Indien: Selbstmorde für den guten Zweck

Seite 2: Die Reinigung des Ganges als Wahlversprechen

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Am Abend kommt dann hoher politischer Besuch in Form des ehemaligen Chief-Ministers von Uttar Phradesh, Harish Rawat von der Kongress Partei. Wie von Mitgliedern der ehemaligen größten Partei Indiens gewohnt, gibt er sich volksnah und bescheiden.

Während sich Rawat verständig nickend die Beschwerden anhört, schaut er öfters verstohlen zum Aktivisten aus Bihar - der grinst und flüstert mir zu: "Ich hatte während seiner Amtszeit öfters mit ihm wegen Umweltangelegenheiten zu tun. Er hat zwar mehr in die Wege geleitet als sein Nachfolger von der BJP, aber viel war es auch nicht."

Rahul Ghandi

Dann äußert er die Vermutung, dass Rawats Parteivorsitzender Rahul Ghandi ihn hierher gesendet hat, um die Reinigung des Ganges zum Wahlthema zu machen. Davon ist auszugehen: Noch vor einem Jahr galt Rahul Ghandi selbst seinem Parteivolk als zu naiv, zu weich und zu intellektuell. Doch seitdem hat er gelernt, mehr Halbwahrheiten und einfache Botschaften zu verbreiten, wie es in der indischen Politik häufig praktiziert wird.

Am nächsten Nachmittag organisieren die Priester und Schüler des Matri Sadan Ashrams und die Aktivisten noch eine kleine Demonstration zur Rettung des Ganges in Haridwar. Ich gehe jedoch in die Tempelanlagen der Stadt am "heiligen" Fluss, wo tausende Hindus in entspannter Atmosphäre ihre Rituale vollziehen - von einer Demonstration zum Wohle des Ganges ist hier nichts bekannt.

Eine Demonstration der RSS in Kolkata. Foto: Gilbert Kolonko

Zeitgleich findet in Allahabad die Ardh Kumbh Mela statt, bei der ein paar Millionen Gläubige ein Bad im Ganges nehmen. Auch in Kolkata dürfte an diesem Sonntag wieder allerhand im Kalighat Tempel los sein - nicht entspannt, sondern in Mitten eines aufgeregt freudigen Gedränge und Geschubse. Vor dem Sabarimala Tempel im Bundesstaat in Kerala herscht augenblicklich jedoch eine hasserfüllte Atmosphäre.

Narendra Modi

Das Höchste Gericht hat die Tempel-Regel gekippt, dass Frauen im gebärfähigen Alter draußen bleiben müssen. Die "kommunistische" Regierung Keralas versucht das Gesetz umzusetzen, Frauen jeden Alters den Zutritt zu gewähren. Modis Bharatiya Janata Partei (BJP) benutzt den Tempel als Wahlkampfthema und schürt den Hass unter den Hindu-Extremisten.

Doch der Wind hat sich gedreht: Die Führer des Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS), der rechtsextremen und paramilitärischen Kaderorganisation der BJP, hatten sich schon 2006 dafür eingesetzt, dass Frauen der Eintritt zu allen Tempeln gestattet wird. 2016 wiederholten sie ihren Standpunkt.

Zudem sind viele der fünf bis sechs Millionen Mitglieder der RSS bereits gegen Modi eingestellt und wollen ihren Vorsitzenden Mohan Bhagwat an der Spitze der BJP sehen. Modis neoliberale Wirtschaftspolitik hat auch unter den Anhängern der RSS für viele Verlierer gesorgt. Auch der Hindunationalist Yogi Adityanath wird Modi gefährlich.

2017 hatte er mit einem aggressiven Wahlkampf gegen Muslime das Amt des Ministerpräsidenten von Uttar Pradesh gewonnen. Zwei Tage nach der Niederlage bei den jüngsten Wahlen in fünf Bundesstaaten plakatierten Anhänger Yogis in der Hauptstadt von Uttar Pradesh, Lucknow, gegen Modi gerichtete Aufrufe.

Ausserhalb von Haridwar ist der Ganges dank der Priester und Aktivisten an einigen Strecken noch unberührt. Foto: Gilbert Kolonko

Dass sich der Rashtriya Swayamsevak Sangh mit Yogi Adityanath verbündet, braucht Narendra Modi nicht zu befürchten - die RSS Spitze rekrutiert sich aus Brahmanen, Yogi gehört der Kaste der Rajputen an. Beides sind zwar obere Hindukasten, stehen jedoch in Konkurrenz miteinander. Trotzdem haben die extremen Hindus Narendra Modi mehr benutzt als er sie: Sie konnten Indien ihren Stempel aufdrücken wie lange Zeit davor nicht mehr, sogar in Form von Gesetzen die den Hinduismus stärken.

Dazu haben die extremen Hindus sogar ein Bein in die letzte Bastion der Linken Indiens bekommen - den führenden Universitäten. Durch schlechte Umfragewerte in Bedrängnis gekommen, könnte Modi ihnen auch noch den Gefallen tun und den umstrittenen Ram Tempel in Ayodhya (Uttar Phradesh) bauen lassen.

Organisationen wie der Rashtriya Swayamsevak Sangh werden noch von den Modi-Jahren profitieren, wenn der selbsternannte Heilsbringer längst in der politischen Bedeutungslosigkeit verschwunden ist. Augenblicklich ist das Rennen um die diesjährigen Parlamentswahlen jedenfalls wieder völlig offen und das hätte vor einem Jahr niemand geglaubt.

In fünf Jahren könnte es sogar sein, dass Priester gemeinsam mit der Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS) einen Ministerpräsidenten Rahul Ghandi an sein gebrochenes Wahlversprechen erinnern, den Ganges zu reinigen.