In Deutschlands Moscheen wird für Erdogan spioniert
Ditib-Imamen wird vorgeworfen, dass sie in ihren Moscheen Listen von angeblichen Gülen-Unterstützern angefertigt und an die Generalkonsulate weitergegeben haben
Volker Beck von Grünen wirft Ditib-Imamen vor, dass sie in mehreren Städten der Bundesrepublik in ihren Moscheen Listen von angeblichen Gülen-Unterstützern angefertigt und an die Generalkonsulate weitergegeben haben. Daher stellte er Strafanzeige wegen des Verdachts nachrichtendienstlicher Tätigkeiten.
Er legte der Bundesanwaltschaft umfangreiches Material vor, aus dem hervorgehen soll, dass Ditib und der türkische Geheimdienst in großem Umfang die türkische und kurdische Community ausspionieren.
Die ausspionierten Moscheen gehören dem Dachverband Ditib (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e. V.) an, der in Deutschland als verlängerter Arm der türkischen Religionsbehörde fungiert. In mehreren Bundesländern bieten Vereine des Dachverbandes Ditib Islamunterricht an deutschen Schulen an und erhalten staatliche Zuwendungen für Dienstleistungen wie Sprachunterricht oder Integrationskurse.
Ditib gehört auch der vom Bundesinnenministerium initiierten Deutschen Islamkonferenz an. Langsam werden die deutschen Behörden wach, denn unter dem Dachverband tummeln sich auch Vereine, die angeblich Propaganda für den IS machen sollen. Es gibt auch Erkenntnisse darüber, dass Ditib-Vereine offen den AKP-Wahlkampf in Deutschland unterstützten.
Berichte mit Aktivitäten der Gülenbewegung
Auf den angefertigten Listen, in denen akribisch auch die Namen vermeintlicher Gülen-Anhänger in den deutschen Moscheen aufgelistet werden, sollen sich auch deutsche Journalisten und Journalistinnen, Prominente wie Sabine Christiansen, sowie "verdächtige" Bundestags- und Landtagsabgeordnete befinden.
Das türkische Generalkonsulat München etwa sandte einen Bericht über eine Veranstaltung im Jahr 2014, die "Türkisch-Olympiade", an der auch die ehemalige ARD-Moderatorin Sabine Christiansen, die Bundestagsabgeordneten Doris Wagner (Grüne) und Florian Post (SPD) sowie der bayerische Landtagsabgeordnete Günther Knoblauch (SPD) teilnahmen. Dass ein Jahr zuvor Erdogan persönlich dort als Festredner auftrat spielt heute anscheinend keine Rolle mehr.
50 Berichte aus 38 Ländern wurden einer Kommission des türkischen Parlaments vorgelegt. Der Zeitung Die Welt liegt ein vom 20. September datiertes Schreiben der Religionsbehörde in Ankara an sämtliche türkischen Auslandsvertretungen vor, in denen diese dazu aufgefordert werden, Aktivitäten der Gülen-Bewegung zu melden.
Der Zeitung sollen drei aus Deutschland stammende Berichte vorliegen - von den Generalkonsulaten aus Köln, Düsseldorf und München. Die Informationen stammten von Imamen der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib). Es ist anzunehmen, dass auch die restlichen Ditib-Vertretungen in Deutschland Berichte dieser Art an die türkische Regierung sandten.
"Durchaus politisch"
Ditib ist der größte islamische Dachverband in Deutschland. Er betreibt 970 Moscheen. Die Imame werden direkt vom Amt für Religiöse Angelegenheiten (Diyanet) in Ankara entsandt und bezahlt. Diese Behörde ist direkt dem türkischen Ministerpräsident unterstellt.
Die Vorstandsmitglieder der Ditib werden von einem Beirat vorgeschlagen, dem der Präsident der Diyanet in Ankara vorsitzt. Man kann also davon sprechen, dass der Dachverband in Deutschland direkt von der türkischen Regierung gesteuert wird. Denn auch der Wortlaut der Freitagsgebete kommt aus Ankara.
Und der ist durchaus politisch, wie eine Veröffentlichung auf der Homepage des Verbandes kurz nach dem missglückten Putsch im Juli 2016 zeigt: "Wir sind Zeuge davon geworden, dass durch die Hand von internen und externen Bösen sowie einer unseligen Struktur ein Putschversuch gegen die Unabhängigkeit unseres Volkes und der Demokratie unseres Landes unternommen wurde."
In Berlin wurde Mitte Dezember überraschend auf Weisung des türkischen Generalkonsulats der siebenköpfige Vorstand der Sehitlik-Moschee in Berlin-Neukölln ausgetauscht. Der Tagesspiegel berichtete, dass der türkische Religionsattaché Ahmet Fuat Candir direkt auf die Kandidatenaufstellung Einfluss genommen habe, indem er zur Vorstandswahl eine geschlossene Liste von Kandidaten vorlegte, die zur Abstimmung gestellt werden durften.
Der bisherige Vorstand war nicht dabei. Dessen Vorsitzender Ender Cetin hatte die Moschee für Besucher geöffnet und sich um Offenheit und Integration bemüht: "Viele hochrangige deutsche Politiker waren zu Gast, ebenso jüdische Rabbiner und der evangelische Bischof Markus Dröge. Allerdings wurde Bundespräsident Joachim Gauck nach der Armenien-Resolution des Bundestags wieder ausgeladen", berichtet der Tagesspiegel.
Die Frage der Abhängigkeit von Ankara
Auf den Bau der Kölner Ditib-Großmoschee im Stadtteil Ehrenfeld hat die türkische Behörde Diyanet ebenfalls Einfluss. Die an den Planungen beteiligten, aber mittlerweile ausgestiegenen deutschen Architekten und Innendesigner berichteten, dass Vorschläge, z.B. für die Ausgestaltung des Gebetsraums, nicht vom Bauherrn Ditib, sondern von der Regierung in Ankara abgesegnet werden mussten.
Eigentlich sollte die Moschee ein Symbol für Offenheit, Miteinander und städtebaulichen Fortschritt sein. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz wurde von Ditib vom gemeinsamen Fastenbrechen ausgeladen, weil sie sich dafür aussprach, den Völkermord an den Armeniern durch die Türkei anzuerkennen.
Nordrhein-Westfalen hat als erstes Bundesland Konsequenzen gezogen und kündigte die Kooperation mit Ditib auf. Das SPD-geführte Innenministerium in Düsseldorf erklärte seine Kooperation mit dem Islamverband in Köln beendet. In Rheinland-Pfalz steht Ditib ebenfalls auf dem Prüfstand. In Niedersachsen stoppte die CDU wegen ihrer Bedenken gegenüber Ditib die Gespräche über einen Staatsvertrag zwischen dem Bundesland und den dortigen Islamverbänden.
Der religionspolitische Sprecher der Grünen, Volker Beck, sagte im Bundestag
Wer mit Ditib kooperiert, kooperiert mit Ankara und nicht mit einer Religionsgemeinschaft in Deutschland.
Volker Beck
Die kurdische Linke-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen meinte dazu:
Wer Ditib in deutsche Klassenzimmer lässt, lässt quasi Erdogan ins Klassenzimmer.
Sevim Dagdelen
Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Stephan Mayer fordert von DITIB Beweise für ihre Unabhängigkeit von Ankara. Es sei "nicht hinnehmbar", dass der islamische Religionsunterricht in Deutschland "von einer Organisation vorgenommen würde, die sich als Interessenvertretung des türkischen Staates verstünde".
Lehrer: Lange ignoriertes Problem
Allerdings stellt sich die Frage, wer künftig islamischen Religionsunterricht an unseren Schulen oder als Imam Moscheen leiten darf. Viel zu lange hat sich die Bundesregierung diesem Problem verweigert. Seit den 1960er Jahren gibt es eine wachsende muslimische Bevölkerung in unserem Land. Nun rächt sich, was linke und liberale Kreise immer angemahnt hatten, aber von der Regierung ignoriert wurde.
Statt für Strukturen zu sorgen, dass in Deutschland muslimische Lehrer und Lehrerinnen ausgebildet werden, die den Islam auf der Grundlage demokratischer Werte lehren, hat man sich auf die türkischen Institutionen verlassen. Viel früher schon hätte man dafür sorgen müssen, dass Islamische Theologie als Lehrfach an Universitäten unterrichtet wird, um Imame und islamische Religionslehrer unter deutschen Bedingungen auszubilden.
Mouhanad Khorchide, ein liberaler Islam-Theologe an der Uni Münster berichtet, dass die Imam-Ausbildung in Deutschland auf Unmut bei den islamischen Verbänden stößt und als Konkurrenz gesehen wird. Die Studenten würden sich allerdings weniger für den Imam-Beruf als für die Ausbildung zum staatlichen Religionslehrer interessieren. Zumal Frauen als Imame nicht zugelassen seien.
Ditib dementiert Einfluss der türkischen Regierung
Der Dachverband ist in Erklärungsnöten. Vehement dementiert er Verbindungen zur türkischen Regierung. Lediglich die Bezahlung der Imame würde die türkische Regierung übernehmen, nicht aber die Inhalte der Predigten und des Religionsunterrichts. Schon gar nicht würde in ihren Gemeinden spioniert. Politische Inhalte würden in den Religionshäusern nicht vermittelt. Ditib-Moscheen seien Orte der Spiritualität, der Verband sei überparteilich.
Dagegen spricht eine schon länger bekannt gewordene türkische Broschüre, die den Dschihad und die "Märtyrer" für den Islam huldigt und die als Unterrichtsmaterial verwendet wird. An einer Hagener Moschee hing nach dem Putschversuch ein Schild, dass hier Verräter beim Gebet unerwünscht seien.
In Kassel lobte der Imam einer Moschee einen Angriff auf ein Jugendzentrum der Gülen-Bewegung: "Gott möge es euch lohnen!" Der Verfassungsschutz in NRW will nun als Konsequenz alle Imame, die in Gefängnissen muslimische Inhaftierte betreuen, einer Überprüfung unterziehen.
Der Koordinator der Ditib-Landesverbände in Deutschland, Murat Kayman, der schon öfters als Gast in Talkshows auftrat, attackierte unlängst den Freiburger Islamtheologen Abdel-Hakim Ourghi. Der Theologe ist als Kritiker eines fundamentalistischen Islams und Verfechter eines aufgeklärten Islams bekannt.
Er distanziert sich von den gewaltsamen Passagen des Korans der zweiten medinensischen Eroberungsphase und beruft sich auf den friedlichen Koran der mekkanischen Offenbarungsphase.
Kayman unterstellte Ourghi, ein Ibadit zu sein. Dies ist eine islamische Glaubensgemeinschaft, die von den radikalen Islamisten als Abtrünnige betrachtet wird. Kayman wisse, sagt Ourghi, dass es auch in Deutschland radikale Muslime gebe, für die ein Ibadit grundsätzlich den Tod verdiene.
Ourghi zitiert einen Spruch aus der arabischen Welt: "Das Blut des Ibaditen ist erlaubt." Er zieht daraus die Konsequenz: "Kayman erklärt mich für vogelfrei."
Dem widerspricht Kayman in einem Taz-Interview:
Ein Islamwissenschaftler sollte wissen, dass in der Tradition, in der Ditib steht, niemand für abtrünnig erklärt wird, dass wir eine solche Praxis vollkommen ablehnen und Ibaditen auch nicht als außerhalb des islamischen Glaubens stehend betrachten.
Murat Kayman
Angeschlagene Reputation
Der Ditib-Sprecher Bekir Alboga bezeichnete die Berichte von Imamen über Gülen-Anhänger in Deutschland an die türkische Regierung als Panne. Nachdem verschiedene Medien Belege für die Einflussnahme der türkischen Behörden vorlegen konnten, räumte der Sprecher ein, "die türkische Religionsbehörde Diyanet habe schriftliche Aufforderungen über alle türkischen Generalkonsulate an die Imame in der Bundesrepublik verschickt, über die Strukturen der Gülen-Bewegung an Ankara zu berichten". Der Bundesverband hätte von der Kommunikation aber erst aus den Medien erfahren.
Der Journalist Ulrich Pick, früherer Türkeikorrespondent und ein Kenner deutscher Religionspolitik, findet die Skepsis gegenüber Ditib berechtigt. Er bestätigt in einem Interview, dass in dem Dachverband die AKP-Politik hochgehalten werde, Andersdenkende würden als "Vaterlandsverräter" diffamiert und nicht in die Moschee gelassen.
Eine besondere Rolle an dem Scharnier zwischen Religion und Politik sieht er in den Religionsattacheés der Konsulate, die die Politik des Religionsministeriums umsetzen würden.
Letztendlich gilt es, bei aller Kritik an Ditib, sich die einzelnen Organisationen und Protagonisten genauer anzusehen. Denn nicht alle Mitglieder von Ditib sind Erdogans treue Diener. Es gibt auch Stimmen, die zeigen, dass die Kontrolle Ankaras auch umgekehrt Druck ausübt. Im Gespräch mit Gemeindemitgliedern bekommt man schon mal zu hören: "Wenn wir zu kritisch werden, sind wir weg, dann kommen die wahren Hardliner."
Der Dachverband ist nun bemüht, das angeschlagene Image wieder aufzupolieren. Die inkriminierte Presse-Erklärung mit der Lobpreisung des "Sieges der Demokratie" in der Türkei, ist mittlerweile von der Homepage verschwunden und wurde ersetzt durch eine PM, die "jeden Aufruf zu Hass und Gewalt" verurteilt.
Geheimdienst MIT agiert in Deutschland intensiver als früher die Stasi
Die Spionage-Aktivitäten von Ditib ergänzen die Aktivitäten des türkischen Geheimdienstes MIT in Deutschland. Der MIT verfügt neben einer großen Zahl hauptamtlicher Agenten bundesweit über ein Netz von 6000 Informanten. "Hier geht es längst nicht mehr um nachrichtendienstliche Aufklärung, sondern zunehmend um nachrichtendienstliche Repression", behauptet der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom. Die Überwachungsdichte sei enorm:
Selbst der Stasi ist es nicht gelungen, in der Bundesrepublik ein so großes Agentenheer aufzubauen.
Erich Schmidt-Eenboom
Hans-Christian Ströbele von den Grünen forderte, dass der Verfassungsschutz, der BND und die Polizei dringend ihre Kooperation mit der Türkei überprüfen müsse, da sie Gefahr laufen, bei strafbaren Handlungen mitschuldig zu werden.