Im SPIEGEL des BND
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Besonderes eng waren die Kontakte zum wohl einflussreichsten politischen Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL. SS-Kamerad Mahnke berichtete umfangreich aus der Redaktion an die „Org“, von wo man umgekehrt den SPIEGEL mit Kolportagen versorgte und sogar Journalisten für Spionagetätigkeiten im Ausland gewinnen wollte. Gehlen hatte insbesondere Informationen über Adenauers politischen Gegner, ließ etlichen Politikern, die er für vaterlandslose Gesellen hielt, hinterher schnüffeln, womit er sich beim hochbelasteten Hans Globke unentbehrlich machte, der hinter Adenauer die Fäden zog.
Der geschäftsführende Redakteur, späterer Chefredakteur und Verlagsdirektor des SPIEGELs, Hans Detlev Becker, pflegte eine persönliche Freundschaft mit Gehlens Hamburger Statthalter BND-Vizepräsident Hans-Heinrich Worgitzky. Der Kontakt zum BND war so eng, dass der Hamburger Innensenator bei der Besetzung der vakant gewordene Stelle des BND-Vizepräsidenten Becker als Kandidat vorschlug.
Dem mächtigen General der Schattenarmee widmete DER SPIEGEL 1954 sogar eine freundliche Titel-Story, ein gewichtiger Beitrag zur Legende des umstrittenen Schattenmannes, den ein Nebel etlicher Gerüchte umgab. Gehlen wurde als tüchtiger Feindaufklärer vorgestellt, dessen zunehmend pessimistischen Einschätzungen zum Krieg im Osten dem Führer missfallen hätten. Die Qualität eben jener Lagebeurteilung Gehlens wurde allerdings Jahrzehnte später ebenfalls als realitätsfern beurteilt - ausgerechnet vom Institut für Zeitgeschichte, von dem Koch nun enthüllte, dass es 1947 selbst ursprünglich als Tarnobjekt der Org gegründet wurde, um Informationen jüngster Geschichte zu kontrollieren.
Während sich Gehlen im Machtkampf um die Führung seines Geheimdienstes durchgesetzt hatte und Subversion gegen den Osten koordinierte, war der General bei der Leitung der Mitte der 50er Jahre neugegründeten Bundeswehr nicht zum (Feld-)Zuge gekommen. Für Gehlen war es eine ausgemachte Sache gewesen, dass der Krieg gegen den Osten nur eine Frage der Zeit sei, den vorzubereiten sein Lebenswerk sein sollte.
Hatte DER SPIEGEL die 1956 zum Bundesnachrichtendienst legalisierte Org verhältnismäßig geschont, erschien über die mäßig schlagkräftige Bundeswehr 1962 der legendäre Artikel „Bedingt abwehrbereit“, der in die SPIEGEL-Affäre mündete und damit den Mythos eines politisch „links stehenden“ Magazins begründete. Augstein und Becker, die für die Pressefreiheit PR-wirksam ins Gefängnis gingen, standen jedoch etwa dem rechtslastigen BND nicht fern.
Mancher wähnte gar ein Komplott Augstein/Gehlen gegen Strauß; während der SPIEGEL-Affäre durchsuchte das BKA auch die Villa Gehlens. Der von Verteidigungsminister Strauß als „Abgrund von Landesverrat“ bewertete Beitrag festigte erstaunlicherweise die Beziehung des Nachrichtenmagazins zum Nachrichtendienst; für Journalisten gehörte ein direkter Draht nach Pullach zum Prestige.
Im Zuge der 68er-Bewegung fanden sich in der SPIEGEL-Redaktion linke Geister ein, unter anderem Dietrich Staritz – ein Perspektivagent des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Staritz berichtete allerdings zeitgleich auch an die Konkurrenz vom Bundesamt für Verfassungsschutz, weshalb unklar ist, wem seine Loyalität tatsächlich galt. Erst 1971 relativierte DER SPIEGEL die enge Zusammenarbeit mit dem BND durch die bereits erwähnte kritische Serie „Pullach intern“, die als erste ernstzunehmende Darstellung des BND gilt.
Der bloßgestellte Gehlen wandte sich daraufhin persönlich an DIE WELT des Axel Springer-Verlags, wo er ein Jahr später seine verklärte Autobiographie Der Dienst im Vorabdruck veröffentlichte. Der STERN pflegte einen direkten Draht nach Pullach. Vor allem die schlüpfrige wie national orientierte Postille QUICK, deren Chefsekretärin zuvor für Hitler persönlich getippt hatte, geriet zum Tummelplatz deutscher Agenten aus Ost und West. Seinen Linksruck revidierte DER SPIEGEL bald auf personeller Ebene. Doch DDR-Spionagechef Markus Wolf gelang es schon kurz darauf, andere Zuträger in der wichtigen Redaktion zu platzieren, etwa 1974 Diethelm Schröder.
Die Regierung Brandt war von der geheimdienstlichen Unterwanderung der Medien durch den BND entsetzt, der nahezu in jeder wichtigen Redaktion Verbindungsleute hatte. Kanzleramtsminister Horst Ehmke verfügte eine Beendigung dieser subversiven Quasi-Gleichschaltung. Doch auch in den Folgejahren infiltrierte der Auslandsgeheimdienst im Inland Presseunternehmen. Manche Journalisten fielen durch eine anrüchige Nähe zum BND auf. Andere arbeiteten sogar unmittelbar für den BND unter der Tarnung von Journalismus, so etwa Wilhelm Dietl, der nach seiner Zeit als Auslandsaufklärer über Geheimdienstthemen beim FOCUS schrieb.
SPIEGEL im Spiegel
Auch in den Jahrzehnten nach „Pullach intern“ blieb es ein Verdienst des SPIEGELs, Skandale des BND publik zu machen. Bemerkenswert ist dennoch, wie der SPIEGEL mit der Kritik am Personal seiner ersten beiden Jahrzehnte umgeht. Bereits 1996 hatte das Hamburger Nachrichtenmagazin beredt geschwiegen, als Lutz Hachmeister die braune Vergangenheit des ursprünglichen SPIEGEL-Personals öffentlich machte. Ebenso 1998, als Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom in seinem Buch "Undercover" die 1970 für das Bundeskanzleramt erstellte Liste mit BND-Verbindungsjournalisten veröffentlichte.
Nach der zum 60jährigen Jubiläum erneut (und diesmal aus den eigenen Reihen) aufgeflammten Kritik interviewte der SPIEGEL 2007 immerhin den ehemaligen Verlagsdirektor Hans Detlev Becker zu den braunen Kameraden. Beckers nun historische BND-Nähe und seine ihm damals nachgesagten und offenbar nicht dementierten Ambitionen, sogar selbst eine Leitungsfunktion im BND anzustreben, wurden jedoch ausgespart.
Im Gegensatz zu etlichen anderen Medien, darunter sogar Axel Springers BILD-Zeitung, war Kochs nun erschienenes Buch dem SPIEGEL bislang keine Zeile wert. Damit zeigt sich ausgerechnet ein auf Enthüllungsjournalismus abonniertes Blatt ungleich verschlossener als die Geheimdienste. Die CIA etwa gibt ihre Archive nach Zeitablauf zum Großteil frei, das MfS ist weitgehend der Forschung zugänglich, sogar der BND hat wenigstens pro Forma Historiker beauftragt, nun eine offizielle Geschichte des wichtigsten deutschen Geheimdienstes zu schreiben – wobei ihm freie Autoren wie Koch, die sich des bereits zugänglichen CIA-Materials bedienen, offensichtlich zuvorkommen.
Der jedenfalls in seinen ersten Jahrzehnten eher nicht allzu staatsferne SPIEGEL unterliegt als private Institution nicht dem Informationsfreiheitsgesetz, muss auch von Rechts wegen also nicht eines fernen Tages seine Akten öffnen, sondern darf sein Herrschaftswissen bewahren. Bis zur nächsten Aktenfreigabe eines Geheimdienstes oder einem Leak bleibt es dann wohl Spekulation, wer was wem warum im SPIEGEL in die Feder diktierte, und was unter den Tisch zu fallen hatte.
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