Ikonoklasmus als Aktionskunst
Eine Kuratorin in Manchester lässt ein Gemälde abhängen und löst statt der von ihr gewünschten Debatte über das viktorianische Frauenbild eine Zensurdebatte aus
Bis vor kurzem hing das 1896 entstandene John-William-Waterhouse-Gemälde "Hylas und die Nymphen" in der Manchester Art Gallery. Nun wurde es abgehängt, was der Kuratorin Clare Gannaway zufolge Teil einer Performance der Künstlerin Sonia Boyce ist.
Auf den bis auf weiteres freien Platz an der Wand sollen Besucher jetzt Zettel mit Diskussionsbeiträgen anbringen und die "viktorianische Fantasie" des weiblichen Körpers als "passiv-dekorativ" oder als lockend-gefährlich "herausfordern". Die Diskussionsbeiträge, die es inzwischen nicht nur auf der Website des Museums gibt, beschäftigen sich allerdings ganz überwiegend mit einer anderen Herausforderung: Der Zensur durch Tugendsignalisierer, die auch im Zusammenhang mit anderen Werken gerade für viel Aufmerksamkeit sorgt (vgl. Gomringer-Gedicht "Avenidas" wird stabiles Mem).
Umkehrung des #MeToo-Narrativs
"Ein Bild abzuhängen, um ein Gespräch über seine Motive anzustoßen, ist widersinnig", meint beispielsweise FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube: "Erkennbar wird hier als Diskussionsanstoß verbrämt, was in Wahrheit der Versuch ist, die von solchen 'Kuratoren' erwünschten Ergebnisse einer solchen Diskussion vorwegzunehmen: dass nämlich so nicht hätte gemalt werden sollen, wie Waterhouse malte."
Gemälde von J. W. Waterhouse (12 Bilder)
In Sozialen Medien amüsiert man sich dagegen eher über Vorstellungen wie die von Boyce und Gannaway und meint beispielsweise: "Überhaupt! Malerei? Wo Maskus mit dem Penisersatz Pinsel Frauen farblich konstruieren und in quasimagischen Ritualen als Objekte auf Leinwändinnen bannen? Und wer hat noch gemalt? Na? Genau! Hitler." Andere Nutzer merken an, dass es sich bei der dargestellten Szene aus der antiken Mythologie, die Waterhouse malte, um eine Umkehrung des #MeToo-Narrativs handelt: Hier ist der junge Mann, der schöne Eromenos des Herakles, das Opfer - die Nymphen, die ihn ins Wasser locken, sind die Täterinnen.
Neue Aufmerksamkeit für einen alten Meister
Ein weiterer Effekt des Abhängens ist, dass der Maler John William Waterhouse international bekannter wurde. Durchaus nicht zu Unrecht. Orientiert man sich an Tom Wolfes Lesart der Kunstgeschichte, verkörpert der Präraffaelit (ebenso wie beispielsweise Herbert James Draper) den Höhepunkt einer Kunstform, bevor diese nach der Erfindung der Fotografie und des Films in etwas transformierte, das eher der Modewelt gleicht (vgl. Knappheit mit Bitcoin-Methoden).
Aber auch das, was diese Theoriemoden hervorbrachten, muss durchaus nicht immer uninteressant sein, wie aktuell gerade die große Günter-Brus-Werkschau in Wien zeigt. Dieser Aktionskünstler wurde in Österreich bekannt, nachdem er 1968 zu sechs Monaten schweren Arrests verurteilt wurde, weil er für seine Performance Kunst und Revolution die Österreichische Nationalhymne sang (die damals noch ohne "Töchter" auskam) und dazu masturbierte, defäkierte und sich mit Kot beschmierte.
Ob die Aktionskunst-Pinnwand, die das Museum jetzt als Ersatz für Waterhouse deklariert hat, eher zu den interessanteren (vgl. Warum Dr. Billy Baypack heute Nachmittag sein Radio öffentlich und fachgerecht zerstören wird) oder eher zu den faderen Aktionskunstwerken zählen wird (für die in Deutschland vor allem der Agitprop von Philipp Ruch steht), lässt sich noch nicht sagen.
Ein Schaden ist in jedem Fall (anders als bei der Zerstörung antiker Keramik durch Ai Weiwei) insofern noch nicht entstanden, als das Gemälde noch nicht vernichtet wurde - und weil es (wie alle anderen Werke des 1917 verstorbenen Waterhouse) längst gemeinfrei ist und digital überall auf der Welt frei betrachtet werden kann, so lange man nicht einer gefährlichen Sonderrechtsprechung folgt (vgl. Bildrechte: Wikipedianer unterliegt vor Gericht gegen Museum).