Indien: Smog verändert das Bewusstsein
Mit einer Kaufprämie von bis zu 700 Euro für einen Neuwagen will man 26 Millionen Fahrzeuge von der Straße bekommen, die älter als 11 Jahre sind
Eigentlich war im indischen Delhi alles wie immer um diese Jahreszeit. In den Straßen wurde der Plastikmüll verbrannt. Auf den Feldern der umliegenden Provinz Punjab wurden mit großen Feuern die Stoppelfelder abgebrannt. Das religiöse Fest Divali wurde mit (zu) viel Feuerwerk gefeiert und die kühleren Nachtemperaturen sorgten dafür, dass sich die Feinstaub beschwerte Luft über die 17 Millionen Einwohner Metropole legt – dazu die üblichen Abgase von 9 Millionen motorisierten Fahrzeugen (darunter etwa 3 Millionen Autos).
Doch am Freitag wurden dann plötzlich 1700 Regierungsschulen geschlossen, dann alle Baustellen. Am Samstag auch ein Kricket-Spiel der ersten indischen Liga in Delhi abgesagt, wobei ein befreundeter Sportjournalist lakonisch anmerkte, dass dies nun wirklich ein alarmierendes Zeichen wäre, da die Spieler doch eh nur rumstehen würden. Die Hauptstädter, die es sich leisten können, reisen in die nahgelegenen Berge um Dharamsala oder suchen woanders das weite.
Das alles, weil die Feinstaubwerte des Donnerstags veröffentlicht wurden: Die größeren Partikel (PM 10) wurden mit 522 Mikrogramm pro Kubikmeter als Tagesdurchschnitt angegeben und die kleineren Partikel (PM 2,5) mit 348 mg. Damit wurden die Grenzwerte der WHO um das 20-Fache und 35-Fache überschritten. Es gab sogar Höchstwerte am Morgen von 887 mg/m³. Dabei lernt man ganz schnell die "Schutzvorrichtungen" seines Körpers kennen: Schon einen Tag nach meiner Ankunft in Delhi am Donnerstag waren die Nasenhärchen schwarz verklebt und ich spuckte braune Bröckchen, ein Zeichen, dass meine Lungenhärchen noch vorhanden sind.
Dass Regierung und Bevölkerung endlich Reaktionen zeigen, ist jedoch die gute Nachricht. 400 Kilometer weiter westlich, im pakistanischen Lahore, lässt die Regierung die Menschen immer noch ahnungslos im Nebel stehen, und so war es auch noch vor ein paar Jahren in Delhi. Doch in der 17-Millionen-Einwohner-Metropole hat die Bevölkerung im letzten Jahr schon ein Zeichen gegen das Alte gesetzt und mit absoluter Mehrheit die lokale Anti-Korruptionspartei AAP an die Macht gewählt.
Die will jetzt auch mehr als das Bewusstsein der Menschen ändern, aber so einfach ist das nicht. Zwar verbot sie sofort nach Antritt der Regierungsgeschäfte den Verkauf von Dieselfahrzeugen über 2000 ccm, doch Mercedes Benz, von denen 25% aller in Delhi verkauften Autos stammen, klagte dagegen erfolgreich. Die Verantwortlichen der Metropole kauften auch 6 große Räumfahrzeuge, die den Staub von der Straße saugen sollten, doch funktionierten sie nicht auf den unebenen Straßen Delhis. Damit waren auch die Sprinkleranlagen nahezu wirkungslos, die durch das gesprühte Wasser den Staub aus der Luft binden, damit er sich auf dem Boden absetzt.
Die politischen Verantwortlichen Delhis baten auch ihre Kollegen in der Nachbarprovinz Punjab, dass sie das Abbrennen der abgeernteten Felder verhindern. Doch die "Kollegen" wollten es sich nicht mit den Großbauern verscherzen - 2017 wird im Punjab gewählt - und stellten sich taub. Schon im letzten Winter ließ man in Delhi nur die Fahrzeuge mit ungerader Anfangszahl auf dem Nummernschild auf die Straße und am anderen Tag die mit gerader – doch die Beamten waren mit den Kontrollen der Fahrzeuge überfordert. Bei den Luftfiltern, die man in den Straßen der Metropole platzierte, stellte man fest, dass sie nur in geschlossenen Räumen funktionieren.
Mit denen deckt sich jedoch mittlerweile die Mittelklasse Delhis ein. Für den Großteil der Bevölkerung, unter ihnen die etwa 3 Millionen Slumbewohner, sind die bis zu 5000 Dollar teuren Luftfilter jedoch unerschwinglich. Doch auch die Zentralregierung ist nicht untätig. Mit einer Kaufprämie von bis zu 700 Euro für einen Neuwagen will man 26 Millionen Fahrzeuge von der Straße bekommen, die älter als 11 Jahre sind – aber auch dies muss in der größten Demokratie der Erde noch umständlich abgesegnet werden.
Ein junger Callcenter-Arbeiter, mit dem ich mich in der Wartehalle des Bahnhofes unterhalte, gibt einen Wink, dass Indien nicht ewig Zeit hat. Obwohl ihm bewusst ist, dass es noch vor 10 Jahren eine Unmöglichkeit gewesen wäre, dass ein Arbeiter aus der Unterschicht ohne Universitätsabschluss 700 Euro im Monat verdient, sagte er zu mir: "Ich weiß, dass mein Land Fortschritte macht und ich liebe Indien. Aber es geht alles so langsam. Ich spare mein Geld um nach Kanada oder Australien auszuwandern." Er zeigte dann nach draußen: "Welcher Vater möchte denn seine Kinder in so einer Atmosphäre großziehen?"