Impfpflicht: Placebo gegen Pandemie

Seite 2: Wie soll die Impfpflicht eigentlich umgesetzt werden?

Klar ist: Die einrichtungsbezogene Impfpflicht darf kein zahnloser Tiger sein. Klar ist aber auch: Die Versorgung der Patientinnen und Patienten sowie der Bewohnerinnen und Bewohner darf nicht gefährdet werden.

Der Gesundheitsminister bekräftigte seine Forderung an den Bund, für den Vollzug der einrichtungsbezogenen Impfpflicht rasch klare, bundesweit einheitliche Vorgaben zu machen: "Wir brauchen eindeutige Leitlinien zur Gewichtung der Versorgungssicherheit. (…) Wir dürfen die Gesundheitsämter hier nicht alleine lassen."

Pressemitteilung der Bayerischen Landesregierung

Tatsächlich ist die Umsetzung einer strafbewehrten gesetzlichen Zwangsregelung bislang weitgehend ungeklärt. Hinzu kommt, dass weder die Bundesregierung noch die Regierungsfraktionen im Bundestag überzeugende Antworten auf die verfassungsrechtlich schwierige Abwägung individueller Grundrechte gegenüber dem angestrebten Kollektivschutz geben konnten.

Wegen der komplizierten Rechtslage, so schwurbelte es aus Regierungskreisen Anfang Januar, müsse die ursprünglich für März geplante Einführung erster Zwangsregelungen durch ein wieder einmal novelliertes Infektionsschutzgesetz verschoben werden.

Das war eine massive Beschönigung. Tatsächlich werden die Chancen, das Gesetzesvorhaben in seinem ursprünglich geplanten Umfang durchzubekommen, angesichts milderer Covid-19-Verläufe und steigender Infektionszahlen auch unter Personen mit einer dritten Auffrischungsimpfung durch die Omikron-Variante immer geringer.

Vertretern der Ampel-Fraktionen im Bundestag ist das wohl bewusst, wie ihre Relativierungen belegen: Eine Impfpflicht solle nur für bestimmte Altersgruppen gelten, nur für drei Impfungen, nur für einen begrenzten Zeitraum … Und das soll der Ausweg aus zwei krisenpolitischen Chaosjahren sein?

Impfpflicht statt Anerkennung und Entlastung

Das Beharren auf eine Pandemiepolitik, die eine Pflicht zur Impfung als Lösung aller epidemiologischen Herausforderungen propagiert, ist ein gefährliches politisches Placebo: Scheinmedikamente aber nutzen nur, wenn man an ihre Wirkung glaubt. Das scheint selbst bei den Autoren der jüngsten Gesetzesentwürfe nicht mehr uneingeschränkt der Fall zu sein.

In der Bevölkerung sowieso nicht: Gerade einmal 46 Prozent lehnen eine Aussetzung der Impfpflicht-Pläne derzeit zwar ab, 41 Prozent aber sind laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes YouGov gegen die Impfpflicht für Personal von Kliniken und Pflegeheimen.

Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) haben sich aus dem Gesundheits- und Sozialwesen im Dezember und Januar 25.000 mehr Menschen als üblich arbeitssuchend gemeldet, davon 12.000 aus der Pflege. Die Beschwichtigung von BA-Vorstandsmitglied Daniel Terzenbach, man brauche sich über diesen Trend keine Sorgen machen, dürfte auf chronisch unterbesetzten Krankenhausstationen, vorwiegend jenen der Intensivmedizin, und Pflegeeinrichtungen nur wenig Unterstützung finden.

Das schließlich führt zur Königsfrage, wann die Verbesserungen der Gesundheitsversorgung endlich in Angriff genommen werden. Was ist eigentlich aus Bonuszahlungen für Pflegekräfte geworden? Was aus gleich mehreren ministerialen Initiativen zum Auf- und Ausbau der Pflege?

Statt der versprochenen Anerkennung und Entlastung kommt aus Berlin bislang vordergründig nur eine gesetzliche Pflichtregelung. Zur Motivation der "Corona-Helden" dürfte das ebenso wenig beitragen wie zur Einhegung des Virus in dem erhofften Maße.