Ich will, wo Es ist
Seite 3: Die "neurotische Währung"
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Mit Fakten lässt sich innerhalb dieser irrationalen faschistischen Dynamik aus masochistischen Triebverzicht samt autoritärer Zwangshandlung, der Projektion des Verdrängten auf "Sündenböcke" und der Wiederkehr des sadistisch deformierten Triebimpulses in der barbarischen Praxis kaum etwas ausrichten. Es ist müßig, etwa darauf hinzuweisen, dass mehr als zwei Drittel der Täter, die Frauen schwere Gewalt antun, Deutsche sind, oder dass die Kriminalitätsrate unter den Asylbewerbern niedriger ist als im Bevölkerungsdurchschnitt.
Es sind aber nicht nur die eingangs geschilderten, evidenten Lügenmärchen und Fantasiegebilde, die den Treibstoff der rechten Hetzmaschine bilden. Es ist eher ein der Ideologie eng verwandter Wahn, der auf einer extrem selektiven Wahrnehmung der Realität aufbaut, nur die passenden Bruchstücke des Realen zum Bau des Wahngebäudes verwendet, während alles andere verbissen ausgeblendet wird. Der neurechte Wahn lebt von einem selektiven, gewissermaßen instrumentellen Verhältnis zur Realität, das in der berühmten rechten Fieberrede von den "alternativen Fakten" sehr gut zum Ausdruck kommt.
Die Neue Rechte macht sich die simple Tatsache zu eigen, dass in einer jeden größeren Menschengruppe - auch innerhalb der Flüchtlinge - ein gewisses kriminelles Element zu finden ist, das nun skandalisiert wird. Freud spricht in "Totem und Tabu" in diesem Zusammenhang von einer "neurotischen Währung", die es ermöglicht, die entsprechenden Zwangsvorstellungen, wie die vom sexuellen "Genozid an Deutschland", aufrechtzuerhalten:
Die Neurotiker leben in einer besonderen Welt, in welcher … nur die "neurotische Währung" gilt, das heißt nur das intensiv Gedachte, mit Affekt Vorgestellte ist bei ihnen wirksam, dessen Übereinstimmung mit der Realität ist aber nebensächlich.
Sigmund Freud
Da ist der Wahn von dem sexuell zügellosen Ausländer als Projektion der eigenen, ins Sadistische verdrängten Triebe, der nicht nur Lügenmärchen fabriziert, sondern auch händeringend nach Bruchstücken von Realität greift, die er instrumentalisieren kann.
Dies gilt nicht nur bei dem oben geschilderten Komplex der neurechten, sadistisch deformierten Sexualität mit ihren Vergewaltigungsfantasien und dem Hang zur Pädophilie. Generell scheinen Rechtsextremismus wie Rechtspopulismus letztendlich all' das realisieren zu wollen, was sie im Rahmen ihrer Hetze an Angstbildern aufbauen.
Ein immer wiederkehrendes Motiv rechter Propaganda ist beispielsweise die Angstmache vor dem Ausbruch eines Bürgerkriegs in der Bundesrepublik, der gewissermaßen durch die Flüchtlinge aus den Zusammenbruchsgebieten in der Peripherie des Weltsystems "importiert" werde.
Dabei sind es gerade rechtsextreme Seilschaften und Rackets innerhalb und außerhalb des deutschen Staatsapparates, die mit Verve den Bürgerkrieg forcieren. Im Kleinen, in der Provinz, im Stadtteil, treiben die gewöhnlichen Nazibanden den "molekularen Bürgerkrieg" (Enzensberger) voran, mit unzähligen Übergriffen, Schikanen, mit Brandstiftungen und pogromartigen Ausschreitungen.
Der kleine, alltägliche Bürgerkrieg um ihre "national befreiten Zonen", der insbesondere in der ostdeutschen Provinz tobt, erinnere ihn an Somalia, erklärte ein Flüchtling aus diesem Zusammenbruchsgebiet gegenüber dem Deutschlandfunk:
Ich komme aus einem großen Bürgerkrieg. Aber Chemnitz ist ein kleiner Bürgerkrieg. Das ist meine Meinung.
Flüchtling aus Somalia
Dieser "kleine Bürgerkrieg" in Chemnitz verschärfe sich meistens nach den Demonstrationen der Rechten, die an jedem Freitag stattfinden, hieß es in dem Bericht.
Ums große Ganze kümmern sich die rechtsextremen Seilschaften in den Sondereinheiten der Bundeswehr und der Polizeikräfte, die angeblich eine "schwarze Reichswehr" aufbauen. Die potenziellen Todesschwadrone im "Tiefen Staat der BRD" planten im Rahmen einer klassischen Verschwörung den Putsch im Krisenfall und die massenhafte Liquidierung von politischen Gegnern.
Diese tatsächlich gegebenen Verschwörungen, die Rechtsextremisten in Springerstiefeln und Uniformen schmieden, werfen auch ein bezeichnendes Licht auf den antisemitischen Verschwörungswahn, der in der Neuen Rechten grassiert. Längst wurde der jüdische Finanzmogul George Soros als ein zentrales antisemitisches Wahnbild des Rechtspopulismus wie Rechtsextremismus etabliert.
Soros soll ein weitverzweigtes Verschwörer-Netzwerk aufgebaut haben, das Weltherrschaftsambitionen hege, an der Zerstörung von Nationalstaaten arbeite oder die Flüchtlingskrise auslöste, so die bekanntesten Fieberträume all der Halb- und Vollnazis, die in der Soros-Foundation die Zentrale einer jüdischen "Globalistenverschwörung" imaginieren.
Wiederum handelt es sich hier um eine simple Projektion des eigenen Hangs zur ganz konkreten Verschwörungen, die ja nicht nur den Aufbau von Nazimilizen im Staatsapparat zum Inhalt haben, sondern auch die Auseinandersetzungen innerhalb der Neuen Rechten prägen, die Kämpfe um Posten und Pöstchen, den Aufbau von Parallelstrukturen innerhalb der AfD, wie er etwa vom rechtsextremen Flügel der AfD praktiziert wird.
Auch hier gilt die Feststellung der "Dialektik der Aufklärung", die diese Projektionsleistung auf den Punkt brachte: "Im Bild des Juden, das die Völkischen vor der Welt aufrichten, drücken sie ihr eigenes Wesen aus."
Es können hier folglich die historischen Parallelen zwischen der Neuen Deutschen Rechten und ihrem Vorläufer, dem Nationalsozialismus, gezogen werden. Die Nazis haben ihren "Griff nach der Weltmacht" mit ihrer unaufhörlichen antisemitischen Hetze und dem Wahnbild einer "jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung" ideologisch legitimiert.
Und schließlich ist die AfD als die selbsternannte Partei der Saubermänner bereits in eine rekordverdächtige Anzahl von Finanzierungsskandalen und Parteispendenaffären verwickelt. Neben im Schweizer Steuerexil lebenden Milliardären wie August von Finck, die ihr Vermögen von Arisierungsgewinnlern geerbt haben, sollen auch adelige Ex-Waffenhändler den Rechten finanziell unter die Arme gegriffen haben.
Motivator der rechtspopulistischen Kritik an der Korruption der "Altparteien" scheint somit der Neid der zu kurz gekommenen neurechten Aufsteiger zu sein, die sich nun möglichst schnell den ganz großen Schluck aus der Geldpulle gönnen.
Es ist folglich - neben der Personifizierung der fetischistischen Krisendynamik des Kapitals im "jüdischen Finanzkapital" - die eigene, uneingestandene Macht- und Geldgeilheit, die alte wie neue Antisemiten und Rechtsextremisten auf die antisemitischen Wahnbilder des Juden projizierten und projizieren: Gestern war es Rothschild, heute ist es Soros.
Der faschistische "Wille zur Macht" ist das schwache, masochistische, oftmals autoritär gebrochene Ich, das die verdrängten, ins Sadistische abdriftenden Triebregungen des Es reflektionslos auszuleben trachtet - unter extremer Zuspitzung eben der herrschenden ideologischen Gebote und Verbote. Diese von neurotischen Zwangshandlungen und Projektionen geprägte Psychopathologie bildet die charakterliche Basis, auf deren Massengrundlage der Faschismus als Extremismus der Mitte in Krisenzeiten seine Dynamik gewinnt.
Der Faschismus als das Ich, das die sado-masochistische Barbarei des kapitalistisch deformierten Es zu verwirklichen trachtet, kann aber nur in Kontext der krisengebeutelten Gesellschaft vollauf verstanden werden, deren Widersprüche ihn hervorbringen. Im zweiten Teil der Serie wird es um die Wechselwirkung zwischen kranker Psyche und Kapitalismus gehen sowie um die diesbezügliche Auseinandersetzung zwischen Siegmund Freud und seinen Schüler Wilhelm Reich.
Der Autor veröffentlichte zu diesem Thema unlängst das Ebook "Faschismus im 21. Jahrhundert"
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