Indonesien: Gouverneur wegen Gotteslästerung verurteilt
Der christliche Politiker hatte gemeint, die Wähler sollten sich nicht mit einer Koransure anlügen lassen
Basuki Tjahja Purnama, der Gouverneur der Zehn-Millionen-Metropole Jakarta, wurde gestern der Blasphemie für schuldig befunden und zu zwei Jahren Haft verurteilt. Das Urteil, gegen das er in Berufung gehen will, ist allerdings noch nicht rechtskräftig. Der Vorsitzende Richter Dwiarso Budi Santiarto ging mit dem Urteil über den Antrag der Staatsanwaltschaft hinaus (die eine Bewährungsstrafe gefordert hatte) und ordnete an, dass der kurz "Ahok" genannte Politiker den Ausgang des Berufungsverfahrens im Cipinang-Gefängnis abwarten muss. Abdul Rosyad, ein weiterer Richter, begründete die unerwartet harte Entscheidung damit, dass Purnama "Moslems verletzt", "Angst geschürt" und sich "nicht schuldig gefühlt" habe. Maximal wären wegen Blasphemie fünf Jahre Haft möglich gewesen.
Auf großes internationales Interesse stieß der Fall, weil eine Menschenmenge das Urteil vor dem Gerichtssaaal mit lauten "Allahu-Akbar"-Rufen begrüßte - und weil sich mit ihm die Frage stellt, welchen Weg das bevölkerungsreichste Land mit moslemischer Mehrheit einschlagen wird.
Der Fall nahm seinen Ausgang, als islamistische Politiker argumentierten, Moslems dürften den chinesischstämmigen Christen Purnama (der vorher Vize-Gouverneur war und 2014 dadurch ins Amt kam, dass sein Vorgänger Joko Widodo indonesischer Staatspräsident wurde) wegen der al-Maidah-Sure im Koran nicht im Amt bestätigen. In dieser Sure heißt es in Vers 51: "Nehmt euch nicht die Juden und die Christen zu Freunden! […] Wenn einer von euch sich ihnen anschließt, gehört er zu ihnen - Allah leitet das Volk der Frevler nicht recht". Salafistische Theologen leiten daraus ab, dass Moslems nicht unter der Herrschaft von Nichtmoslems leben dürften und raten deshalb teilweise sogar dazu, in das IS-Kalifat auszuwandern. Andere Korangelehrte glauben dagegen, dass sich der entsprechende Vers nur auf die Entstehungszeit der Religion bezieht.
Als "Massengebete" getarnte Demonstrationen
Purnama meinte dazu am 28. September 2016 in einer auf Video festgehaltenen und verbreiteten Rede, die Wähler sollten sich mit "Vers 51 der al-Maidah-Sure und ähnlichen Sachen" nicht "anlügen" lassen" - und erntete dafür einen Empörungs-Aufschrei, weil ihm seine Kritiker umgehend unterstellten, er habe damit gemeint, dass im Koran Lügen stünden. Dass "Ahok" sich für die Äußerung umgehend öffentlich entschuldigte und erklärte, er habe damit nur Diejenigen gemeint, die diese Sure gegen ihn verwendeten, konnte die Lage nicht beruhigen:
Als "Massengebete" getarnte Demonstrationen gegen ihn, die im Oktober begannen, wurden immer größer und brachten bald Hunderttausende auf die Straße (vgl. Jakarta: Massendemonstration gegen christlichen Gouverneur). Sie und die Anklage wegen Gotteslästerung trugen maßgeblich dazu bei, dass Purnama am 19. April eine Stichwahl gegen seinen moslemischen Konkurrenten Anies Baswedan verlor. Die Amtsübergabe ist jedoch noch nicht erfolgt.
Obwohl der Human-Rights-Watch-Vertreter Andreas Harsono gestern im Guardian klagte, wenn der Gouverneuer der größten Stadt Indonesiens, der ein Freund des Staatspräsidenten ist, wegen so einer Äußerung zu zwei Jahren Haft verurteilt werden könne, dann müsse man sich fragen, was anderen Menschen in so einer Situation widerfahren kann.
Eine wirklich große Koalition von den Elitenkritikern bis zu den Islamisten
Tatsächlich gilt "Ahok" als Freund des amtierenden Staatspräsidenten Joko Widodo, dessen Vizegouverneuer er bis 2014 war. Allerdings ist auch Anies Baswedan der gegen "Ahok" antrat und gewann, ein Unterstützer von Präsident "Jokowi". Der gehört der eher säkularen und elitekritischen Partai Demokrasi Indonesia Perjuangan (PDI-P) an, die bei der letzten Parlamentswahl im April 2014 zwar stärkste Kraft wurde, aber mit 19 Prozent und 107 von insgesamt 560 Abgeordneten weit von einer Mehrheit in der Majelis Permusyawaratan Rakyat, der "beratenden Volksversammlung", entfernt blieb.
Zweitstärkste Partei ist mit 90 Abgeordneten die Golkar, die Unterstützerpartei des ehemaligen De-facto-Diktators Suharto, die 1997 noch über 325 von 400 Sitzen verfügte. Sie hat sich der Pancasila-Ideologie des Staatsgründer Sukarno verschrieben - einer Mischung aus Nationalismus, Monotheismus und sozialen Elementen. Die mit 48 Sitzen dritgrößte Partei, die Partai Amanat Nasional (PAN), hat diese Pancasila-Ideologie mit Islamismus angereichert. Zusammen mit der konservativ-islamischen Partai Kebangkitan Bangsa (PKB - 47 Sitze), der islamistischen Partai Persatuan Pembangunan (PPP - 39 Sitze) und der liberal-korporatistischen Hanura (16 Sitze) bilden all diese Parteien einen großen, 383 Sitze umfassenden Regierungsblock, der mit Joko Widodo mehr oder weniger gut zusammenarbeitet. Die Opposition besteht dagegen nur aus dem Golkar-Ableger Gerindra, der konservativen Partai Demokrat und der hart islamistischen Partai Keadilan Sejahtera (PKS).
FPI-"Aktivisten" können relativ ungehindert einschüchtern
Der Druck, "Ahok" anzuklagen und zu verurteilen, ging vor allem von einer Organisation aus, die gar nicht im Parlament sitzt: Der Front Pembela Islam (FPI), deren "Aktivisten" von der Polizei nicht wirklich effektiv daran gehindert werden, in Gaststätten, Geschäften und auf der Straße mit Gewalt ihre Vorstellungen davon durchzusetzen, was gesagt, gezeigt und angeboten werden darf. Auch die Politik wollte gegen diese Vigilanten bislang nicht wirksam einschreiten, weshalb sie unter anderem eine Versammlung der Allianz für Religionsfreiheit stürmen, Kirchgänger bedrohen und traditionelle Schattenspielfiguren zerstören konnten.
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