Image des Schwarzfahrens: Wenn Sprachkosmetik soziale Kämpfe ersetzt
Schwarzfahren war für Linke der 1970er Jahre nicht anrüchig, sondern rebellisch. Heute erreicht der antirassistische Kampf die letzte Etappe. Dann wird der Kampf abgebrochen
Wie die Hauptstadtpresse am 9. Juli berichtete, folgen die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) dem Beispiel des MVV München und wollen den Begriff "Schwarzfahren" nicht mehr verwenden. Die Münchner Verkehrsbetriebe hatten alle Plakate abgehängt, auf denen vor "Schwarzfahren" gewarnt wurde. Statt "Schwarzfahren kostet 60 Euro!" heißt es nun: "Ehrlich fährt am längsten."
In Berlin greift nun das "Diversity-Programm" des Berliner Senats, das diskriminierende Sprachregelungen ersetzen soll. Allerdings stellte BVG-Pressesprecherin Petra Nelken gegenüber dem Berliner Kurier klar, dass nichts abgeschafft werden kann, was es nicht gab. In offiziellen Schreiben oder Dokumenten der BVG sei das Wort noch nie verwendet worden. Darin hieß es laut der Sprecherin schon immer "Fahren ohne gültigen Fahrschein".
Die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland Bund (ISD) feiert die Ankündigung der Verkehrsgesellschaften in Berlin und München. "Es ist begrüßenswert, denn der Begriff hat für schwarze Menschen einen negativen Anklang", sagte der Sprecher der Initiative, Tahir Della, am der Nachrichtenagentur AFP. "Es wird damit assoziiert, dass Schwarzes für etwas Negatives steht."
Mobilität für alle
Ich habe sofort Stimmen im Ohr, die sagen: Auch Sprache kann Gewalt, kann diskriminierend sein. Und das stimmt auch. Aber wie wäre es, wenn wir zuerst und vor allem die Verhältnisse ändern, die sich in der Sprache spiegeln?
Ich möchte diesen Einspruch von der sprachabgewandten Seite erklären. In den 1970er-Jahren war "Schwarzfahren" eine politische Haltung. Es gehörte zum Rebellisch-sein, zum antiautoritären Lebensentwurf. Natürlich war es auch billiger, wenn man sich nicht oder selten erwischen ließ, aber es gab auch eine gesellschaftliche Vision, die sich über das Bestehende hinauswagte: Der öffentliche Nahverkehr sollte allen zur Verfügung stehen, jenseits des Geldes, das man dafür hat oder eben nicht.
Mit diesem Verständnis kämpfte man auch für den kostenlosen Zutritt zu städtischen Kultur- und Freizeiteinrichtungen. Es gab zur Durchsetzung zahlreiche Aktionsformen: von Nulltarif-Aktionen bis hin zur Kampagne "Roter Punkt" gegen Fahrpreiserhöhungen.
Schwarzfahren war also in diesem politischen Kontext nichts Anrüchiges, nichts Aussätziges. Wenn wir also vom Schwarzfahren redeten, für das Schwarzfahren warben, dann war der Rassismus das Letzte, was wir damit angestoßen haben.
Nun ist es Fakt, dass dieser Kampf um freien Zugang zu gesellschaftlichen Gütern kaum noch geführt wird, geschweige denn Sympathien genießt. Erst die Veränderungen dieser materiellen Bedingungen und Selbstverständlichkeiten haben es ermöglicht, dem Wort "Schwarzfahren" selbst in linken Kreisen eine andere Konnotation, eine andere Einfärbung zu verpassen.
Anstatt das Wort Schwarzfahren zu tilgen, könnte man dem Wort "Schwarzfahren" ja theoretisch die Bedeutung zurückgeben, die es auch einmal hatte - und das würde mehr bedeuten, als sprachlich korrekt zu sein.
Was wäre, wenn wir demnächst alle schwarzfahren würden, um für das Recht auf Mobilität und einen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr zu demonstrieren, wie es ihn schon in manchen europäischen Städten gibt? Dann würde sich die Sache mit der Hautfarbe ganz schnell erledigen.
Ich habe noch einen anderen Vorschlag, der ganz sicher gesetzeskonform ist und nicht ganz so viel persönlichen Einsatz erfordert, sondern nur Zuhören, denn der Kabarettist Hagen Rether erklärt uns das ganz leicht verständlich so:
Früher hießen sie Zigeuner und durften bleiben,
heute heißen sie Sinti und Roma und werden ausgewiesen.
Wir schieben politisch korrekt ab.
Phänomenales und knallharte Realität
In letzten Zeit, also in den letzten Jahren wird viel über die Macht, die Gewalt der Sprache geredet und gestritten. Vor dem "Schwarzfahren" ging es um den "Negerkuss", davor um das "Zigeunerschnitzel". Ohne Frage können auch Worte, kann Sprache dazu beitragen, dass sich etwas verfestigt, sich etwas in den alltäglichen Umgang einschleicht, was Rassismus befördert und normalisiert.
Beim Wort "Schwarzfahren" ist die Debatte ein klein wenig aus der Spur geraten, denn sehr viele brachten dieses Wort nicht im Entferntesten mit einer rassistischen Wertung oder Zuschreibung in Verbindung. Nun wird man schnell den Einwurf hören, dass man eben jetzt sensibler sei für das, was mit der Sprache transportiert wird. Wer möchte also gegen mehr Sensibilität ins Feld ziehen - zumal "ins Feld ziehen" eine deutlich militaristische Note beinhaltet. Nichts spricht gegen mehr Sensibilität, mehr Empathie.
Doch fällt dabei nicht etwas auf? Ein Ungleichgewicht? Wir schlagen uns um die Macht, um die Gewalt der Worte. Wenn es darum geht, ist die Debattenbereitschaft ganz groß. Man kann sich vor Kommentaren und Gegenkommentaren kaum retten. Aber warum korrespondiert dies so auffällig mit einem Schweigen, mit einem Hinnehmen von all dem, was Worte nur zementieren? Haben wir uns an das Wesentliche bereits so gewöhnt, dass wir uns nur noch an den Phänomenen die Haare ausreißen können?