Im Dienste eines strategischen Investors
Wie die CIA mit der Risikokapital-Gesellschaft In-Q-Tel ihr Beschaffungswesen neu organisierte
1999 gründete die CIA die Risikokapital-Gesellschaft In-Q-Tel (Q, Tüftler in James Bond Filmen, wird Pate von CIA). Seither investiert diese Firma in Start-ups, die geheimdienstrelevante Produkte entwickeln. Gegenwärtig hält sie an 89 Gesellschaften Beteiligungen. Dabei reicht die Spanne der Bereiche von Computersicherheit und Datenanalyse über Energieversorgung und Medizin bis hin zu Nano- und Biotechnologie.
Einst gehörte die CIA zu den Pionieren der US-amerikanischen Industrie. So gab der Geheimdienst entscheidende Impulse zur Entwicklung der Aufklärungsflugzeuge U-2 und SR-71 sowie des Aufklärungssatelliten Corona. Auch bei der Konzipierung von Verschlüsselungstechnologien und Tools zur Informationsauswertung war sie dem privaten Sektor weit voraus. Mit dem Anbrechen des Internetzeitalters schmolz dieser Vorsprung allerdings dahin. "Die noch nie dagewesene Geschwindigkeit technischer Veränderungen zwingt die Geheimdienst-Community, die Herangehensweise an ihr Geschäft zu ändern", konstatierte deshalb 1999 der damalige CIA-Chef George Tenet.
Und das tat sie schließlich auch umgehend. Da sich die "Central Intelligence Agency" in weiser Selbsteinschätzung als zu unattraktiv empfand, um die Nerds aus dem Silicon Valley zu sich zu locken, beschloss der Dienst, den umgekehrten Weg zu gehen und sich selbst ins Tal aufzumachen. Das Entree verschaffte ihm dabei eine Risikokapital-Firma, die in ihrem Namen In-Q-Tel (IQT) nicht nur von ihrer Abkunft "intelligence" kündet, sondern auch locker-flockig dem immer neue Agenten-Gadgets produzierenden "Q" aus den James-Bond-Filmen seine Referenz erweist.
"Als ein privates Unternehmen mit starken Verbindungen zur Geschäftswelt (...) bauen wir Beziehungen zu Technologie-Start-ups außerhalb der Reichweite der Geheimdienst-Community auf", heißt es auf der Website von In-Q-Tel frank und frei. Und die Beziehungsarbeit der strategischen Investoren fruchtet. Gegenwärtig hält die Gesellschaft Anteile an über 80 Start-ups, von denen die meisten in der Vergangenheit nicht durch übergroße Staatsnähe aufgefallen waren. "Mehr als 70 Prozent der Firmen, mit denen IQT kooperiert, haben zuvor noch nie Handel mit der Regierung getrieben", verkündet die Kapitalanlage-Gesellschaft stolz.
Breite Produktpalette
Die Produktpalette der Betriebe, die In-Q-Tel in seinem Portfolio führt, ist breit gefächert. Sie umfasst unter anderem Suchprogramme, Software zur Analyse von Daten und Bildern, Übersetzungstools, Computersicherheitstechnologie, Energieversorgungssysteme, Überwachungsapparaturen sowie nano- und biotechnologische Entwicklungen. Digital Reasoning bietet Text-Aufschlüssungsprogramme an, die nicht nach rein mathematischen Verfahren arbeiten und deshalb auch Wortbedeutungen und grammatikalische Bezüge verstehen. Im Afghanistan-Einsatz lieferte die Software beispielsweise zu dem Namen eines Taliban alle seine Pseudonyme und stellte seine Beziehungen zu anderen Personen oder Gruppen dar.
PixLogic hat eine Bildersuche kreiert, die ganz auf visuelle Kriterien abgestellt ist und zum Aufspüren eines Objektes keine Text-Legenden benötigt. Skybuilt Power konstruiert mobile, mit Sonnen- und Windkraft betriebene Energieversorgungssysteme und half so, die US-Truppen im Irak unabhängiger von ihren Stromgeneratoren zu machen, für die nicht immer genug Öl aufzutreiben war. SilverTail Systems hat sich derweil auf das Entdecken verdächtigen Verhaltens im Online-Verkehr spezialisiert und ein spezielles Cybercrime-Alarmsystem konstruiert. Walleye baut tragbare optische Geräte, die im Mikrowellen-Bereich operieren und durch Mauern blicken können. Der Laser von Genia Photonics kann sogar durch die Haut blicken, den Adrenalin-Gehalt im Blut ermitteln und noch so allerhand erkennen, womit Menschen in Berührung gekommen sind. "Das reicht von Semtex-Sprengstoff bis zum "Schinken und Ei"-Sandwich, das sie zum Frühstück hatten", so CBS. Und Visible stellt Tools für das Social Media Monitoring her, während Cloudera das Management großer Datenmengen via Cloud-Lösungen erlaubt.
Aber In-Q-Tel hat es nicht nur auf tischfertige Produkte für den Agenten-Alltag abgesehen. Durch ihr finanzielles Engagement hat die Risikokapital-Gesellschaft die Möglichkeit, frühzeitig einen tiefen Einblick in die Unternehmen zu nehmen und bestimmte Entwicklungen erst anzustoßen. So versprach der Biotech-Betrieb Quanterix, der Molekül-Strukturen untersucht, gleich nach dem Einstieg des CIA-Ablegers "neue Applikationen, die den Bedürfnissen der Geheimdienst-Community entsprechen" – ein Bedürfnis dürfte dabei die Identifizierung von zu biologischen Waffen umfunktionierten Krankheitserregern sein.
Sonitus Medicals Hörhilfe, die Zähne und Gesichtsknochen zur Übertragung von akustischen Signalen nutzt, führte der Investor gleichfalls einem "Dual Use" zu: Unter seiner Ägide wurde daraus ein drahtloses, ohne auffällige Ohrhörer auskommendes "In the Mouth"-Kommunikationsmittel. Die spektakulärste Umwidmung brachten die Geheimdienstler jedoch via Keyhole zuwege. Deren Tüftler hatten eine interaktive 3D-Visualisierung von Landkarten erdacht und dafür ursprünglich nur einen eingegrenzten Interessenkreis im Sinn gehabt wie etwa Immobilien-Firmen, welche die Erfindung nutzen konnten, um ihren Bestand herzuzeigen. In-Q-Tel erkannte 2003 weit mehr Potenzial darin und Google 2004 noch mehr: Der Internet-Multi kaufte das Start-up den CIA-Investoren ab und machte aus Keyhole Google Earth.
Deals mit Google
Auch sonst unterhält der Suchmaschinen-Betreiber mit der Kapitalanlage-Gesellschaft gute Geschäftsbeziehungen. Beide steckten gemeinsam Geld in Recorded Future, ein Unternehmen, das Websites, Blogs und Twitter durchforstet und dabei Beziehungsnetze zwischen Personen, Handlungen und Ereignissen zutage fördert. Wie etwa dasjenige zwischen Syrien, der Hisbollah und Langstreckenraketen, das eine Bedrohung Israels durch Scud-Beschuss aus dem Libanon evoziert – dieses Beispiel diente der Firma 2010 auf ihrer Website als Demonstrationsobjekt für die "Open Source Intelligence"-Arbeit von Recorded Future. Der Name ist dabei Programm, denn der Software-Hersteller vermag nach eigener Aussage anhand der Analyse bestimmter Verdichtungen oder Auflösungen von Konstellationen in ferne Zeiten zu schauen. "Die prophetische Macht des Webs bloßlegen", so lautet sein Werbe-Slogan.
Zudem verwendet Google Such-Software des In-Q-Tel-Investments Basis Technology, die in über 20 Sprachen Wortbedeutungen und grammatikalische Bezüge versteht und so beispielsweise Namen mittels Kontext-Erschließung bestimmten Personen, Charakteristika und Vorkommnissen zuordnen kann (name resolution). An die Muttergesellschaft CIA hat der Internetkonzern auch schon selber Server und Textanalyse-Tools geliefert, unter anderem für das interne Informationssystem "Intellipedia". Und am Firmensitz in Mountain View arbeitet ein kleines Joint Venture aus Geheimdienstlern und Google-Beschäftigten daran, das Nutzerdaten-Monitoring den Profiling-Wünschen der Agency anzupassen.
Erfolgreiche Bilanz
An 89 Unternehmen hält In-Q-Tel gegenwärtig Anteile. Von 39 hat sich die Kapitalanlage-Gesellschaft seit ihrer Gründung 1999 wieder getrennt; als Käufer traten neben Google unter anderem Oracle, IBM und Nokia auf. Der Etat der Firma, die über 60 Mitarbeiter beschäftigt, beträgt 56 Millionen Dollar. Davon fließt allerdings nur ein geringerer Teil in Beteiligungen. Den größeren Teil verwendet die Firma für Lizenzen und direkte Produktentwicklung. "Am Ende des Tages wollen wir die Technologie, das ist klar", erklärte der ehemalige In-Q-Tel-Manager Greg Pepus 2004 in einem Interview.
Berührungsängste mit dem CIA-Arm hat kaum ein Start-up. Die Betriebe machen sich vielmehr berechtigte Hoffnungen, über In-Q-Tel mit der Regierung ins Geschäft zu kommen und sich so neue Absatzgebiete zu erschließen. Mittlerweile gilt der Einstieg der Gesellschaft sogar als ein Gütesiegel, das noch mehr Investoren anzieht.
Die staatlichen Stellen selber sind mit dem Outsourcing des Beschaffungswesens ebenfalls zufrieden. Anfänglich hoch umstritten und nur im Testmodus mit fünfjähriger Bewährungsfrist gestartet, ist es In-Q-Tel bald gelungen, die Skeptiker zu überzeugen. Ein Übriges tat dann der 11. September 2001 dazu. Er hat aus der Perspektive der Geheimdienst-Community die Notwendigkeit, den Sprung ins Informationszeitalter zu schaffen, noch einmal dringlicher vor Augen geführt, und die Risikokapital-Gesellschaft hat dabei gute Dienste geleistet. Die Zahl der technischen Innovationen, auf welche die CIA Zugriff hat, erhöhte sich durch die Anlage-Entscheidungen beträchtlich. In den Anfangszeiten monierten Kritiker lediglich das zu langsame Tempo, mit dem das Mutterhaus den Technologie-Transfer umsetzt. In Eigenregie hätte die Agentur einen solchen Output nur schwerlich hinbekommen – und zu solchen Kosten wie den bei In-Q-Tel dafür angefallenen schon gar nicht. Ausschließlich für die Belange der Geheimdienste entworfene Produkte hätten nämlich nicht eine so große Stückzahl erreicht wie solche, die sich als Dual-Use-Güter auch auf den freien Märkten für Computer, Sicherheits-, Medizin- oder Biotechnologie amortisieren können. Zudem hätte die CIA das Risiko von Fehlschlägen allein tragen müssen.
Inzwischen macht das Beispiel sogar Schule. 2002 rief die Armee die Anlage-Firma Onpoint Technologies ins Leben, um ihre Bedarfsdeckung zu reformieren. Und nach Meinung Kim Taipales vom "Stillwell Center for Advanced Studies in Science and Technology Policy" ist das Potenzial damit noch nicht ausgereizt. "Dieses Modell könnte auch auf die Sektoren Bildung, Gesundheit und Energie übertragen werden. Für die Regierung besteht das Problem darin, früh Zugang zu Technologie zu bekommen, welche ihr hilft, effizienter zu werden. Die Regierung kann dies mit innovativen Ansätzen wie denen von In-Q-Tel tun", rät Taipale.