Independence Day

Das teuerste Commercial aller Zeiten

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Wer braucht noch ein Drehbuch, wenn das Filmstudio eine Marketingabteilung hat? Independence Day setzt neue Maßstäbe im Produkt Placement und regt somit zu Spekulationen über die Zukunft des Kinos an.

Groß ist die Rolle von Bob Friend in Independence Day nicht. Er sagt genau zwölf Worte: Der Nachrichtensprecher meldet, daß Aliens die Erde angreifen, und dann sagt er noch: "May God help us all", möge Gott uns beistehen. Doch tatsächlich spielt Bob Friends in Independence Day eine wichtige Rolle. Er ist wirklich Nachrichtensprecher von Beruf. Und zwar bei Rupert Murdochs Kommerzsender SKY, der über Satellit in Europa, Nordamerika und Teilen von Asien verbreitet wird, und darum einem ziemlich großen Teil der Weltbevolkerung bekannt ist.

Auch alle anderen Fernseher in Independence Day sind auf Murdochs Satellitensender SKY eingestellt. Und das ist kein Zufall: Wie der Fernsehsender SKY gehort auch Fox, das Studio, das Independence Day produziert hat, Rupert Murdoch. In der ersten halben Stunde von Independence Day hängen darum alle - sogar der Präsident der Vereinigten Staaten - die ganze Zeit vor der Glotze und gucken Murdochs SKY News. Der teuerste Film aller Zeiten ist darum auch ein sehr, sehr kostspieliges Commercial fur Murdochs Sender-"Bouquet" BSkyB, das digitalisiert bald in der ganzen Welt zu empfangen sein wird.

Noch nie war bei einem Film die Handlung so eng mit Product Placement verzahnt wie bei Independence Day. Wer braucht noch ein Drehbuch, wenn das Studio eine Marketingabteilung hat? In Independence Day werden die zu bewerbenden Produkte nicht mehr - wie bisher üblich - wie nebenbei im Film untergebracht, sondern sind integrierter Teil der Handlung: Am Ende des Films lädt Jeff Goldblum darum von seinem Powerbook einen Computervirus zum Raumschiff der Aliens hoch, das umgehend in die Luft geht. Wäre dieses vollkommen absurde Spektakel auch dann in dem Film vorgekommen, wenn Apple nicht viel Geld dafür bezahlt hätte, daß seine Computer in dem Film an hervorgehobener Stelle vorkommen?

Der kriselnde amerikanische Computerkonzern Apple versucht zur Zeit mit wechselndem Glück, seine Computer in möglichst vielen amerikanischen Blockbustern unterzubringen. Als Requisit tauchen Apple-Computer auch in The Net und Mission Impossible auf, womit der Computerkonzern in den USA auch warb. (Was leider keine gute Idee war: Mission Impossible als Slogan fur Apple-Computer? Warum nicht gleich Dead Man Walking?)

Auch der "Auftritt" von Jeff Goldblums Powerbook in Independence Day wurde von Apple werblich ausgeschlachtet. In Amerika warb der Computerkonzern in Anzeigen mit dem Slogan: "The power to save the world." (Und die Welt fragte sich, warum Apple von Microsoft so gnadenlos vom Markt gefegt wurde, wenn man mit Apple-Produkten sogar die Computersysteme von Außerirdischen kaputt bekommt...)

Die amerikanischen Filmstudios sind nach zehn Jahren hektischster "merger" und "take-over"-Schlachten der amerikanischen Medienkonzerne in riesige, unüberschaubare, transnationale Firmenkonglomerate eingebunden, die quer durch alle Wirtschaftszweige gehen. Das hat in den letzten Jahren zu unendlichen Cross-Marketing-Manövern geführt:Das Buch zum Film! Das T-Shirt zum Buch! Das Computerspiel zum T-Shirt! Die CD mit dem Soundtrack zum Computerspiel!

Die amerikanischen Filmstudios sind mittlerweile in so gigantische Trusts eingebunden, daß sie ihre Filme fast komplett mit Requisiten und Locations aus der eigenen Unternehmensgruppe versorgen und so für ihre Produkte und Dienstleistungen werben könnten. So wäre es im Kino möglich, komplette "Unternehmenswelten" zu schaffen, in denen sich die Handlung ausschließlich um zu bewerbende Waren dreht. Man hat den Eindruck, daß die gigantischen Medientrusts dieses Marketingpotential bisher noch gar nicht richtig realisiert haben. Independence Day gibt nun einen Vorgeschmack davon, wie das aussehen wird, wenn die Handlung eines Films um die zu bewerbenden Produkte und Dienstleistungen gesponnen wird.

Das Kino Im Konzernkonglomerat

Wie könnte es nun in Zukunft aussehen, wenn solche Marketing-"Tie-Ins" die Story von Filmen immer stärker bestimmen? Stellen wir uns zum Beispiel vor, daß Ludwig Kirch, mit dem Rupert Murdoch bekanntlich geschäftlich verbandelt ist, nach dem Alten nun das Neue Testament verfilmen will. Da wäre es doch ein tolle Idee, wenn auch die biblischen Protagonisten SKY-News-Nachrichten sehen würden! Und das ist erst der Anfang: Um auch andere Unternehmen aus dem Kirchschen Firmenkonglomerat einzubeziehen, könnte Jesus zum Beispiel bei der Metro seine wunderbare Brotvermehrung veranstalten, denn Kirch pflegt auch mit deren Besitzer, dem ehemaligen Otto Beisheim diverse "strategische Allianzen". (Arbeitstitel: Jesus kam nur bis zu Metro?)

Der Wein, den Jesus aus Wasser zu machen pflegte, könnte dann von Kirchs Weingut in Unterfranken stammen. Fur das Grande Finale der Leidensgeschichte, wenn Jesus ans Kreuz geschlagen wird, gibt es noch keinen Sponsor, weil in Kirchs Firmen-"Portofolio" dazu das passende Unternehmen fehlt (Lebensversicherung? Bestattungsunternehmen?). Wegen des Eventcharakters und des hohen emotionalen Response-Potentials, das die Szene bei Screentests beweisen durfte, wird hier ein Sponsor leicht zu finden sein. (Zum Beispiel: Diese Kreuzigung wurde Ihnen präsentiert von Black&Decker.)

Die fertige Bibelverfilmung würde dann freilich nicht jeder sofort zu sehen bekommen. Die Erstausstrahlung würde bei Kirchs digitalem Pay-TV DF 1 gegen Gebuhr ausgestrahlt, um diesen Film (oder sollte man sagen:Pay-Werbung?) über die Abonnementsgebühren rückzufinanzieren. Im Free-TV wird der Film erst dann dem unteren Drittel der Zwei-Drittel-Gesellschaft gezeigt, wenn der Film wirklich komplett durch Kinoauswertung, Pay-TV-Ausstrahlung und Videolizenzverkauf ausgemolken ist. Ja, so dürfte die zukünftige Komplettvermarktung eines Spielfilms im Zeitalter von Globalisierung und Turbo-Kapitalismus wohl aussehen. Das Kino, die "industrielle Kunst", macht sich auf ins 21. Jahrhundert...

Big brother is watching you, heißt es nach George Orwells Zukunftsroman 1984 immer, wenn vor den Gefahren eines zukünftigen Überwachungsstaates gewarnt werden soll. Doch nun scheint es etwas anders zu kommen: Es ist nicht der Große Bruder, der uns zuschaut, nein, wir sehen im Kino dem Großen Bruder zu.

Dieser Artikel wurde Ihnen präsentiert von "Telepolis" in Zusammenarbeit mit Escom.