Impfchaos in Südamerika
In Argentinien und Brasilien hätte der Sommer auf der Südhalbkugel die Pandemie zurückdrängen können. Doch es fehlt eine einheitliche Linie. Pfizer mit inakzeptablen Bedingungen
Eigentlich sollte sich die Corona-Krise auf der südlichen Halbkugel entspannen. Hier ist es Hochsommer, die Kneipen sind wieder offen und die Tourismusbranche will die Verluste der vergangenen Monate ausgleichen. Doch es gibt keine gemeinsame Strategie, weder eine kontinentale noch eine nationale.
Brasilien hat bis vor kurzem keine Bedingungen an Touristen aus aller Welt gestellt; Argentinien setzt weiter auf repressive Maßnahmen und verordnet sogar Maske für den Spaziergang am Strand; Uruguay macht ganz dicht und will, vorerst bis zum 10. Januar, nicht einmal Staatsbürger einreisen lassen. Nur wer sein Ticket schon gekauft hat, darf kommen. Dabei ist der Tourismus dort die wichtigste Einnahmequelle.
Sputnik in Argentinien
Die Regierung in Buenos Aires wollte noch in diesem Jahr mit großflächiger Impfung beginnen und hatte den internationalen Flughafen wieder geöffnet. Wer einen PCR-Test vorweisen kann, ist willkommen. Das Land steht vor dem Bankrott, da zählt jeder US-Dollar oder Euro. Dann kam die Nachricht des mutierten britischen Virus, und Flüge aus London sind bis auf weiteres ausgesetzt.
In der Casa Rosada, dem Regierungssitz, wird laut überlegt, die Grenzen erneut zu schließen, entweder nach uruguayischem Vorbild – rien de va plus – oder "chirurgisch", wie es heißt: dass nur bestimmte Länder auf die rote Liste gesetzt werden. Gemeint ist vor allem Brasilien. Mit der Regierung in Brasília liegt man aus ideologischen Gründen sowieso im Clinch.
Sollen doch die Sonnenhungrigen besser an den unattraktiveren Stränden im Süden Argentiniens ihr Urlaubsgeld ausgeben! Ob man auch Mexiko, das ebenfalls auf Restriktionen verzichtet, auf die rote Liste setzen will, ist noch nicht klar; mit der dortigen links-liberalen Regierung hat man gute Beziehungen.
Präsident Alberto Fernández steht mit dem Rücken an der Wand. Die Statistiken der Covid-Toten zeigen, dass das komplette Lahmlegen der Wirtschaft und der Gesellschaft dasselbe katastrophale Ergebnis hatte wie der brasilianische Weg des Laissez-faire.
So wurde der Impfstoff zum Heilsbringer, und Argentinien erlaubte den beiden US-Unternehmen Pfizer und Moderna Tests an Freiwilligen. Den Testpersonen (und der Regierung) wurde versprochen, dass sie privilegiert behandelt und als Erste geimpft würden, jedenfalls diejenigen, denen man kein Placebo gespritzt hatte.
Doch nun musste das Gesundheitsministerium zugeben, dass weder Pfizer/BioNtech noch Moderna oder AstraZeneca den ersehnten Stoff liefern werden. Pfizer habe "unakzeptable Bedingungen" gestellt, so Minister Ginés González García. Der Konzern habe darauf bestanden, dass
- Argentinien darauf verzichtet, mögliche juristische Auseinandersetzungen vor heimischen Gerichten auszutragen;
- das Unternehmen im Streitfall das Gericht aussucht;
- Argentinien die Entschädigungen zahlt, die aufgrund von Nebenwirkungen eingeklagt werden und;
- Vertraulichkeit gewahrt bleibt.
Der argentinische Kongress hat aber darauf bestanden, dass der Pharmakonzern die Haftung übernehmen müsse. Das habe Pfizer abgelehnt.
Die Opposition vermutet überhöhte Schmiergeldforderungen und hat Pfizer schriftlich zu einer Klärung gefordert. Ob sich das Pharmaunternehmen dazu äußert, ist fraglich.
Übrig bleibt das russische Vakzin Sputnik V. Der sollte eigentlich am 24. Dezember eintreffen, als Weihnachtsgeschenk, das aus der Kälte kam. Doch daraus wird nichts, angeblich haben die Russen die Landeerlaubnis für das Transportflugzeug verweigert.
So wird weiter auf eine Lieferung am Jahresende gehofft. Aber schon jetzt ist klar, dass vorerst nur 300.000 Dosen kommen werden, die für 150.000 Patienten reichen, bei einer Bevölkerung von 45 Millionen. Und ob Sputnik V auch gegen das neue Virus aus England immunisiert, steht in den Sternen.
Details des kommerziellen Abkommens mit Moskau sind geheim, der 4.000-Seiten Vertrag, in großen Teilen verfasst in kyrillischer Schrift, soll ausschließlich in Form einer verschlüsselten und nicht kopierbaren Datei auf einem USB-Stick existieren, schrieb die argentinische Nachrichtenseite elDiarioAR.
Die Impfbereitschaft hat deutlich nachgelassen, nachdem die russische Vize-Premierministerin,Tatiana Golikova gewarnt hatte, dass der Patient nach der Impfung 42 Tage lang auf Alkohol und Medikamente verzichten soll. Später wurde die Frist gar auf 56 Tage erhöht. Und zu allem Überfluss sagte Russlands Präsident Wladmir Putin auf einer Pressekonferenz, er habe sich bisher nicht impfen lassen, da dies für sein Alter nicht empfohlen sei.
Machtkampf in Brasilien
In Brasilien sind bisher 187.000 Personen im Zusammenhang mit Corona-Infektionen gestorben, und immer noch steigen die Ansteckungen. Nur widerwillig hat Präsident Jair Bolsonaro jetzt verfügt, dass Einreisende einen negativen PCR-Test vorweisen müssen. Aber es gibt keine klare Linie im Land. Jeder Ort verhängt seine eigenen Sanktionen, die dann von den Obergerichten aufgehoben werden.
So geschehen im Badeort Buzios. Das örtliche Gericht hatte entschieden, dass alle Touristen binnen 72 Stunden abreisen müssen und dass Hotels keine neuen Gäste mehr aufnehmen dürfen. Die Menschen protestierten, der Ort lebt vom Tourismus.
Zwischen März und August waren die Herbergen geschlossen, und die Hauptsaison sollte die Verluste wieder reinholen. Das Rathaus ging in Berufung, und der Oberste Gerichtshof des Bundesstaates Rio de Janeiro hob die Entscheidung mit der Begründung auf, dass nicht Richter sondern Behörden diese restriktiven Maßnahmen beschließen müssen.
Das brasilianische Oberste Gericht hatte eine Impfpflicht für verfassungskonform erklärt, wogegen Bolsonaro heftig im Fernsehen wetterte: in Zukunft würden Bürger keinen Pass oder Führerschein bekommen, den Nahverkehr nicht mehr benutzen dürfen oder sogar in häuslichen Arrest gesteckt werden. Er kritisierte den Vertrag, den Pfizer/BionNtech vorgelegt hatte, der den Pharmakonzern von der Haftung freistellt.
Pfizer hatte in Brasilien den Stoff testen lassen. "Wer sich (impfen lassen will und sich) in einen Kaiman verwandelt, hat selbst Schuld", so Bolsonaro. Er werde sich nicht immunisieren lassen, und wer ihn dafür als "schlechtes Vorbild" bezeichne, sei ein "Vollidiot und Schwachkopf". Er sei bereits an Covid erkrankt und habe Antikörper.
Das Gesundheitsministerium hat bisher keinen nationalen Plan vorgelegt, und jeder Bundesstaat erlässt seine eigenen Regeln. So hat der Gouverneur von São Paulo entschieden, dass das staatliche Gesundheitsinstitut Butantan 3,1 Millionen Dosen Coronavac aus der Volksrepublik China einkauft, um mit der Impfung im Bundesstaat ab dem 25. Januar zu beginnen. Es kann also nur besser werden.