Im Kriege nichts Neues
Kriege werden nicht inhumaner, wenn wir sie den Computern überlassen. Militärtechnik und Drill waren nie human
Die Methoden der Kriegsführung entwickeln sich ständig weiter, Elektronik und Automatisierung ziehen halten auch in die Militärtechnik Einzug. Ändert sich dadurch der Charakter des Krieges? Verändert sich der militärische Einsatz grundsätzlich dadurch, dass ferngesteuerte Drohnen und programmierte hochkomplexe Kampfroboter zum Einsatz kommen? In einer Beitrag für die FAZ meinte Frank Rieger kürzlich, der Einsatz von Kampfcomputern würde letztlich dazu führen, dass "die Grundfesten moralischen und humanistischen Handelns erodieren". Aber da hat er offensichtlich das Wesen des Militärischen, wie es sich spätestens im Ersten Weltkrieg manifestiert hat, gründlich missverstanden.
Spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist die Kriegsführung etwas durch und durch Technisches geworden, und das heißt nicht, dass seit dem Maschinen und mechanische, motorisierte oder später elektronische Waffen eingesetzt werden. Das Technische kommt vor allem darin zum Ausdruck, dass der Soldat klar definierten Regeln und Verfahren unterworfen wird, dass er Techniken erlernt und deren Anwendung zur Perfektion treibt.
Es kommt nicht darauf an, dass automatische Waffen eingesetzt werden, sondern dass der Soldat selbst zum Automaten wird. Er soll die Muster in seiner Umgebung erkennen und automatisiert reagieren, geplagt weder von Unsicherheiten in der Entscheidung noch von moralischen Skrupeln. Die Technik im Militäreinsatz erkennt man nicht daran, dass Maschinen aus Metall oder Plastik oder Silikon zum Einsatz kommen, sondern dass der Soldat selbst reibungslos funktioniert.
Die von Frank Rieger beschriebene Situation des Piloten, der per Funk mit seinem Vorgesetzten über einen Befehl diskutiert, ist deshalb nicht der normale Fall, sondern ein Versagen des Militärischen, der nur im Ausnahmefall vorkommt, auch in einer Armee eines demokratischen Staates.
Irrtümer passieren nicht nur den Computern
Die Möglichkeit des Versagens dieser technischen Systeme wegen falsch erkannter Muster ist beim Einsatz von Menschen "an der Front" ebenso gegeben wie beim Einsatz von Drohnen und Kampfrobotern. Der Luftangriff bei Kunduz vor drei Jahren ist dafür ebenso ein Beispiel wie die Tötung von Zivilisten in Bagdad durch amerikanische Hubschrauberpiloten 2007. Keineswegs ist die menschliche Beurteilung einer Situation zuverlässiger als die eines Computerprogramms, und gerade die Diskussion um das Beispiel aus Bagdad zeigt, dass es neben den Gewissensgründen, die den Soldaten vom Töten abhalten können, wenn er unsicher ist, auch emotionale Gründe geben kann, die ihn in solchen Situationen zum Schießen verleiten. Ein Computer hingegen kennt weder Hass noch Jagdfreude.
Eine militärische Organisation ist darauf ausgerichtet, Befehle zu befolgen und in Kampfsituationen zu agieren, ohne nachzudenken und zu zögern. Das ist die Technik des Krieges. Ob sie durch militärisches Training oder Drill der Soldaten oder durch Programmierung von Kampfrobotern sichergestellt wird, ist zweitrangig, wichtig ist, dass die militärische Technik als Einheit von trainiertem Menschen und Maschine eben perfekt funktioniert. Dieses Funktionieren ist mit den Kategorien des Humanismus überhaupt nicht zu erfassen, weil schon die Unterordnung des Soldaten unter die militärische Organisation den Humanismus quasi ausklammert. Zwar hat die "innere Führung" der Bundeswehr den Versuch unternommen, demokratisch-humanistisches Verständnis von Gemeinschaft und militärische Organisation irgendwie miteinander zu versöhnen, doch zum Glück ist es uns weitgehend erspart geblieben, zu erfahren, ob die so organisierte Bundeswehr in einem Krieg erfolgreich sein kann.
Krieg ist nicht auf Tötung aus
Wenn man den Grad von Humanität letztlich danach beurteilt, wie viele Menschen bei einem Kriegseinsatz am Leben bleiben, dann ist paradoxerweise zu erwarten, dass kommende Kriege weit "humaner" sind als die Kriege des 20. Jahrhunderts. Denn im Krieg, so merkwürdig es klingt, geht es ja nicht um physische Vernichtung von Menschen, sondern um die Zerstörung der Kampfkraft, eben der militärischen Technik. Der Feind muss und soll ja physisch nicht vernichtet werden, er soll unterworfen werden. Nur so lange die militärische Technik eben vor allem in der Kampftechnik der gegnerischen Soldaten besteht, werden diese im Krieg auch notwendigerweise getötet.
Wenn durch Automatisierung und Programmierung die militärische Technik nur noch in Maschinen verfügbar ist, dann müssen auch nur noch diese Maschinen und nicht mehr die Soldaten vernichtet werden. Das ist eine Tendenz, die sich in früheren Kriegen schon andeutete und die im Krieg der Drohnen und Kampfroboter zur Vollendung kommt.
Man könnte einwenden, dass dies nur für den symmetrischen Krieg gilt, in dem beide Kriegsparteien auf dem gleichen Niveau der Technik der Kriegsführung arbeiten. In einem solchen Falle würden irgendwann nur noch Roboter feindliche Roboter vernichten. Diese Situation ist in den gegenwärtigen Kriegen allerdings nicht anzutreffen. Der Krieg wird aber dadurch weder humaner noch inhumaner, dass der afghanische Talibankämpfer, wenn er einen amerikanischen Hubschrauber abschießt, dabei heute auch noch zwei Besatzungsmitglieder mit tötet. Auch hier verändert sich nichts durch die neue Stufe der Militärtechnik.
Es gibt keinen grundsätzlichen Wandel im Militärischen, wenn an der Front, im unmittelbaren Kampfeinsatz, Soldaten durch Maschinen und Computer ersetzt werden. Gedrillte Soldaten sind –so zynisch das klingt – genauso ersetzbar wie Maschinen, sie sind ebenso "programmierbar" und "fehlbar". Der Krieg war schon immer etwas, was Humanität schon ausgeschaltet hat, bevor der Kampf begann.