Im Takt

Auf der Suche nach der inneren Uhr sind zwei amerikanische Wissenschaftler einem Protein auf die Spur gekommen

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Die biologische Uhr, die in jedem Organismus die verschiedensten körperlichen Aktivitäten in einem bestimmten, jeden Tag gleichen Rhythmus steuert, beruht im Wesentlichen auf einem einzigen Protein. Das will jetzt das Wissenschaftlerehepaar D. James und Dorothy Morre von der Purdue University herausgefunden haben. In der Fachzeitschrift Biochemistry beschreiben sie, wie dieses Protein die Dauer der Aktivität und Inaktivität von Zellen bestimmt und wie man durch seine gezielte Veränderung die Länge eines typischen Tages für den Organismus beeinflussen kann, was von besonderer Bedeutung in der Medizin wäre.

"Wir beginnen jetzt die komplexe Aufgabe zu verstehen, die die biologische Uhr im Körper spielt", so James Morre, Professor für chemische Medizin an der School of Pharmacy an der Purdue University, der sich bereits seit vier Jahrzehnten mit dem sogenannten zirkadianischen Rhythmus beschäftigt. "Da die biologische Uhr nahezu jede körperliche Aktivität beeinflusst, besitzt deren Veränderung ein unvorstellbares medizinisches Potential, wie beispielsweise den Jetlag zu minimieren oder den bestmöglichen Zeitpunkt für die Gabe eines Krebsmedikamentes zu bestimmen". Schon länger sind solche Beziehungen bekannt, wobei auch jedes Organ seine eigene biologische Uhr besitzt: so schüttet beispielsweise die Nebenniere immer am Morgen größere Mengen Cortison aus. Um diesen Rhythmus möglichst wenig zu stören, werden Cortison-Medikamente eher morgens verabreicht. Besonders nachts produziert der Körper Cholesterin, weswegen Medikamente zur Senkung des Cholesterinspiegels am Besten abends einzunehmen sind. Bereits Anfang der 60er Jahre beobachteten Mediziner bei Krebspatienten und älteren Personen negative Beeinträchtigungen, die sie auf Störungen der biologischen Uhr zurückführten. Später fand man auch heraus, dass Astronauten unter Knochenverlust und Muskelschwäche litten, weil ihre biologische Uhr durch die Raumfahrt durcheinander gekommen ist. Gleichermaßen sieht es beim Jetlag aus.

Dabei basieren erste Ansätze auf Experimenten in den 60er Jahren. Da Wasser in den meisten lebenswichtigen biochemischen Reaktionen eine wichtige Rolle spielt, untersuchte man Reaktionen in Lebensprozessen nicht mit normalem, sondern mit schwerem Wasser, das anstelle von leichtem Wasserstoff das doppelt so schwere Wassserstoffisotop Deuterium enthält und daher weniger reaktionsfähig ist als leichtes Wasser, was es aber gleichzeitig giftig macht, da es Prozesse im Organismus zu langsam ablaufen lässt. "Experimente zeigten, dass Zellen bei der Zufuhr von schwerem Wasser einen 27-Stunden-Tag hatten, statt 24 Stunden wie normal", erläutert Morre. "Das war ein Hinweis, dass die biologische Uhr auf biochemischer Basis arbeiten musste, aber das wurde aufgrund von anderen Erklärungsmöglichkeiten zwischenzeitlich einfach vergessen." Erst vierzig Jahre später kamen die Morres wieder bei einem Experiment auf diesen Mechanismus zurück. Sie stellten fest, dass sich Zellen nicht kontinuierlich, sondern in einem festen Zyklus vergrößern: sie wachsen 12 Minuten lang, danach passiert weitere 12 Minuten nichts, bevor das Wachstum erneut einsetzt. Da die komplexe Interaktion von Proteinen viele Aktivitäten in Zellen steuern, dachte sich Morre, dass einige noch unbekannte Proteine möglicherweise für diesen 24-Minuten-Rhythmus verantwortlich sein könnten.

Nach mehreren Versuchen identifizierte Morre ein zylinderförmiges Protein, das anscheinend den Wachstumszyklus steuert. "Dieses zweiseitige Protein erfüllt zwei Aufgaben", erklärt Morre. "Die eine Seite steuert das Zellwachstum 12 Minuten lang, anschließend dreht sich das Protein, so dass die zweite Seite andere Aufgaben in der Zelle 12 Minuten lang wahrnimmt, während das Zellwachstum ruht." Zweiseitige Proteine sind nichts Neues, einzigartig an diesem Protein ist jedoch die Eigenschaft, dass sich seine Aufgaben in einem festen zeitlichen Rahmen abwechseln. Um zu beweisen, dass das entdeckte Protein nicht nur für das Zellwachstum, sondern auch für den zeitlichen Rhythmus zuständig ist, isolierte ein Mitarbeiter Morres jenes Gen, das für die Herstellung des besagten Proteins zuständig ist. Anschließend klonten die Wissenschaftler das Protein im Labor und veränderten die Periodenzeiten. "Wir konnten die einzelnen Perioden zwischen 22 und 42 Minuten quasi einstellen", erklärt Morre. Entsprechend verlängert sich auch der Tag für die Zelle, der normalerweise präzise 60 mal dem Proteinzyklus entspricht (24 Minuten * 60 =1.440 Minuten = 24 Stunden = 1 Tag). "Auch die alte Theorie, dass schweres Wasser den Zyklus auf 27 Minuten verlängerte, fanden wir bestätigt".

Mit diesem Ergebnis erhofft sich der Forscher nun neue Einsichten in die Frage, wie sich ein Organismus die Zeit einteilt. "Das könnte uns neue Einsichten in die verschiedensten Zellaktivitäten geben, wie beispielsweise der Hormonproduktion, Cholesterinsynthese, dem Herzrhythmus, Reaktion auf Medikamente oder Müdigkeit und Schlaf." Zwar ist es zur Zeit noch schwierig, die Zyklusdauer herab- oder heraufzusetzen, einfacher stellen sich die beiden Wissenschaftler jedoch einen "Reset", also ein Zurücksetzen der biologischen Uhr vor auf ihren Ausgangszyklus, was beispielsweise bei Schlafstörungen helfen könnte. Für die Korrekturen beim Jetlag oder um Bewohner der Arktis mit ihren unterschiedlichen Tages- und Nachtzyklen müsste hingegen der Zyklus der biologischen Uhr genauer steuerbar sein. Allerdings gestaltet sich der Umgang mit dem Protein noch recht schwierig. "Normalerweise kristallisieren wir unbekannte Proteine und setzen sie starken Röntgenstrahlen aus, um sie zu untersuchen", erklärt Morre. Dieses Protein lässt sich jedoch nicht kristallisieren, da es sich ständig bewegt. "Könnten wir erst einmal ein besseres Bild des Proteins bekommen, dann wäre das Erschließen von zukünftigen Anwendungen sicherlich einfacher".

Dass sich der Rhythmus der biologischen Uhr zumindest moderat verändern lässt, konnten vergangene Studien bereits nachweisen. So stellte beispielsweise Samir Bangalore an der Northwestern University Medical School in Chicago fest, dass sich die biologische Uhr von Menschen beeinflussen oder gar zurücksetzen lässt, wenn man ihren Schlaf unterbricht und sie einige Stunden mit Licht bestrahlt (Blaues Licht steuert den Körperrhythmus). Daneben soll das Molekül PK2, das Wissenschaftler am Irvine College of Medicine der Universität von Columbia entdeckt haben und das vom Gehirn nur am Tag und nicht in der Nacht produziert und an den restlichen Körper gesendet wird, den Tag-Nacht-Rhythmus im Organismus vorgeben. Zusammen mit der gefühlten Temperatur können Pflanzen dadurch beispielsweise Jahreszeiten erkennen, beim Menschen können kürzere Tage saisonale (Herbst-) Depressionen auslösen. Licht scheint ohnehin ein wichtiger Faktor bei der Rückstellung der biologischen Uhr zu sein: da unser 24-Stundenrhythmus um etwa 18 Minuten länger ist als die tägliche Drehung der Erde, muss sich der Körper jeden Morgen bei Licht wieder neu einstellen, um im Rhythmus zu bleiben.