In Donezk und Lugansk wurde das erste Mal seit 2014 wieder gewählt
Nach Meinung des russischen Präsidenten-Sprechers widersprachen die Wahlen nicht dem Minsker Abkommen, welches "munizipale Wahlen" vorsieht, die EU bezeichnete sie als illegal
In den Volksrepubliken Donezk und Lugansk wurden am Sonntag - das erste Mal seit 2014 - wieder Präsidenten und Parlamente gewählt. Die Wahlen verliefen ruhig. An der Front zur Ukraine gab es keine besonderen Zwischenfälle.
Gewählt wurden die geschäftsführenden Präsidenten der beiden international nicht anerkannten Republiken. Der geschäftsführende LNR-Präsident Leonid Pasetschnik bekam 68,3 Prozent der Stimmen, sein Amtskollege in der DNR, Denis Puschilin, 60,85 Prozent der Stimmen. Die Wahlbeteiligung lag mit 77 Prozent in der LNR und 80,1 Prozent in der DNR erstaunlich hoch. Erstaunlich deshalb, weil Niemand ein Kopf-an-Kopf-Rennen erwartete und der Sieg der "geschäftsführenden Präsidenten" absehbar war.
Die unterlegenen Präsidentschafts-Kandidaten in der DNR und der LNR bekamen zwischen 5,9 und sechzehn Prozent der Stimmen. Die unterlegenen Kandidaten waren den Wählern kaum bekannt.
Unter vielen Anhängern des ehemaligen DNR-Präsidenten Aleksandr Sachartschenko, der am 31. August 2018 einem Bombenanschlag zum Opfer fiel, ist Puschilin nicht besonders beliebt. Im Verhältnis zur Ukraine gilt er ihnen als zu weich. Möglicherweise ist das der Grund für das schwächere Abschneiden von Puschilin im Vergleich zu dem von Pasetschnik erzielten Ergebnis in der LNR.
Ende September 2018 standen auf der Liste der Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen in der DNR noch zehn Personen. Doch in den folgenden Wochen hätten die "Kuratoren aus Moskau" die Liste gekürzt, berichtet das Moskauer Internetportal Vsglyad.ru. Das Ziel sei gewesen, maximal "ruhige Wahlen" zu organisieren. So seien zu den Wahlen in Donezk zwei Kandidaten nicht zugelassen worden. Pawel Gubarjow, der im Februar 2014 auf einer Kundgebung in Donezk unter freiem Himmel als "Volksgouverneur" gewählt worden war, wurde seine frühere Mitgliedschaft bei der russischen rechtsextremistischen "Russische Nationale Einheit" zum Verhängnis, dem Kandidaten Aleksandr Chodakowski seine früheren engen Beziehungen zu dem jetzt in Kiew lebenden Oligarchen Rinat Achmetow.
Bei den Wahlen für den LNR-Volksrat - er hat 50 Sitze - siegte die von Leonid Pasetschnik geführte Organisation "Frieden für das Lugansk-Gebiet" mit 74,12 Prozent der Stimmen. Die von Denis Puschilin geführte Organisation "Republik Donezk" erhielt 72,5 Prozent der Stimmen.
Was waren die Motive der Wähler?
In einer Reportage der ARD-"Tagesschau" wurde der Eindruck erweckt, die Wähler in Lugansk seien mit verbilligten Lebensmitteln an die Wahlurnen gelockt worden. Auch die liberale russische Tageszeitung Kommersant berichtete, die Teilnahme an den Wahlen sei durch zahlreiche begleitende Maßnahmen attraktiver gemacht worden. Vor den Wahllokalen wurden verbilligte Lebensmittel verkauft. Für die Kinder der Eltern, welche zur Wahl gingen, konnten kostenlose Zeichen- und Tanzkurse besuchen.
Wahlen im Donbass (11 Bilder)
Doch der Autor dieser Zeilen hat nicht den Eindruck, dass diese Maßnahmen wahlentscheidend sind. Schon seit Sowjetzeiten begeht man Wahltage in feierlicher Stimmung. Indem die Menschen überhaupt zur Wahl gingen, zeigten sie, dass sie sich dem Aufruf aus Kiew, nicht zur Wahl zu gehen, nicht beugten. Und sie gaben ihrer Hoffnung Ausdruck, dass es bald zu einer Vereinigung mit Russland kommt, wodurch die militärischen Angriffe der Ukraine gestoppt und der wirtschaftliche Wiederaufbau der "Volksrepubliken" erleichtert würde.
Vor den Wahlen in den Volksrepubliken hatte der ukrainische Geheimdienst SBU in den Orten nahe der Grenze zu den Volksrepubliken Plakate mit der Aufforderung aufhängen lassen, sich nicht an "ungesetzlichen Wahlen" zu beteiligen. Viele Menschen, die zur Wahl gingen, erhofften sich wohl auch, dass es in den Volksrepubliken stabil bleibt, nachdem DNR-Präsident Aleksandr Sachartschenko - mutmaßlich durch eine von einer ukrainischen Terrorgruppe gelegte Bombe - getötet worden war.
Wer sind die Wahlsieger?
Denis Puschilin hat in der DNR seit 2014 Ämter in der Führung der DNR. Der 37-Jährige stammt aus dem Gebiet Donezk. Von 2015 bis 2018 war er Vorsitzender des DNR-Volksrates. Außerdem ist er ständiger Vertreter der DNR bei der Kontaktgruppe in Minsk, wo über die Details der Umsetzung des Minsker Abkommens verhandelt wird.
Der in der LNR gewählte Leonid Pasetschnik war den Wählern - wie Puschilin - seit Langem bekannt. Der 48 Jahre alte Pasetschnik war von 2014 bis 2017 Minister für Staatssicherheit. Er hatte das Amt des geschäftsführenden LNR-Präsidenten im November 2017 angetreten, nachdem der seit 2014 amtierende LNR-Präsident Igor Plotnizki "aus Gesundheitsgründen" zurückgetreten war. Nach anderen Meldungen hatte es in Lugansk ein Palastrevolte gegeben, in deren Folge der in der Ukraine geborene Plotnizki die Volksrepublik Richtung Russland verließ.
Die "Tagesschau": "Vorwiegend rechte Wahlbeobachter"
Die ARD-"Tagesschau" behauptete in einem Vorwort zu einer Reportage aus Lugansk, die aus Europa angereisten Wahlbeobachter gehörten vorwiegend "rechten Parteien" an. Doch was das im Einzelnen für rechte Parteien waren, wurde nicht gesagt. Verschwiegen wurde auch, dass unter den Wahlbeobachtern mindestens zwei bekannte Linke, der italienische Journalist Julietto Kesa und Andreas Maurer von der Partei "Die Linke", waren.
Auf einer Pressekonferenz der Wahlbeobachter berichtete Andreas Maurer von einer hohen Wahlbeteiligung. Wer das bestreite, "lügt". Auch Julietto Kesa zeigt sich beeindruckt. Die Menschen hätten "überzeugt, ruhig und froh" gewählt.
Maurer erklärte, er sei auch als Mensch sehr berührt gewesen, denn ältere Bürger, die schon den Zweiten Weltkrieg miterlebt haben, hätten ihm mit Tränen in den Augen gesagt: "Wir wollen in Frieden leben, dies ist unsere Wahl und unsere Entscheidung!" Maurer: "Für mich als Mensch und als Jemand, der Deutschland vertritt, war das schwierig, denn mein Land und Frankreich waren in den Staatsstreich in Kiew verwickelt." Andreas Maurer war zuvor der während der Verteidigung von Lugansk im Jahre 2014 zerstörte Flughafen der Stadt gezeigt worden
"Illegale Wahlen"?
Die Wahlen in den Volksrepubliken wurden erwartungsgemäß weder von Kiew, noch von der EU oder den USA anerkannt. Dmitri Peskow, der Sprecher des russischen Präsidenten, erklärte, die Wahlen in den "Volksrepubliken" widersprächen dem Abkommen von Minsk nicht.
Die "Tagesschau" leitete ihren Bericht über die Wahlen in den "Volksrepubliken" mit den Worten ein: "Ungeachtet internationaler Proteste haben die prorussischen Rebellen in der Ostukraine die Bürger zu Wahlen aufgerufen." Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini hat die Wahlen in den Volksrepubliken in einem Tweet für "illegal" erklärt: "The EU considers these elections as illegal and illegitimate and will not recognise them."
Dieser Satz war verwirrend. Begrüßen und fordern wir Europäer nicht Wahlen, gerade in Gebieten der ehemaligen Sowjetunion? Warum die Wahlen in Donezk und Lugansk nun illegal waren, begründete die Tagesschau nicht. Direkt aus den "Volksrepubliken" berichten deutsche Korrespondenten schon seit drei Jahren nicht mehr. Woher sollen also die Zuschauer in Deutschland wissen, dass die Abhaltung von Wahlen dort "illegal" ist.
Das Vorwort über die "Illegalität" der Wahlen stand auch in einem merkwürdigen Kontrast zu der anschließenden Reportage, in der nichts Negatives über den Wahlablauf selbst berichtet wurde.
Diese Art Reportagen politisch in den "richtigen Rahmen" zu stellen, hat folgenden Grund: Zum einen kann das deutsche Fernsehen die Wahlen in den "Volksrepubliken" nur schwer verschweigen, wenn andere, wie alternative Medien, RT und Sputnik, über diese Wahlen berichten. Da aber die Bildberichte von vor Ort keine Verletzungen des Wahlablaufes belegen, muss im Vorwort eben klargestellt werden, dass es eben keine Wahlen sind, so schizophren das auch ist.
Das ZDF brachte am Wahltag eine recht anständige Reportage über die Wahlen in der DNR, in der einfache Menschen zu Wort kamen, zerstörte Häuser gezeigt wurden und auf Phrasen wie "prorussischen Rebellen" verzichtet wurde. Doch die Wende der großen deutschen Medien in der Ukraine-Berichterstattung hin zu Fairness gegenüber den "Volksrepubliken", der Krim und der ukrainischen Opposition war das noch nicht.
Westliche Politiker warnten vor den Wahlen in den "Volksrepubliken". Wahlen dort könnten nur in Übereinstimmung mit den ukrainischen Behörden durchgeführt werden, wie es auch im Minsker Abkommen vorgesehen ist. Tatsache ist jedoch, dass es im Minsker Abkommen ausdrücklich festgeschrieben ist, dass die Volksrepubliken mit Kiew über die Wahl-Modalitäten eine Vereinbarung treffen sollen. Doch die ukrainische Regierung weigert sich seit vier Jahren, sich mit den Vertretern der Volksrepublik an einen Tisch zu setzen, um über Details einer Friedenslösung, zu denen auch Wahlen in den Volksrepubliken gehören, zu reden. Den Menschen in den Volksrepubliken die Möglichkeit zu nehmen, ihre Vertreter zu wählen, nur weil Kiew diese Wahlen nicht will und nicht anerkennt, widerspricht demokratischen Prinzipien.
Welches Interesse könnte Russland an einer Zuspitzung haben?
Ukrainische Politiker behaupteten, den Wahlen in den Volksrepubliken würden neue militärische Angriffe gegen die Ukraine folgen. Aleksej Arestowitsch, ein Militärexperte aus Kiew, hält von diesen Spekulationen nichts. Eine militärische Zuspitzung an der Front zwischen der Ukraine und den Volksrepubliken sei für Russland nicht nützlich, denn das würde nur "die Popularität des amtierenden Präsidenten der Ukraine erhöhen", schreibt der Militärexperte.
Russland versuche den Donbass als "Torpedo" gegen die Ukraine einzusetzen, schreibt der ukrainische Militärexperte. "Sie wollen uns den Donbass reinschieben, damit dann ein Prozess der Föderalisierung in der Ukraine und danach eine Finnlandisierung beginnt. Nach ihrem Plan sollen wir uns in einen schwachen neutralen Staat umwandeln, der die Garantie dafür gibt, dass dieser Staat nicht der Nato und der EU beitritt und von Russland abhängig ist."
Dass eine militärische Zuspitzung zwischen den Volksrepubliken und der Ukraine Russland nicht nützen würde, liegt nach Meinung des Autors dieser Zeilen auf der Hand. Präsident Petro Poroschenko könnte sich bei einer Zuspitzung als Retter der Ukraine vor einer "russischen Okkupation" darstellen. Das würde Wählerstimmen bringen. Und neue Kredite aus dem Westen ließen sich so noch leichter einwerben.