Impfstoff für alle?
Die Impfungen kommen in Deutschland nur schleppend voran - während große Mengen Impfstoff auf Halde stehen
Seit Beginn der Impfkampagne wurden in Deutschland 5,9 Millionen Impfdosen verabreicht. Bislang wurden knapp 4,6 von 100 Einwohnern zumindest einmal geimpft. Etwa zweieinhalb Prozent der Bevölkerung haben Zweitimpfungen erhalten (Stand: 26.02.). Insgesamt wurden in der letzten Woche etwa eine Million Impfdosen verimpft.
Dass es auch schneller gehen könnte, haben andere schon bewiesen (Impfkönigin gegen Impfstoffzar). In Großbritannien wurden kumulativ bereits 30 Impfdosen pro 100 Einwohnern und in Israel sogar mehr als 92 Impfdosen pro 100 Einwohnern verabreicht. Dabei ist die Größe eines Landes nicht der einzige relevante Parameter: In Großbritannien wurden bereits mehr als 20 Millionen Menschen mindestens einmal gegen das Coronavirus geimpft.
Versäumnisse in der Impfstoff-Akquise der dafür zuständigen Behördenvertreter sind sicherlich ein Grund für den schleppenden Fortschritt der deutschen "Impfkampagne". Dass es jedoch nicht nur am Impfstoffmangel liegt, wenn die Maßnahmen nur sehr zögerlich vorankommen, das belegen die Berichte über Impfstoff-Vorräte, die anscheinend ungenutzt herumliegen.
Medienberichten zufolge stehen "größere Mengen" des Impfstoffs von AstraZeneca auf Halde. Die Tagesschau spricht von "Hunderttausenden" Dosen, der Spiegel von "mehr als einer Million" Dosen.
Der Impfstoff des britisch-schwedischen Herstellers kämpft hierzulande mit einem Image-Problem. Angeblich lehnen ihn viele Menschen aufgrund möglicher Nebenwirkungen ab. Allerdings ist der Impfstoff von AstraZeneca in Deutschland nur für Menschen unter 65 zugelassen - doch von diesen sind viele offiziell noch nicht mit dem Impfen an der Reihe.
Vermutlich, um zu verhindern, dass man darauf wartet, dass teurer und dringend benötigter Impfstoff verdirbt, während man eifrig die offizielle Impfreihenfolge einhält, haben sich am Sonntag die Ministerpräsidenten von Bayern und Baden-Württemberg gemeldet. Sie plädieren für eine Freigabe des Impfstoffs für Alle.
"Bevor er liegen bleibt, impfen, wer will", sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder am Sonntag. "Es darf keine Dosis übrigbleiben oder weggeschmissen werden. Jeder Geimpfte schützt sich und andere."
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann sprach sich am Sonntag ebenfalls für Pragmatismus aus. Man müsse das "strenge Regiment auflockern und Menschen impfen, die nach der Priorisierung noch nicht an der Reihe wären". Bereits am Vortag hatte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer die Debatte eröffnet, als er forderte, den Impfstoff für Erwachsene jeden Alters freizugeben.
Gut 77 Millionen Einwohner Deutschlands sind derzeit gegen Covid-19 nicht geimpft. Sollten die "mehr als eine Million" Dosen Impfstoff keine Abnehmer finden, so liegt es wohl nicht an den Einwohnern oder dem Impfstoff, sondern am Impfmanagement.