Im Grenzschließungsfieber

Bild: NEOSiAM 2020/Pexels

Die Mutante des Coronavirus sorgt für große Beunruhigung und verstärkt, was schon länger in Diskussionen auftauchte: die Rückkehr zu einer strengeren Grenzpolitik

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Pandemie verstärkt, was schon länger in Diskussionen auftauchte: die Rückkehr zu einer strengeren Grenzpolitik. "Künftig wird die Schließung zum Prinzip und die Öffnung zur Ausnahme", befürchtet Yves Pascouau, ein Experte für Migrationspolitik eines europäischen Think Tanks. Zitiert wird er von der französischen Zeitung Libération.

Die pessimistische Äußerung vermischt zwei unterschiedliche Themen, die Grenzpolitik und Migration sowie Grenzpolitik und Corona-Virus-Epidemie. Auch das ist ein Zeichen der unsicheren Zeit, in der "Echtzeit-Historiker" versuchen, rechtzeitig zum Jahreswechsel aus dem Durcheinander der aktuellen Ereignisse große beständige Linien herauszuarbeiten.

Die Vermischung der beiden unterschiedlichen Aspekte des Grenzschutzes wird auch in sozialen Netzwerken betrieben, wo man Äußerungen der Kanzlerin aus der Zeit 2015/2016 zu den Grenzen, die offen bleiben müssen, der jetzigen Situation gegenüberstellt, wo sich die Staatsvernunft gerade auf Grenzschließungen konzentriert. Wirklich klüger wird man durch die Gegenüberstellung kontrastierender Aussagen aber nicht.

Eine andere Verbindung unterschiedlicher Grenzthemen drängt sich allerdings tatsächlich auf: der zwischen dem Brexit und den Grenzschließungen zu Großbritannien infolge der Angst vor der Corona-Mutation B.1.1.7. Frankreich reagierte mit der Schließung der Seewege, der Fährverbindungen zwischen Dover und dem französischen Calais, auch der Eurotunnel wird geschlossen. Seither zeigen lange Warte-Kolonnen von LKW, die feststecken, für Anschauungsmaterial und Drohkulisse dessen, wozu der Brexit de facto führen könnte. Inwieweit dies in den Schlussverhandlungen Gewicht haben wird?

Christian Drosten äußerte sich zunächst zurückhaltend zur Einschätzung der Gefährlichkeit der neuen Variante von Sars-Cov 2: "Davon darf man sich jetzt wirklich nicht irgendwie aus der Ruhe bringen lassen." Er sei "darüber nicht so sehr besorgt im Moment". Man müsse abwarten, was die Wissenschaftler in GB weiter herausfinden. Neue Daten aus England bereiten ihm nun doch Sorge. Er twitterte gestern Abend:

Neue Daten zur B.1.1.7-Mutante (heute veröffentlicht). Das sieht leider nicht gut aus. Positiv ist, dass Fälle mit der Mutante bisher nur in Gebieten zunahmen, wo die Gesamtinzidenz hoch oder ansteigend war. Kontaktreduktion wirkt also auch gegen die Verbreitung der Mutante.

Christian Drosten

Im Interview mit dem Deutschlandfunk, das gestern tagsüber erschien, gab er sich noch abwartend und weniger beunruhigt. Allerdings äußerte er da schon seine Einschätzung, wonach die Virus-Variante schon in Deutschland sei, wie auch in anderen Ländern.

"Wir wissen jetzt, dass es schon in Italien, in Holland, in Belgien, in Dänemark, sogar in Australien ist. Warum sollte es nicht in Deutschland sein? Das ist überhaupt nichts Schlimmes."

Angesichts der jüngsten Medienberichte preschen Politiker, meist nicht aus der ersten Reihe, für eine strengere Grenzpolitik innerhalb Europas vor:

Wenn das mutierte Virus in anderen EU-Ländern auftaucht, müssen auch zu diesen die Anbindungen gestoppt werden.

CDU-Innenpolitiker Alexander Throm

Auch Einreisestopps auf dem Landweg, die durch Grenzkontrollen sichergestellt werden, müssen als Schutzmaßnahme unverzüglich in Kraft gesetzt werden, wenn sich die hochinfektiöse Mutation des Coronavirus in den unmittelbaren Nachbarstaaten wie Italien ausbreiten sollte.

Christoph de Vries, CDU-Fraktion

Solange wir nicht genau wissen, womit wir es bei dem mutierten Virus zu tun haben, bin ich als Vorsichtsmaßnahme für verstärkte Kontrollen an unseren Grenzen.

Uli Grötsch, SPD-Abgeordneter

Auch die DPolG-Bundespolizeigewerkschaft ist laut dem Bericht der Welt für eine umgehend verstärkte Grenzüberwachung an den Landesgrenzen nach Frankreich, Luxemburg, Belgien, den Niederlanden und Dänemark zu beginnen.

Der bayrische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) kündigte verstärkte Kontrollen der Bundespolizei im Grenzbereich sowie an Grenzübergängen an und forderte von der EU-Kommission umgehend die rechtlichen Voraussetzungen auf den Weg zu bringen, "um von Nicht-EU-Bürgern schon an den EU-Außengrenzen die Vorlage eines aktuellen negativen Testergebnisses zu verlangen". Außenminister Heiko Maas forderte eine gemeinsame Reaktion der Europäischen Union. Nur so könne verhindert werden, dass ein Einreisestopp über andere EU-Mitgliedstaaten umgangen wird.

Zu beachten ist bei alledem, was Eric Bonse in seinem Blog notiert: Grenzkontrollen und Hygieneauflagen kommen fast einem Reiseverbot gleich.

Karl Lauterbach plädiert wie gewohnt für dauerhafte Lösungen: Einreisebeschränkungen für Reisende aus Großbritannien und Südafrika seien dringend notwendig und müssten möglicherweise lange aufrechterhalten werden: "Wenn sich bestätigt, dass es so viel virulenter ist, dann würde ich mindestens von Wochen, wenn nicht von Monaten ausgehen."