Idylle mit braunen Flecken: Strategien völkischer Siedler
Seite 2: Zahlenmäßige Stärke
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Man kann kaum schätzen, wie viele Völkische Siedler in Deutschland leben. Die Partei Die Linke fragte in ihrer Anfrage im Bundestag explizit nach den Siedlungen, aber die Auskunft musste, wie es hieß, "aus Gründen des Staatswohls unterbleiben".
Sie ließe Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand und den Umfang sowie die Zielrichtung der Bearbeitung und Schwerpunktsetzung der genannten Gruppierung durch die Verfassungsschutzbehörden zu. Befürchtet wurden negative Folgen für "die künftige Arbeitsfähigkeit und Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörden" sowie daraus resultierende "Beeinträchtigungen der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland".
Interessant ist nicht nur, dass genauere Angaben nicht gemacht werden und die Begründung dafür, sondern auch, dass Die Linke fast ausschließlich nach Rechtsextremen fragte, die Bundesregierung dagegen von Rechtsextremisten schrieb. Also von Menschen, die das System stürzen wollen.
Ein paar Zahlen gibt es aber doch: So veranstaltet die Artgemeinschaft in Nordthüringen in jedem Sommer und Winter Sonnenwendfeiern. Die Landesregierung Thüringens beantwortete im Sommer 2013 eine kleine Anfrage eines Abgeordneten der Linken zu diesem Thema. Demnach hatte die Artgemeinschaft in den Jahren 2008 bis 2012 jedes Jahr vier Veranstaltungen durchgeführt – und zwar Gemeinschaftstagungen zu den Tag- und Nachtgleichen sowie den Sommer- und Wintersonnenwendfeiern.
Demnach schwankten die Teilnehmerzahlen deutlich, am höchsten waren sie bei den Sommersonnenwenden, im Juni 2013 nahmen etwa 300 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet an der Feier teil. 2017 hieß es in einer Reportage im Deutschlandfunk:
Deutschlandweit gibt es heute schätzungsweise 1000 völkische Siedler. Genaue Zahlen existieren nicht, denn die Szene schirmt sich nach außen ab. Die völkische Szene ist nicht fest organisiert. Sie besteht aus mehreren Gruppierungen und einem mit ihr assoziierten Umfeld.
Peter Podjavorsek, Deutschlandfunk, Februar 2017
Die offizielle Antwort auf eine allerdings kurzfristig gestellte Anfrage zu den drei Gemeinschaften beim Bundesamt für Verfassungsschutz lautete:
Zu Personen und Organisationen, die nicht im Verfassungsschutzbericht erwähnt werden, geben wir keine Auskunft. Das lässt aber keine Rückschlüsse darauf zu, ob es eine Beobachtung gibt oder nicht.
Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV)
Auf die Bemerkung, "keine Antwort ist ja auch eine Antwort" antwortete die Pressereferentin mit "ja".
Umgang der Siedler mit einer nicht-völkischen Dorfgemeinschaft
Handelt es sich bei den Siedlungsprojekten mehrheitlich um eher abgeschottete, sektenhafte Strukturen, oder suchen sie gezielt Anschluss an bestehende Dorfgemeinschaften, um eine Art kulturelle Hegemonie im ländlichen Raum zu erlangen?
"Beide Vorgehen sind zu beobachten", sagt Anna Weers, Referentin zum Thema Rechtsradikalismus im ländlichen Raum bei der Amadeu-Antonio-Stiftung. Je nach Strömung oder Gruppe und auch nach Region: "Siedler:innen der Anastasia-Bewegung treten in Grabow oder Wienrode viel offener im Dorf auf, als beispielsweise völkische Rechtsextreme, die bereits über Generationen - teils unerkannt - in Niedersachsen leben."
Röpke und Speit berichten von der "Dorfgemeinschaft Jamel – Frei, sozial und national", in einem Dörfchen mit knapp 50 Einwohnern im Landkreis Nordwestmecklenburg sollte offensichtlich eine "völkische Utopie" verwirklicht werden, einem Rechtsextremisten und Kameradschaftsanführer sei es im Verlauf von mehreren Jahren gelungen, "Gefolgsleute zu bewegen, sich in dem Ort anzusiedeln."
Die Autoren zitieren den früheren Bürgermeister der zuständigen Gemeinde Gägelow mit den Worten: "wir haben Jamel aufgegeben." Der Deutschlandfunk berichtete bereits 2015, dass in mindestens sieben der zehn Häuser Leute lebten, "die rechts bis rechtsextrem ticken." Ein Ehepaar, das auch in Jamel wohnt und sich "offen gegen die braunen Siedler stellt", berichtet von Mobbing in Form von Anzeigen und sehr viel Aufmerksamkeit, im August 2015 brannte ihre Scheune ab. – Das spricht für den Versuch einer "feindlichen Übernahme".
Eine sehr besondere Sicht ins Innere zeigte im vergangenen Jahr der iranischstämmige Reporter Michel Abdollahi: Für die ARD-Themenwoche Heimat zog er einen Monat lang ins Dorf und sprach mit den Bewohnern.
Die Evangelische Akademie der Nordkirche setzt sich mit ihren Regionalzentren für demokratische Kultur vor Ort seit mehr als 15 Jahren mit völkisch-rechtsextremen Netzwerken auseinander. Laut den Regionalzentren versuchten diese, "in vielfacher Weise" Einfluss auf das Zusammenleben zu nehmen. Insbesondere die völkische Siedlungsbewegung habe das erklärte Ziel, "unserer Region ihren Stempel aufdrücken" zu wollen und verfolge "diese Absicht mit vielfältigen Strategien".
Im Jahr 2012 habe die Evangelische Akademie der Nordkirche dies in einer Publikation in Kooperation mit der Universität Rostock und der Heinrich-Böll-Stiftung erstmalig beschrieben und damit auch den inzwischen geläufigen Terminus "Völkische Siedler" geprägt.
Eine seriöse Angabe zu den Zahlen von Siedlungen beziehungsweise Personen sei aufgrund des konspirativen Charakters der Netzwerke nicht möglich, aber man gehe zum Beispiel im Landkreis Rostock derzeit von mindestens 30 Familien aus. Wobei diese Zahl dem Problem aber nicht entspreche, denn "die ursprünglich abgegrenzten Siedlungsgruppen von Familien aus Westdeutschland, der Schweiz, den Niederlanden, Belgien etc" hätten sich hier inzwischen "mit einer deutlich größeren Gruppe von rechtsextremen Personen und Gruppen verbunden, die aus der Region stammen und in Kameradschaften bzw. NPD-Umfeld rechtsextrem sozialisiert wurden".
Zudem gebe es enge Verflechtungen zu anderen rechtsextremen Netzwerken im In- und Ausland, beispielsweise den Hammer-Skins. "So entstanden weitaus größere völkische Netzwerke, die bevorzugt in den ländlichen Räumen unserer Region aktiv sind und dort erhebliche Wirkung entfalten."