Indien: Die grüne Lüge
- Indien: Die grüne Lüge
- Die Mittelklasse Delhis, die mehr Müll produziert als der Durchschnitt
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Eine billige chinesische Müll-Verbrennungsanlage mitten in einem Wohngebiet Delhis: Modis "grüne Politik"
"Durch die gegenüberliegenden Schornsteine werden hochgiftige Dioxine ausgestoßen, die auch im Agent Orange enthalten waren, mit dem die US-Armee hunderttausende Menschen im Vietnam Krieg getötet hat", sagt der Aktivist Gopal Krishna von der Umwelt-Organisation Toxics Watch. Etwa 250 Meter entfernt von uns ragen drei Schornsteine aus der Müllverbrennungsanlage Timarpur/Okhla im Süden Delhis.
Im Jahr 2012 ist die Anlage der Jindal Saw Gruppe in Betrieb gegangen. Sie soll aus Müll Strom produzieren und läuft unter dem Swachh Bharat Mission (SBM) Programm der Regierung von Premierminister Narendra Modi, das Indien sauberer und grüner machen soll.
Dazu ist die Verbrennungsanlage im Rahmenübereinkommen über Klimaänderungen der Vereinten Nationen registriert und bringt der indischen Regierung Kredite im Handel mit Emissionszertifikaten. Dann übernimmt unser Gastgeber Ranjit Devraj das Wort: "Unsere Bürgerinitiative hat eine Studie in Auftrag gegeben, die zu dem Ergebnis kommt, dass der Rauch aus der Mühlverbrennungslage lebensbedrohlich ist."
Der 41-jährige Gopal Krishna fügt hinzu, dass mehrere Untersuchungen des Delhi Pollution Control Committee (DPCC) and des Central Pollution Control Board (CPCB) zu ähnlichen Ergebnissen gekommen sind. Eine Untersuchung des nationalen Green Tribunal (NGT) bestätigte die Ergebnisse. Ich merke an, dass die Luft hier im Gegensatz zum Zentrum von Delhi beinahe paradiesisch sei: "Hier fliegen ja sogar allerhand exotische Vögel herum", worauf Ranjit Devraj erregt erwidert:
Die Anlage steht derzeit still, weil ihre Kapazität von 16 MW auf 40 MW erweitert wird. Während sie uns krank macht, bekommt die Jindal Gruppe vom Energieministerium einen Zuschuss von 240.000 Dollar pro Megawatt, weil die Anlage angeblich so umweltfreundlich ist. Wir hatten hier früher viel mehr Vögel - das Vogelschutzgebiet Okhla ist 1,7 Kilometer entfernt.
Ranjit Devraj
Im Jahr 2009 wurde inmitten der Wohnkolonie Sukhdev Vihar der Grundstein für die Verbrennungsanlage gelegt. 100 Meter entfernt steht das erste Wohnhaus. Die Bewohner von Sudhek Vihar schlossen sich mit denen der Siedlungen Hazi Kolonie und Gaffar Manzil zusammen, um vor Gericht eine Stilllegung der Verbrennungsanlage zu erreichen.
Im Umkreis von einem Kilometer stehen noch zwei große Krankenhäuser, dessen Verantwortliche dem Büro von Narendra Modi in einem Brief auf die gesundheitsgefährdenden Abgase aufmerksam gemacht haben - vergeblich.
Bei einem Rundgang durch die Gegend fällt einiges auf: Vor der Anlage liegen mehrere große Müllhaufen die aus einem Gemisch aus Bioabfällen, Haushaltsabfällen und viel Plastik bestehen. Vor jedem Wohnhaus stehen zum Teil mehrere Autos. Die Straßen sind sauber und im Vergleich zur Innenstadt beinahe menschenleer.
Hier lebt die Mittelklasse Delhis. Nur einen Kilometer östlich auf der Okhla Road staubt und lärmt es wieder. Dazu tritt beißender Gestank aus einem pechschwarzen Abwasserkanal, der ein paar hundert Meter weiter in den biologisch toten Yamuna Fluss fließt. Über eilig gebaute Hochstraßen (flyovers) drängelt sich ein Teil von Delhis 10 Millionen motorisierten Fahrzeugen. Unter einigen hausen Tagelöhner mit ihren Familien. Aus einer Hütte mit Plastikdach heraus verkauft eine alte Frau selbstgemachten Alkohol.
"Nie geprüft"
Am nächsten Tag treffe ich nochmal Gopal Krishna und frage ihn, warum die Betreiberfirma mit all den nachgewiesenen Vergehen bisher durchgekommen ist. Die Betreiber gaben in ihrem Antrag für die Umweltzulassung (EIA) an, dass die Anlage auf einer ehemaligen Mülldeponie in einer Industriegegend gebaut werden sollte - das war nachweislich gelogen. Ein Bericht des Central Pollution Control Board (CPCB) wies nach, dass die verwendete chinesische Verbrennungstechnik nie geprüft wurde.
Der Verweis der Betreiber, dass auch in Europa solche Anlagen mitten in der Stadt gebaut werden, ist irreführend: Die Anlagen in Europa sind in der Regel kleiner und kosten wegen hoher Umweltstandards zehn Mal mehr. "Es gibt noch Dutzende anderer Verstöße", sagt Gopal Krishna mit einem müden Lächeln.
Die Tricks der Betreiber sind offensichtlich: So haben sie für die Anlage Timarpur/Okhla beantragt, jeden Tag 650 Tonnen Stadtmüll verbrennen zu dürfen. Für eine zweite Anlage 1300 Tonnen. Diese zweite Anlage ist jedoch nie gebaut worden und nun werden in Timarpur/Okhla täglich 1950 Tonnen verbrannt. Die Betreiber sind scheinbar davon ausgegangen, dass niemand prüft, was im Kleingedruckten steht. Deshalb war es für mich rechtlich auch nicht besonders schwierig, sieben solcher gesundheitsgefährdenden Müllverbrennungsanlagen in ganz Indien per Gericht stilllegen lassen. Das Problem in Okhla sind auch die Anwohner.
Gopal Krishna
Dann erzählt Gopal, wie er am 13. März 2005 die Anwohner von Sudhek Vihar zum ersten Mal darauf aufmerksam machte, dass vor ihrer Tür eine Müllverbrennungsanlage gebaut werden sollte, doch erst als die Baumaßnahmen im Jahr 2009 starteten, baten sie ihn aufgeregt um Hilfe.
Alles lief dann gut vor Gericht, doch hinter meinem Rücken, legten sie dem High Court Delhi und dem Green Tribunal eine eigene Klage auf eine Verlegung der Müllverbrennungsanlage an einen anderen Ort ein. Doch die Klage nicht lief wie erhofft, so haben sie mich wieder um Hilfe gebeten - der Fall ist jetzt beim Supreme Court gelandet.
Gopal Krishna
Zum Abschied lädt er mich noch zu einer öffentlichen Anhörung im Fall der Verbrennungsanlage in einem Monat ein. Auch dabei tricksen die Behörden und die Jindal Gruppe wieder. Laut Gesetz müsste die Anhörung so nah wie möglich am Ort des Geschehens stattfinden, aber sie ist weiter weg verlegt worden in der Hoffnung, dass weniger Menschen erscheinen.
Schmutzige Tricks
Am 16. Januar 2019 geht es auf dem Gelände des Distrikt Magistrate in Lajpat Nagar hoch her. Etwa 200 Anwohner der Müllverbrennungsanlage in Okhla und Sympathisanten versperren den Betreibern den Weg auf das Podium. Sie wollen verhindern, dass die Jindal Gruppe die öffentliche Anhörung von ihrer Liste abhaken kann.
Die Umwelt-Zertifizierung für die Erweiterung der Verbrennungsanlage verlangt die Anhörung, dabei hat die Regierung diese Zertifizierung schon erteilt. Von 11 Uhr an versuchen die Betreiber, drei Mal unter Polizeischutz die Anhörung zu starten, drei Mal werden sie zurückgedrängt. Um 13.00 Uhr ist der Termin offiziell verstrichen.
Kurz danach spreche ich mit einer ehemaligen Bewohnerin von Sukhdev Vihar: "Es geht doch nicht nur um die Anwohner. Delhi ist schon jetzt die Stadt mit der schlimmsten Luftverschmutzung der Erde. Unsere Kinder wachsen deswegen mit kleineren Lungen heran. Eigentlich müssten alle Bewohner Delhis hier sein."
Mitten im Gespräch drängen Betreiber und Polizei noch einmal dem Podium entgegen, doch selbst ältere Herrschaften unter den Protestlern reagieren blitzschnell und preschen an die "Front".
Vor einem Kamerateam, dass die Vertreter der Jindal Gruppe selbst mitgebracht haben, geben sie noch ein Interview, in dem sie ihre guten Taten erwähnen: Sie helfen den Müll zu beseitigen und stellen gleichzeitig umweltfreundlich Strom her.
Als sie für heute geschlagen abziehen, strahlt ein 55-jährige Aktivist, den hier alle nur Bhai Vimal nennen, in Anspielung an die kriminellen Paten Bombays der 1980er: "Zwei Mal habe ich mich vorher mit den Anwohnern getroffen um den heutigen Tag einzuüben. Sie haben ja keine Erfahrung mit solchen Protesten und hatten auch Angst vor einer Konfrontation mit der Polizei. Die Anwohner haben sich großartig geschlagen."
Zwei ältere Kläger frage ich, warum sie erst so spät auf den Bau der Anlage reagiert haben und warum sie nur dafür sind, dass die Anlage an einem anderen Ort gebaut werden soll, aber nicht bei ihnen. Ärgerlich fragt einer von ihnen, wer so etwas behauptet, sie hätten schon 2004 vor Gericht einen Antrag gegen den Bau abgegeben (davon ist jedoch niemandem etwas bekannt).
Doch mit einem Stoß in die Seite unterbricht ihn der andere und sagt sanft: "Zuerst wollen wir, dass die Verbrennungsanlage aus unserer Gegend verschwindet. Später werden wir uns am Kampf beteiligen, dass solche Anlagen nirgendwo in Indien gebaut werden."