In die Gehirne der Wähler schauen

Amerikanische Wissenschaftler untersuchen im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen mit der Magnetresonanztomographie, wie Anhänger von Demokraten und Republikaner auf Wahlwerbung reagieren

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Hirnforscher haben mit den bildgebenden Verfahren wie der Positronen Emissions Tomographie (PET) oder der Magnetresonanztomographie (MRT) ein Instrument erhalten, mit dem sie im Gehirn auf Entdeckung gehen können. Seit geraumer Zeit werden alle möglichen Zusammenhänge zwischen Gehirnaktivitäten und Tätigkeiten herzustellen versucht, wobei kognitive Leistungen in funktionalen Arealen lokalisiert werden. Mit dem neuen Forschungsspielzeug entsteht auch viel ungefähres oder scheinbares Wissen, aber zweifellos werden über die bildgebenden Verfahren auch viele neue Einsichten ermöglicht und es lassen sich bislang nicht überprüfbare Hypothesen bestätigen oder verwerfen. Das durchsichtige Gehirn eines Bush- oder Kerry-Wählers wird aber vorerst nicht zu erwarten sein.

Amygdala und die Angst. MRI-Aufnahme

Gleich, ob es um das Betrachten von Filmen, den Juckreiz, Risikofreudigkeit, die Liebe, die Angst, das Phänomen des Multitasking, die Lust am Spielen, das Erkennen von Witzen, das Einkaufsverhalten, die Lokalisierung des Lügens und des Erkennens von Betrügereien im Gehirn oder um das Empfinden von Schönheit geht, werden die Gehirne der Menschen gescannt, um ihre Geheimnisse über Bilder zu verraten. Sie zeigen, welche Areale bei welchen Tätigkeiten aktiv oder inaktiv sind. Der Traum für manche würde darin bestehen, mit Gehirnscans nicht nur einen Lügendetektor zur Verfügung zu haben, sondern aus der Beobachtung der Gehirnaktivitäten erkennen zu können, was gerade im Kopf eines Menschen vor sich geht, oder durch entsprechende Stimulation bzw. durch Implantation eines Chips (Chip als Ersatz für Gehirnareal das Gehirn gezielt verändern oder erweitern zu können.

Probleme machen natürlich bei der Feststellung eines Zusammenhangs zwischen Aktivitäten in bestimmten Gehirnarealen und bestimmten Tätigkeiten komplexere Vorgänge, bei denen eine Vielzahl von Arealen aktiv sind und sich kaum bestimmen lässt, welche Wahrnehmung oder Tätigkeit für welche Gehirnaktivität verantwortlich ist. Trotzdem sind bildgebende Verfahren zumindest ein Beginn, den Geist zu verstehen, indem man ihm nun bei seiner Arbeit zuschauen kann. Und weil gerade die nächsten Präsidentschaftswahlen anstehen, haben Wissenschaftler, wie die New York Times berichtet, auch gleich einmal nachgeschaut, wie sich denn Wahlwerbung auf die Gehirne von demokratischen oder republikanischen Wählern auswirkt.

Finanziert wird die Forschung von Anhängern der Demokraten. Neben William Knapp, Berater für die Clinton- und die Gore-Wahlkampgne, ist das Tom Freedman, der unter Clinton im Weißen Haus gearbeitet hat, jetzt als politischer Berater tätig ist und Mitglied des Progressive Policy Institute, kam offenbar über seinen Bruder, Neurowissenschaftler an der University of California, auf die Idee, Magnetresonanztomographie einzusetzen, um zu sehen, ob Anhänger unterschiedlicher Parteien auch im Hinblick auf ihre Gehirne zu unterscheiden wären. Würde man feststellen können, wie bestimmte Wählergruppen normalerweise auf Wahlwerbung reagieren, so könnte man auch gezielter Werbung für Anhänger und Gegner machen oder die Medienpräsenz der Kandidaten gestalten. Das ist ja die Aufgabe der "Berater". Das aber sei ihr nicht ihr Ziel, versichert Knapp, aber man könne sich nicht darauf verlassen, was bei Meinungsumfragen herauskomme, weswegen es interessanter wäre, wenn man wirklich in die Köpfe der Wähler hineinschauen könne.

Beauftragt wurde für die Forschung Marco Iacoboni, der das Ahmanson Lovelace Brain Mapping Center an der UCLA leitet, aber der Neurowissenschaftler Freedman beteiligt sich zusammen mit einem anderen UCLA-Kollegen auch an der Forschung. Bislang wurden 11 Versuchspersonen der MRA unterzogen und Iacobini glaubt, Unterschiede zwischen Anhängern der Demokraten und Republikanern ausmachen zu können, auch wenn noch mehr Personen untersucht werden müssten. In dem Test werden den Versuchspersonen Bilder der Präsidentschaftskandidaten, Werbespots für Buch und Kerry und andere Filme vorgeführt, u.a. auch eine Wahlwerbung aus dem Jahr 1964, als Johnson gegen Goldwater antrat. In dem Film für Johnson pflückt ein Mädchen Blütenblätter von einem Gänseblümchen ab. Für die Versuchspersonen wurden diese Bilder durch eine Atombombenexplosion ersetzt.

Kühl gegenüber dem Gegner

Eine Versuchsperson, eine Anhänger der Demokraten, sagte nach dem Test, dass ihn am stärksten die Bilder über die Anschläge vom 11.9. aus dem Bush-Wahlkampffilm und die Bilder mit der Atombombenexplosion beeindruckt haben, weil diese die Folgen eines Wahlsiegs für Goldwater nahelegen würden. Insgesamt scheinen Anhänger der Demokraten stärker auf die Bilder vom 11.9. zu reagieren als die der Republikaner. Zumindest ist die Aktivität in der Amygdala höher, einem Gehirnareal des limbischen Systems, das bei der emotionalen Bewertung eine Rolle spielt und vor allem für Angst und Schreckensreaktionen verantwortlich ist. Möglicherweise sind, wie Professor Freedman glaubt, Anhänger der Demokraten allgemein stärker durch Anwendung von Gewalt aufgefühlt als Republikaner.

Bei dem Test reagierten die Versuchspersonen zunächst auf die Bilder der Präsidentschaftskandidaten Buch, Kerry und Nader auf ähnliche Weise emotional. Nachdem sie aber den Wahlwerbefilm von Bush mit den Bildern vom 11.9. gesehen hatten und ihnen noch einmal die Fotos der Präsidentschaftskandidaten gezeigt wurden, reagierten sie jeweils weiterhin emotional auf ihren Wunschkandidaten, während beim Anblick des Gegenkandidaten der dorsolaterale präfrontale Kortex aktiver war, der nach Angaben der Wissenschaftler eher für eine rationale Reaktion steht, allgemein auf die Verarbeitung von Ereignissen in der Außenwelt ausgerichtet ist und etwas mit Aufmerksamkeit, der Kontrolle sensorischer Erfahrung und Handlungsplanung zu tun hat.

Es sieht so aus, als würden sie sich wirklich mit ihrem eigenen Kandidaten identifizieren, während sie beim Anblick ihres Opponenten ihren rationalen Apparat verwenden, um gegen ihn zu argumentieren.

Marco Iacoboni

Aber, wie man schon an solchen Formulierungen sieht, ist die Interpretation der Aktivitätsmuster, wenn auch ohne aufwändige Tests mit bildgebenden Verfahren nachvollziehbar, noch ziemlich projektiv und kaum wissenschaftlich begründbar. Und weil der gesamte Kontext ziemlich komplex ist, dürfte es aus der Anlage dieser Tests schwer fallen, konkrete Verbindungen zwischen einzelnen Bildern, deren Bedeutung für die Person und deren Hirnaktivitäten festzustellen. Gerade in den USA, aber mehr und mehr auch in der EU oder in anderen Ländern könnte man ja auch mal die Gehirne der wachsenden Fraktion der Nichtwähler analysieren, um zu sehen, warum sie für die Botschaften der Politiker nicht mehr empfänglich sind. Allerdings wird, auch wenn manche anderer Meinung sind, die neurowissenschaftlich fundierte Politikwissenschaft vermutlich auch nicht mehr aussagen und besser anleiten können als Meinungsumfragen.