"Ihr könnt für die Kroaten nicht ihren Präsidenten wählen"

Ethnische Mehrheiten in bosnischen Gemeinden nach der Volkszählung 2013. Bild: Julian Nitzsche / CC-BY-SA-3.0

Nach der Wahl in Bosnien-Herzegowina sieht sich der katholische Verlierer Dragan Čović ausgetrickst und droht mit einer Blockade

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In der ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik Bosnien-Herzegowina leben drei Volksgruppen, die sich von 1992 bis 1995 in einem blutigen Bürgerkrieg mit etwa 25.000 Toten bekämpften. Sie sprechen Sprachen aus demselben südslawischen Dialektkontinuum, haben aber unterschiedliche Religionen: Die Vorfahren der Bosniaken, die knapp die Hälfte der Bevölkerung stellen, konvertierten während der osmanischen Besatzungszeit zum Islam. Die Vorfahren der Serben, die 37 Prozent der Bevölkerung stellen, und die der 15 Prozent Kroaten, trennten sich bereits im 11. Jahrhundert, als Rom und Byzanz ihre Einflussbereiche festigten.

Aus diesen Gründen wählen die Einwohner des Landes nicht einen Präsidenten, sondern ein dreiköpfiges Staatspräsidium, dem ein Bosniake, ein Serbe und ein Kroate angehören müssen. Bei der Wahl des Bosniaken Šefik Džaferović und des Serben Milorad Dodik gab es gestern keine Überraschungen. Aber für die Kroaten zieht nicht Dragan Čović, sondern Željko Komšić in das Staatspräsidium ein. Er lebt nicht im Kroatenzentrum Herzegowina, sondern in der von Bosniaken dominierten Hauptstadt Sarajevo, und warb mit dem Versprechen, er werde "allen Bürgern dienen".

Čović kritisiert, dass Komšić, der im Bürgerkrieg nicht in der kroatischen Hrvatsko vijeće obrane (HVO), sondern in der moslemisch dominierten Armija Republike Bosne i Hercegovine (ARBiH) kämpfte, vor allem von Bosniaken gewählt worden sei. Mit diesem Trick seien die ethnischen Kroaten, die mehrheitlich nicht den Hauptstädter, sondern ihn gewählt hätten, um ihre legitime Vertretung gebracht worden. Karten, die zeigen, dass Komšić die vor allem dort gewann, wo kaum Kroaten leben untermauern diesen Vorwurf. "Ihr könnt", so Čović dazu, "für die Kroaten nicht ihren Präsidenten wählen". Nun will er die anderen Gremien dazu nutzen, Entscheidungen auf nationaler Ebene zu blockieren.

Dodik strebt Unabhängigkeit an

Auch der serbische Vertreter Milorad Dodik, der von 2006 bis jetzt dem serbischen Landesteil - der Republika Srpska - vorstand, hat wenig Interesse an politischen Entscheidungen auf nationaler Ebene. Er gewann mit 56 Prozent Stimmenanteil gegen den weniger unabhängigkeitsbewußten Amtsinhaber Mladen Ivanić, der auf 44 Prozent kam. Bosnien-Herzegowina ist für Dodik, der gute Beziehungen zum russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin und zur österreichischen FPÖ pflegt, ein "Fehler" und ein "gescheiterter Staat", den die Republika Srpska nach einem Referendum verlassen sollte.

Indirekte Argumente dafür scheinen ihm nicht nur die weitgehende faktische Trennung der Volksgruppen, sondern auch die fünfundzwanzigprozentige Arbeitslosenrate, die fünfundfünfzigprozentige Jugendarbeitslosigkeitsrate und Politikwissenschaftler wie Alida Vračić zu liefern, die dem ORF am Wochenende darlegte, dass in dem zwischen 1878 und 1918 von Österreich-Ungarn besetzten und danach dem zum Königreich Jugoslawien erweiterten Weltkriegsverlustrekordhalter Serbien zugeschlagenen Gebiet weder Bildungs- und Gesundheitswesen noch Wasser- und Gasversorgung richtig funktionieren und "Korruption auf allen politischen Ebenen gang und gäbe" ist.

"Politischer Wettbewerb" überwiegend "unter ethnischen Vorzeichen"

Das Staatspräsidium, dem Dodik nun angehört, ist bislang jedoch vor allem für die Außen- und Verteidigungspolitik zuständig. Wirtschafts- und Bildungspolitik liegen in den Händen der beiden Landesteile: Der Republika Srpska und der moslemisch-kroatischen Föderation, die wiederum in zehn Kantone mit eigenen Parlamenten und umfangreichen eigenen Befugnissen unterteilt ist. Insgesamt kandidierten in diesen Gebietskörperschaften fast 7.500 Kandidaten aus 69 Parteien und 36 Bündnissen. Dem in Wien lehrenden Politologen Vedran Dzhic nach spielt sich der "politische Wettbewerb" zwischen ihnen überwiegend "unter ethnischen Vorzeichen ab". Statt um Probleme und Programme geht es vor allem um Identität.

Deshalb gibt es auch in der 42-köpfigen Ersten Parlamentskammer des Dreieinhalb-Millionen-Einwohner-Landes Quoten: 28 Sitze gehen unabhängig vom Wahlausgang an Bosniaken und Kroaten, 14 an Serben. Die Zweite Kammer, das fünfzehnköpfige "Haus der Völker", wird mit jeweils 5 Bosniaken, Serben und Kroaten aus den Parlamenten der beiden Landesteile beschickt, die gestern ebenfalls gewählt wurden: Die Nationalversammlung der Republika Srpska mit 83 und das Repräsentantenhaus des Föderalen Parlaments der moslemisch-kroatischen Föderation mit 98 Abgeordneten. Die Wahlergebnisse für diese Gremien stehen noch nicht fest.

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