Im Kreuzfeuer von Social Media

Bank of America: Schwarzer Herbst für den kriselnden Geldgiganten

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Eine Festung fällt meist dann, wenn viele kleine Gräben die Machtbasis unterwandern. So ähnlich ergeht es nun schon seit Monaten der größten US-Bank, dem Flaggschiff Bank of America (BofA). Jedes Mal, wenn man glaubt, sie träte aus den negativen Schlagzeilen heraus, gibt es etwas Neues zu berichten. Der Versuch beispielsweise, höhere Gebühren für die Nutzung von Kontokarten einzuführen, scheiterte grandios. Die Bank gibt sich mittlerweile zwar reumütig. Jedoch kehren frustrierte Bankkunden dem Institut weiter den Rücken.

Wir erinnern uns: Bereits im Jahr 2009, also kurz nach Ausbruch der Finanzkrise, hatte sich eine langjährige Kundin der BofA über deutlich erhöhte Überziehungszinsen für die Kreditkartennutzung beschwert. Und zwar via YouTube mit einem Video, das immerhin mehr als eine halbe Million Mal angeklickt wurde.

Die Reaktion der BofA lief zunächst nach dem eingespielten Motto ab: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Es ist eine für viele Kunden nur allzu bekannte Endloswarteschleife, wie sie mancher Finanzdienstleister gerade bei berechtigter Kundenkritik immer noch gerne benutzt, statt auf den Kunden zu hören und aus dessen kritischem Feedback zu lernen.

Am Ende gewann in diesem seltenen Fall ausnahmsweise mal die Kundin, vor allem weil die Medien, wie etwa in der Huffington Post nachzulesen, auf den Fall aufmerksam wurden - und die BofA zum Einlenken zwangen.

Kurzum, das alte Geschäftsgebaren einer Black Box namens Bank funktioniert immer weniger. Denn die Kunden sind die Killerapplikation. So titelte die Financial Times Deutschland kürzlich anhand des neuerlich in den medialen Fokus geratenen Gebührenmodells der BofA folgerichtig: Kunden zwingen US-Bank zum Einlenken:

Die großen amerikanischen Banken haben die Macht ihrer Kunden zu spüren bekommen. Der Versuch, Gebühren für die Nutzung von Kontokarten einzuführen, ist gescheitert. Die Bank of America (BofA) gibt sich reumütig: "Wir haben in den vergangenen Wochen sehr genau darauf gehört, was unsere Kunden sagen", heißt es in einer Mitteilung des Instituts. Als Folge beerdigt die Bank als letzte der großen Retailbanken des Landes ihre Pläne, für die Nutzung von Debitkarten, die etwa den deutschen EC-Karten entsprechen, eine Gebühr zu verlangen.

ftd.de

Die Schlussfolgerungen aus den aktuellen Geschehnissen sind offensichtlich. Der Proteststurm verlagert sich von den klassischen Medien immer mehr in die sozialen Netzwerke hinein. So berichtet das Milwaukee-Wisconsin Journal Sentinel am Fall der BofA in seinem Blog: Social media offer new outlet for complaints.

Der Protest über Banken muss somit nicht zwangsläufig immer an der Wall Street oder in den Leitmedien stattfinden. Entscheidend kann auch der weltabgewandte Blick zu den großen öffentlichen Schauplätzen sein, wo sich Veränderungen in der Provinz relativ schleichend und unbemerkt abspielen.

Der Bericht Public Opinion on Bank of America and Banks in the US and Europe on Social Media widmet sich der so genannten Sentimentanalyse, also dem Stimmungsbarometer in den sozialen Netzwerken gegenüber den Banken. Wenngleich die empirische Aussagekraft derartiger Forschungen noch wenig fundiert erscheint, so verdichtet sich allmählich ein Stimmungsbild. Nämlich, dass sich eine in der Summe einflussreiche Gegenöffentlichkeit zu der zentral gesteuerten Medienwelt herausbildet.

Das spannende Element der zunehmenden Kritik am Geschäftsgebaren der großen Finanzinstitute ist nun, dass soziale Medien als unberechenbare Größe den Fruststurm kanalisieren bzw. verstärken, solange die andere Seite nur passiv bleibt und darauf setzt, die Kritik möge sich schon wieder legen. Es bleibt zumindest fraglich, ob Banken, die gerade wegen ihrer wenig nachhaltigen Kundenphilosophie in der Dauerkritik stehen, diesem medialen Beschuss über kurz oder lang tatsächlich stand halten.

Denn einerseits tummelt sich natürlich auch die BofA längst in den sozialen Netzwerken und hebt dort ihre Servicefreundlichkeit hervor. Doch die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit fällt umso stärker ins Gewicht, wenn etwa auf futurebiz die Rede ist von einer Bank, die soziale Netzwerke als lebendigen Kosmos betrachtet, um sich via Facebook & Co. mit den Kunden auf Augenhöhe zum Dialog zu treffen.

Derart nur an der Oberfläche glatt polierte Marketingauftritte wirken angesichts der rigiden Produktpolitik wie blanker Hohn, ein negatives Abziehbild von einem "sozialen Bonusprogramm", das die BofA zynisch über ihre Kunden ausschüttet. Die aktuellen Geschehnisse scheinen somit die These zu widerlegen: Ist der Ruf erst ruiniert, dann lebt es sich ganz ungeniert.

Dass dies gerade im interaktiven Bankenuniversum nicht mehr funktioniert, darüber berichtet etwa marketingwatch.com unter der Überschrift: Social media user hate banks, but really hate Bank of America.

Andererseits gibt es Stimmen, die die Trägheit der Bankkunden wie in einer eingefahrenen Ehe betonen, also warum Kunden ihrer schlechten Großbank trotzdem die Treue halten. Oder wie es ein Artikel auf CNN Money so formuliert: "I’m addicted to my big bank", frei übersetzt etwa: "Ich bin süchtig nach meiner Großbank."

Bleibt es also in der Bankenwelt beim "business as usual" oder kommt es im Geschäftsbereich Private Banking zu größeren Korrekturen?

Zumindest in Expertenkreisen rätselt man darüber noch. Einen Einblick in Fakten und Zahlen zur BofA versucht die amerikanische Finanzseite thefinancialbrand zu geben.

Wie die Ausführungen zeigen, gibt es bei der BofA eine deutlich größere Kundenabwanderung seit diesem Herbst als allgemein unterstellt. Mehr als eine Million Kunden hätten bis Anfang November ihr Konto zu kleineren Banken wie Credit Unions und Community Banks verlagert. Die Finanzbranche wiederum versucht in der hitzigen medialen Debatte derartige Aussagen aufgrund "ihrer fragwürdigen Methodologie" ins Zwielicht zu stellen.

Dennoch hat der anhaltende "shitstorm" gegenüber der BofA, verstärkt und kanalisiert durch die sozialen Medien, mit praktisch nur noch negativen Kommentaren eine beträchtliche Dynamisierung erreicht, wenngleich es weit gravierende Beispiele von Unternehmensbashing in der Online-Welt gibt.

Somit lässt sich bilanzieren: Das alte Gesetz "tue was du willst, es ist egal, was die Kunden dazu sagen" dürfte in der Finanzbranche ein Auslaufmodell darstellen. Verändern sich die Banken nicht, wird sich der schleichende "Braindrain" von innen wie von außen verstärkt fortsetzen. Davon profitieren neben kleineren Community-Banks und genossenschaftlichen Ansätzen auch moderne Online-Banken in den USA, die sich am Puls des Kunden neu positionieren. Sie werden wachsen, während andere hoffen, nicht zu schrumpfen.

Es gibt immerhin bereits zahlreiche kreative Ansätze in den USA, zu denen die Kunden sich bei einem weiteren Festhalten der Großen am "business as usual" hin orientieren. Die Krötenwanderung hat begonnen. Das Motto der Nutzer, die von der Melkkuh zur "sozialen Killerapplikation" mutieren, lautet: No fake, also keine unnötigen Gebühren, sondern guter Service und Zinsen, sowie vor allem ein transparentes Geschäftsmodell und keine "Elfenbeinturm-Produkte".

Lothar Lochmaier arbeitet als Freier Fach- und Wirtschaftsjournalist in Berlin. Zu seinen Schwerpunkten gehören Umwelttechnik, Informationstechnologie und Managementthemen. Mit Kommunikationsabläufen und neuen Organisationsformen in der Bankenszene hat sich der Autor in zahlreichen Aufsätzen beschäftigt.

Im Mai 2010 erschien von Lothar Lochmaier das Telepolis-Buch: Die Bank sind wir - Chancen und Zukunftsperspektiven von Social Banking. Er betreibt außerdem das Weblog Social Banking 2.0..

Vor kurzem erschien von ihm als eBook der Roman: Schattenbanken. Computerhacker nehmen die fiktive Frankfurter Handelsbank ins Visier.

Sebastian Heilfrisch (48) leitet die Stabsstelle IT-Sicherheit bei der fiktiven Frankfurter Handelsbank. Das global verzweigte Institut sieht sich verstärkt Hackerattacken ausgesetzt, die nach und nach die Grundfesten der Geschäftstätigkeit erschüttern. Doch weder gelingt es, die Urheber der Angriffe ausfindig zu machen, noch greifen die eingeleiteten Gegenmaßnahmen. Am Ende scheint es keinen Ausweg aus einem alptraumhaft anmutenden Bedrohungsszenario zu geben.