Töchter und Söhne
Österreichs Nationalhymne muss ab dem 1. Januar "geschlechtergerecht" gesungen werden
Österreich ist ein Land, dessen Staatsbürger famose Musikstücke wie Tauben vergiften im Park, Alle Menschen san ma zwider oder Mei potschertes Leb'n hervorbrachten. Für das letztgenannte dieser Lieder forderte eine Stimme auf YouTube, es solle "die Hymne des Durchschnittsösterreichers sei und ned die vüdiskutierte 'Töchter Söhne Hymne'!"
Ab dem ersten Januar 2012 muss die österreichische Bundeshymne Land der Berge nämlich mit einem veränderten Text gesungen werden, dessen Wortlaut die Alpenrepublik jahrelang von Problemen wie der Finanz-, der Banken- und der Eurokrise ablenkte. Die alte Version geht auf ein Gedicht von Paula Preradović zurück, das man 1947 mit der Melodie des letzten vollendeten Mozartwerks verband. Die erste Strophe der Hymne lautete 65 Jahre lang wie folgt:
Land der Berge, Land am Strome,
Land der Äcker, Land der Dome,
Land der Hämmer, zukunftsreich!
Heimat bist du großer Söhne,
Volk, begnadet für das Schöne,
Vielgerühmtes Österreich,
Vielgerühmtes Österreich.
Zukünftig wird statt "Heimat bist du großer Söhne" etwas holpriger "Heimat großer Töchter und Söhne" gesungen, außerdem machte man aus "Brüderchören" in der dritten Strophe "Jubelchöre". Mit der Arbeit an dieser entscheidenden Änderung begann die SPÖ-Politikerin Johanna Dohnal bereits vor 20 Jahren; seit 1994 wurde sie dabei auch von den Grünen unterstützt. 2005 nahm sich die mit dem (in zahlreiche Korruptionsskandale verwickelten) Rüstungslobbyisten Alfons Mensdorff-Pouilly verheiratete Politikerin Maria Rauch-Kallat des Änderungsvorhabens an und trimmte ihre konservative ÖVP so lange auf Linie, bis sie schließlich im Sommer 2011 zustimmte.
In der österreichischen Bevölkerung ließen sich Vorbehalte gegen die Änderung weniger leicht ausräumen: Das Meinungsforschungsinstitut OGM ermittelte im Juli für die Tageszeitung Kurier, dass 70 Prozent der Österreicher die Umgestaltung der Bundeshymne ablehnen. Der Wiener Germanist Franz Patocka fasste das Unbehagen in Worte, als er im Standard kurz und prägnant verkündete, er halte die geänderte Zeile in der ersten Strophe für "grammatikalisch grenzwertig und ästhetisch ein Gräuel".