Im Hinterhaus des Spielerparadieses
Wo die Vorstädte in die Wüste vordringen und das Land zum Spekulationsobjekt wird, erkennt man Las Vegas nicht wieder
Vor lauter Neonlicht sieht man die Stadt nicht mehr. Wenn man bei Las Vegas überhaupt von einer Stadt reden kann, wo es eigentlich aus Hotelbetten und Glücksspiel nichts weiter gibt. Und doch gibt es auch eine ganz gewöhnliche Seite von Las Vegas. Die Architekten und Stadtplaner Nicole Huber und Ralph Stern erkundeten die Kehrseite der Metropole der guten Laune, deren ungezügeltes Wachstum nicht nur die angrenzende Natur bedroht. Dem boomenden Immobilienmarkt müssen sowohl ökologische Schutzgebiete wie Menschen weichen, die dem schnellen Profit im Wege stehen.
In einer Fotoprojekt „Urbanisierung der Mojave-Wüste: Las Vegas“ dokumentieren Huber und Stern die Auswüchse des Baubooms in und um die Glücksspielstadt. Bilder des unbekannten, des desolaten Las Vegas und seiner Peripherie. Von monumentalen Parkhäusern, öden Servicebereichen, Wohnwagensiedelungen und Industriegebieten.
Huber und Stern zeigen verblüffende Ansichten von einer Stadt, in der man hinter all der glamourösen Leuchtreklame, die Hotelpaläste und Casinos wie riesige Sterne in grün und gold funkeln lässt, kaum mit sozialem Wohnungsbau gerechnet hätte. Oder mit einem wuchtigen Betonklotz, einem Gefängnis, das wie ein Tanker einen Nachbarbau beiseite zu schieben scheint. Am Stadtrand wuchert Las Vegas auf einer trassierten Landschaft rücksichtslos aus dem Tal hinaus in die karge Bergwelt hinein allen ökologischen und Prinzipien des Naturschutzes zum Trotz.
Öde Viertel hinter glitzernden Fassaden
Wohl kaum ein Bild einer Stadt ist so von der glänzenden Oberflächliche bestimmt wie das von Las Vegas, dem architektonischem Fanstasialand und seinen märchenhaften Kulissen. Seinen Hotels, die wie Burgen aussehen oder aus denen man auf eine Kopie des Eifelturms blicken kann. Ganz großer Kitsch zwar, dennoch eine Welt des schönen Scheins, deren Faszination man sich schwer entziehen kann. Eine gigantische Vergnügungsfabrik mit simulierten Vulkanausbrüchen, bizarren Wasserfontänen und Showbühnen voller Stars.
Dahinter scheint es nichts zu geben, jedenfalls für den außenstehenden Beobachter. Obwohl man es sich ja hätte denken können, dass die größte Stadt Nevadas auch eine ganz gewöhnliche Seite hat. Schließlich sorgt ein Herr von Servicemitarbeitern für die Millionen von Zockern und Showgäste, die sich auf dem „Strip“, dem Vergnügungsboulevard, amüsieren. 38 Millionen Touristen besuchen die Stadt jährlich und tauchen ein in eine Welt aus Illusionen, in der man in Minuten beim Glücksspiel den ganz großen Gewinn zu hofft.
„Aber Las Vegas, wie wir es auch kennen, gibt es in den Medien nicht, die das schillernde Bild von der Stadt prägen“, sagt Nicole Huber. Fernsehserien wie C.S.I bestimmen die Vorstellung von einer skurrilen Stadt voller Sensationen und wüster Verbrechen. In Magazinen und Reiseberichten oder auf einer beliebigen Seite im Internet sieht man immer die gleichen Szenen aus Las Vegas als einer in der Nacht glitzernden Metropole. Die Inszenierung einer fantastischen Silhouette, die in unendlichen Schleifen von Filmen und Fotografien reproduziert wird. Und deren schöner Schein durch nichts getrübt wird. Alles andere würde Las Vegas zu einer Stadt unter vielen machen, die auch mit diesem Artikel kaum vielmehr Aufmerksamkeit finden würde als Seattle oder Ludwigshafen.
Doch die Realität abseits des Vergnügungszentrums sieht eben anders aus, nüchterner und trostloser allemal. Mit ihren Aufnahmen von der Rückseite des Strip dekonstruieren Nicole Huber und Ralph Stern nicht nur die medial erzeugte Fata Morgana einer Insel der Glückseligkeit. Die Autoren beobachten auch einen beispiellosen Verstädterungsprozess inmitten der Mojave-Wüste, die Stück für Stück von Baggern planiert und für neue Bauprojekten nutzbar gemacht wird. Ein Milliardengeschäft, bei dem der Dollar in den letzten Jahren schneller und schneller rollt.
Uns ging es darum den Preis sichtbar zu machen für das rasante Wachstum der Stadt. Der Mensch an sich und die Natur an sich zählen da nichts.
Nicole Huber
Bedrohtes Ökosystem
In dem Naturschutzgebiet Coyote Springs, 60 Meilen von Las Vegas entfernt, sollen 16 Golfplätze und 159 000 Wohneinheiten entstehen. Damit inmitten der Wüste überhaupt etwas wächst und man dort leben kann, muss Wasser in zwei Pipelines aus Nachbarstaaten zugeführt werden. Um den enormen Bedarf sicherstellen zu können, kaufte die für die Entwicklung des Gebietes verantwortliche Firma Farmern ihre Wasserrechte ab. Ein Prozess mit noch unabsehbaren Folgen für das gesamte Ökosystem der Region und der angrenzenden Bundesstaaten kommt mit der Urbanisierung der Wüste ins Rollen. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass der Region eines Tages ganz das Wasser ausgehen könnte und verheerende Dürren drohen, wenn der Wasserverbrauch weiter rapide steigt, um immer mehr sandiges Eiland in eine grüne Oase zu verwandeln.
Ein Prozess, den Bernd Schröder in Telepolis bereits ausführlich beschrieben hat und treffend kommentierte:
Nicht plötzlicher Reichtum ist hier (in Las Vegas und Nevada, J.B.) die größte Illusion von allen, sondern die Vorstellung, dass Wasser in unbegrenztem Ausmaß zur Verfügung stünde.
Heute schon zapfen die deutlich über eine Million Einwohner, die in und um Las Vegas leben, die letzten Wasservorräte an und riskieren sie zu erschöpfen. Ob die rund 3 Millionen Menschen, die Prognosen zufolge in 10 Jahren in der Mojave-Wüste leben werden, überhaupt noch mit Energie und Wasser angemessen versorgt werden können, ist heute schon mehr als unwahrscheinlich. Viele Rasenareale werden dann vertrocknen. Schon jetzt gibt es Auflagen für eine eingeschränkte Bewässerung von Grünflächen. Doch das schreckt die Bauherren nicht ab. Vielmehr heizt die Nachfrage nach Grundstücken die Immobilienspekulation weiter an. Die Preise für Häuser schnellen in exorbitante Höhen.
Ein Verdrängungswettbewerb habe eingesetzt auf Kosten von Durchschnittsverdienern, so Ralph Stern.
In den 80er und 90er Jahren konnte auch ein ungelernter Angestellter einen Job finden in Las Vegas und davon leben. Das funktioniert nicht mehr, weil die Grundstückspreise so enorm gestiegen sind.
Ralph Stern
Legte einst die Legalisierung des Glücksspiels in Nevada 1931 den Grundstein für den Mythos von Las Vegas als der Welthauptstadt des schnellen Reichtums, so lockt die Region heute Projektentwickler für Villengebiete und exklusive Wohnanlagen aus aller Welt an, die sich außerordentliche Gewinne erhoffen.
Brutales Wachstum
Mit seinen klimatischen Verheißungen eines ewigen Sommers hat die Wüstenregion mit ihrem fantastischen Bergpanorama sogar Kalifornien als beliebten Alterssitz wohlhabender Rentner den Rang abgelaufen. Golfplätze, Segeln und Gesundheitszentren, die wie Shoppings Malls organisier sind, versprechen einen unbeschwerten Lebensabend. „Retirement Communities“ entstehen für Bewohner über 55 Jahre, die einen Trend zu einer neuen Form von Segregation markieren. Die Alten wollen lieber unter sich bleiben. Wo sich einzelne soziale Gruppen gegen den Rest der Gesellschaft in eigenen Siedelungen abschotten, ist der Weg in die nächste „gated community“ nicht mehr weit.
Eines dieser exklusiven Wohngebiete, abgeschirmt durch hohe Mauern und Einlasskontrollen von der Außenwelt, entsteht in den Bergen nahe Las Vegas. Dafür bemächtigten sich Baufirmen eines der schönsten und klimatisch angenehmsten Abschnitte rund um das Las Vegas Valley. Mit dem Ressort „Crystal Ridge“ entstehen an einem Berghang Wohnungen und Villen für mehrere hundert Millionen Dollar - die den wohl teuersten Blick auf Las Vegas bieten.
Einwände von Anwohnern gegen die Zerstörung von Fauna und Flora und der kargen Berghänge blieben erfolglos. Mit Schmiergeldern, so wird vermutet, lässt sich nicht nur der Naturschutz aushebeln.
Wohnwagensiedlungen lassen sich mittels Bestechungen ebenso schnell räumen wie bebaute Grundstücke. Deren Besitzer erhalten zwar meist eine Entschädigung für ihren Grund. Es kommt aber nicht selten vor, dass die Bewohner nicht einmal Zeit haben, ihr Haus in den meist zugesagten sechs Monaten zu räumen, berichtet Ralph Stern. Häuser wurden einfach samt Hab und Gut ihrer Vorbesitzer abgerissen. Alles, was dem schnellen Bauen im Wege steht, wird planiert. Von einer planvollen Stadtentwicklung kann sowieso keine Rede sein.
Heute ist Las Vegas eine Stadt, die sich immer wieder selbst verdrängt. Es geht hier immer um alles andere als den Ort Las Vegas.
Ralph Stern
Die Dokumentation von Nicole Huber und Ralph „Urbanizing the Mojave Desert: Las Vegas“ erscheint im Frühjahr im Jovis-Verlag. Im Deutschen Architekturzentrum Berlin stellen die Autoren bis zum 8. Februar ihre Fotos aus. Nicole Huber lehrt an der University of Washington. Ralph Stern unterrichtet an der University of Las Vegas an der School of Architecture.