kinderschänder" fordert.

Dies gilt vor allem für den Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik. Yavuz Narin, einer der Opferanwälte im NSU-Prozess, der das Thema eingehend recherchiert hat, bezeichnete gegenüber der Deutschen Welle (DW) die Häufung der Fälle von Kindesmissbrauch im rechten Milieu als frappierend:

Zahlreiche Personen aus dem Umfeld des NSU-Trios sind bereits in der Vergangenheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern oder der Verbreitung kinderpornographischen Materials in Erscheinung getreten. Wir haben dort einen Sumpf, der sich bis nach Bayern und Sachsen erstreckt.

Yavuz Narin

Sexueller Missbrauch von Kindern durch Rechte könnte nach Ansicht von Opferverbändern auch eine Form des Auslebens von Machtbedürfnissen sein. Eine Sprecherin eines Verbandes der Opfer von Pädophilen, der Zartbitter e.V., erklärte gegenüber DW, dass der unter Rechtsextremen verbreitete Hang zum "Machtmissbrauch und Respektlosigkeit" dafür verantwortlich sein könnte. Der Kindesmissbrauch scheint hier somit ein perverser, sexualisierter Machtrausch zu sein, dem sich die rechten Möchtegern-Führer hingeben.

Er habe eine eindeutige "Häufung von Fällen rechtsextremer Gesinnung und pädophiler Neigung" festgestellt, erklärte der Opferanwalt. Diese Erkenntnisse wurden von Opfergruppen pädophiler Gewalt bestätigt. Nachdem Narin seine Rechercheergebnisse publik gemacht habe, sei er von Betroffenen und Opfer-Verbänden kontaktiert worden: "Ich bekam mitgeteilt, dass sexueller Missbrauch von Kindern gerade in der rechten Szene sehr gängig sei und dass ich deshalb nicht überrascht sein sollte."

Derzeit ermitteln Behörden allein in Hessen gegen 37 Rechtspopulisten und Rechtsextremisten wegen des Verdachts auf organisierten sexuellen Kindesmissbrauch.

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