In den USA wächst die Distanz zur Religion
Vor allem sinkt die Zahl evangelischen Christen, dennoch sind Atheismus oder Agnostizismus noch ein Randphänomen
Die bislang tiefreligiöse und in Kirchen verankerte religiöse Gesellschaft der USA verändert sich. Mehrheitlich waren Amerikaner bislang evangelisch, mit der starken und konservativen, auch fundamentalistischen Gruppe der Evangelikalen.
Noch sind 73 Prozent der Amerikaner nach einer aktuellen Umfrage des Pew Reserch Center christlich, aber nur noch 48 Prozent evangelisch. 2007 bezeichneten sich noch 78 Prozent als christlich und 52 Prozent als evangelisch, 1972 waren noch 62 Prozent evangelisch. Der Anteil der Katholiken ist dank der eingewanderten Latinos mit 23 Prozent seit 30 Jahren praktisch gleich hoch. Mormonen wie der republikanische Präsidentschaftskandidat Mitt Romney stellen mit 2 Prozent nur einen kleinen Teil der Christen, deren Anteil ist aber in den letzten Jahren stabil geblieben. Die Evangelikalen bleiben daher weiterhin gegenüber Romney skeptisch, was keine Unterstützung für Obama bedeutet.
In God's own Country, wie man die USA wegen der ausgeprägten Religiosität der Menschen auch nennt, steigt die Zahl derjenigen, die sich keiner Religionsgemeinschaft mehr zurechnen, stetig an, die Aufklärungs- und Säkularisierungswelle, die in Europa schon viel früher begonnen hatte (In ganz Europa geht es seit Jahrzehnten mit der Religiosität bergab), scheint sich nun auch hier zu verstärken. Mit 19,6 Prozent rechnet sich fast ein Fünftel der Amerikaner, 4,3 Prozent mehr als 2007, keiner Religionsgemeinschaft mehr zu. Allerdings bezeichnen sich nur 2,4 Prozent (2007: 1,6) als Atheisten und 3,3 Prozent (2007: 2,1) als Agnostiker. Die Menschen in den USA werden also nicht wieder religiöser, wie manche glauben (Werden die Menschen wieder religiöser?).
Von den 46 Millionen, die sich keiner Religionsgemeinschaft zurechnen, sagen nur 10 Prozent, sie würden nach einer für sie passenden Religion suchen. Mehr als zwei Drittel glaubt weiter an Gott, 37 Prozent möchten sich eher als spirituell denn als religiös verstehen, ein Fünftel betet angeblich täglich. Die Meisten glauben auch, dass Kirchen der Gesellschaft gut tun, weil die Gemeinschaftsbande gestärkt und den Armen geholfen werden, andererseits sind ihnen die Kirchen oder religiösen Organisationen zu sehr auf Geld und Macht bezogen, zu sehr auf Regeln fixiert und in Politik involviert. Man könnte sagen, dass sie zwar noch religiös sind, aber sie haben doch die ersten Schritte weg von der Kirche vollzogen und ihren noch bestehenden Glauben individualisiert, was sie allmählich weiter von der Religion entfernen wird. Ein Symptom ist auch, dass sie weniger oder nicht mehr an Gottesdiensten teilnehmen und dass ihnen Religion nicht mehr so wichtig ist wie den Gläubigen.
Interessant ist auch, wer sich keiner Religionsgemeinschaft mehr zurechnet. Das sind eher Männer als Frauen, eher Weiße als Schwarze oder Latinos, eher Singles als Verheiratete, sie sind eher den Demokraten als den Republikanern zugeneigt. Sie sind auch eher für die Legalität der Abtreibung und für die Homo-Ehe. Bildungsgrad und Einkommen scheint kaum eine Rolle zu spielen. Dafür aber, wo man lebt. Im Westen und im Nordosten gibt es deutlich weniger Menschen, die sich einer Religionsgemeinschaft zuordnen.
In einer Gesellschaft, die sich noch überwiegend als religiös versteht, ist es auch schwieriger einen Bruch zu vollziehen. Immerhin sagen immer noch 80 Prozent der Befragten in der repräsentativen Studie, sie hätten sie daran gezweifelt, dass es Gott gibt. Erstaunlicherweise begann der Glaube an Gott ab 2003 unter Bush und mit Beginn des Irak-Kriegs langsam zu sinken und ging unter Obama weiter nach unten. Aber ob dies miteinander zusammenhängt, wurde nicht gefragt, sondern ist reine Spekulation.