Indien: Von toxischem Blumenkohl zu BlackRock

Seite 2: New Town: Kolkota, die Zukunft?

Aber viele Fischer geben auf und verkaufen an Spekulanten. "Unsere Arbeit wird immer schwieriger, weil die Verschmutzung des Abwassers schlimmer wird und wir das Wasser nicht mehr sauber bekommen. Doch die Regierung weigert sich, uns mit Zahlungen zu unterstützen oder etwas gegen die Verschmutzung zu tun", sagt der Fischer Sujut Mandal.

So landet ein Teil der täglich 750.000 Millionen Liter Abwässer Kolkatas auf den Gemüsefeldern Dhapas. Der Rest wird über mehrere Kanäle in die Sundarbans geleitet, die größten Mangrovenwälder der Erde. Auch sie wurden von der Unesco und dem Ramsar-Abkommen unter Schutz gestellt.

An der sechsspurigen Ringstraße bleibe ich stehen. Im 30-Sekunden-Takt stoppen Autos und Motorräder. Die Fahrer decken sich bei den Händlern mit frischem Dhapa-Blumenkohl ein. Hier beginnt die Stadt Kolkata mit ihren 4,5 Millionen Einwohnern.

Tagsüber wächst sie auf acht Millionen Menschen an, dann drängen sich 50.000 Menschen auf einem Quadrat-Kilometer. Im Großraum Kolkata leben 16,4 Millionen Menschen. Im Jahr 2025 sollen es 20 Millionen sein.

In einem Monat werden hier an der Ringstraße wohl wieder Bettlacken hängen, um den Besuchern des Business Summit 2023 in Kolkata den Anblick Dhapas zu ersparen.

Auch in New Town gibt es schon die ersten Bauruinen. Foto: Gilbert Kolonko

Der Blick der Besucher soll auf die andere Straßen-Seite fallen: Dort steht das 128 Meter hohe ITC-Royal-Hotel mit einem durchschnittlichen Zimmerpreis von 200 Euro pro Nacht. Daneben das 152 Meter hohe Apartment-Gebäude The Atmosphere, in dem Mercedes einen Ausstellungsraum seiner Autos betreibt.

Warum diese Luxusimmobilien ausgerechnet hier gebaut worden sind, verrät ein Blick nach oben: Dort verläuft oberirdisch die neue Metro, die nächstes Jahr eröffnet werden soll. Sie wird dann bis in den Nordwesten nach New Town führen – eine auf dem Reißbrett geplante Stadt für 500.000 Menschen, mit 30-stöckigen Apartmenthäusern und reichlich Shopping-Centern für die aufstrebende Mittelklasse.

Auch in Indien konsumiert und verdreckt sie ihre Umwelt um ein Vielfaches mehr als die Armen des Landes.

Doch obwohl noch nicht mal alle Wohnungen in New Town verkauft sind, blättert bei den ersten Hochhäusern bereits der Putz ab. Auch gibt es schon die ersten Bau-Ruinen. Dazu türmt sich an vielen Straßenecken der Müll. "Die 'Drecksarbeit' soll auch in Kolkata der Staat übernehmen", sagt Professor Sikdar und beschreibt dann das Hauptproblem:

Ich habe die bengalische Regierung schon vor Jahren gewarnt, das Wasser für New Town nicht aus dem Grundwasser abzuzapfen. Der Grundwasserspiegel in Kolkata sinkt rapide. Die ersten 40 Meter der Erdschicht unter Kolkata bestehen aus Lehm, dann folgt Sand. Der holt sich die fehlende Feuchtigkeit dann aus dem Lehm.

P. K. Sikdar

Sein Fazit ist beängstigend:

Nicht nur Trinkwassermangel für bald 20 Millionen Menschen wird die Folge sein. Sondern es wird in Kolkata überall und jederzeit zu Erdrutschen kommen, die dann Häuser und Fabriken mit sich reißen.

P. K. Sikdar

Warum die Regierung West-Bengalens nicht gegensteuert, ist klar: Für Wirtschaftswachstum braucht es auch ausländische Investoren, wie die Chief-Ministerin West-Bengalen seit 2014 stets betont und diese investieren "in Wachstumsmärkte": So wird für das Jahr 2023 in ganz Indien ein Boom der Immobilienbranche vorausgesagt.

Von Delhi über Mumbai bis zum südindischen Chennai gibt es schon jetzt schwerste Probleme mit sinkenden Grundwasserpegeln, Überschwemmungen wegen der unkontrollierten Stadtverdichtung und mit der Trinkwasserversorgung (vgl. Wasserkrise Indien: "Wir bekommen, was wir verdienen").

Auch auf der Banerjee Road gibt es Wasser zum Baden und Trinken nur auf der Straße an den staatlichen Pumpen. Foto: Gilbert Kolonko

Büros der US-amerikanischen Investmentgesellschaft Black Rock gibt es selbstverständlich längst in New Town. Und auch Kleinaktionäre in Deutschland können mitverdienen, wenn sie ein paar Aktien des Black Rock India Fund kaufen.

"Schon jetzt kommt ab März kaum noch Wasser aus den staatlichen Pumpen. Im Sommer überhaupt keins mehr. Für meine vierköpfige Familie muß ich dann bis zu 3000 Rupien im Monat (etwa 35 Euro) für Flaschenwasser bezahlen", sagt der Händler Rashid in der Banerjee Road im Stadtzentrum.

Die Antwort des Kapitalismus darauf ist wohl auch klar: Kaufen Sie Aktien von Nestle oder Veolia – sauberes Trinkwasser ist auch in Indien ein weiterer Wachstumsmarkt!