Inflationsbekämpfung: Kommt ein "Zinsschock"?

EZB in Frankfurt. Bild: Pixabay License

In den USA wird ein größerer Zinsschritt erwartet. Auch auf der EZB liegt hoher Handlungsdruck. Experten warnen vor einer Börse mit "Luft nach unten".

Anders als im Euroraum hat die Inflation in den USA den Höchstwert offensichtlich überschritten. Wie an dieser Stelle berichtet, hat das bisherige Zaudern der Europäischen Zentralbank (EZB) dazu geführt, dass die ohnehin aufgehübschte offizielle Inflationsrate im August auf einen neuen Rekordwert von 9,1 Prozent gestiegen ist.

Der Entwicklung hinterher

Das führte letztlich dazu, dass auch die EZB, wenn auch viel zu spät, die Geldpolitik geändert hat. Im Stil der US-Notenbank (FED) hat sie die Leitzinsen in einem zuvor nie dagewesenen Zinsschritt um gleich 75 Basispunkte erhöht. Alle Notenbanken haben viel zu spät auf die Inflationstendenzen reagiert und laufen nun der Entwicklung hinterher, die sie mit der Geldschwemmen-Politik seit 2009 provoziert haben.

In den USA hat die Inflation den Höhepunkt vielleicht schon überschritten, da die Fed (Federal Reserve System) zuletzt mit heftigen Leitzinserhöhungen auf die hohe Inflationsrate reagierte. Sie war im Juni ebenfalls auf satte 9,1 Prozent gestiegen. Nachdem die Fed - nach einer anfänglich zögerlichen Politik - schließlich zwei große Zinsschritte unternahm und den Leitzins um jeweils 75 Basispunkte auf eine Zinsspanne von 2,25 und 2,5 Prozent erhöhte, sank die Inflationsrate.

Im Juli ist sie, stärker als von Experten erwartet, auf 8,5 Prozent gesunken. Und im August weiter auf 8,3 Prozent gesunken. Allerdings hatte man da allgemein eine niedrigere Inflationsrate erwartet.

Fed unter Handlungsdruck: Der nächste große Zinsschritt?

Die Fed steht also weiter unter starkem Handlungsdruck. Erwartet wird, dass der Gouverneursrat der US-Notenbank am Mittwoch dieser Woche einen weiteren deutlichen Zinsschritt verkünden wird, um die Abwärtstendenz bei der Inflation zu verstärken. Laut Schätzungen könnten die Leitzinsen in den USA auf eine Zinsspanne von 3 bis 3,25 Prozent angehoben werden.

Der Leitzins in den USA läge damit deutlich über den von der EZB auf 1,25 Prozent angehobenen Leitzinsen im Euroraum. Damit dürfte der Druck auf den Euro weiter steigen, der seit Juli um die Parität zum US-Dollar pendelt.

Mit einem schwächeren Euro verteuert sich in Europa aber Energie wieder, da Gas und Öl auf dem Weltmarkt in US-Dollar bezahlt wird.

In Europa sind wir noch weit entfernt von sinkenden Inflationsraten. Sogar die Bundesbank erwartet zum Beispiel zweistellige Inflationsraten für Deutschland im Herbst.

Ifo: "Wir gehen in eine Winter-Rezession"

Das Münchner ifo-Institut geht davon aus, dass es im Frühjahr sogar noch weiter nach oben geht, da die Energieversorger vor allem ab dem Jahresbeginn 2023 ihre Strom- und Gaspreise verstärkt an die Verbraucher weitergeben werden. Wie das Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel zuvor geht auch das ifo-Institut von einer Rezession aus.

"Wir gehen in eine Winter-Rezession", sagte der Leiter der Ifo-Konjunkturforschung, Timo Wollmershäuser. Er erwartet erst 2024 wieder eine "Normalisierung" und hofft dann optimistisch auf Wachstum und eine Inflationsrate von 2,5 Prozent, die dann wieder nahe an der Zielmarke der EZB liegen soll.

Dass das Szenario eintritt, ist aber eher zweifelhaft, da die Entwicklung zusätzlich mit dem Krieg in der Ukraine verknüpft ist und da sieht es nicht nach Entspannung oder einer mittelfristigen Friedenslösung aus. Und um die Inflation real zu bekämpfen, müsste auch die EZB sehr massiv an der Zinsschraube drehen.

Damit einhergehen würde dann aber ein deutlich stärkerer wirtschaftlicher Abschwung, als die Experten der verschiedenen Institute derzeit vorhersagen.

"Die Zeiten der Wunderbörse sind vorbei"

Henrik Müller, Professor für wirtschaftspolitischen Journalismus an der Technischen Universität Dortmund, hat unter anderem im Spiegel einen Beitrag veröffentlicht, wo er vor "gravierenden" Auswirkungen stark steigender Leitzinsen und einem "Zinsschock" warnt.

Der gleiche Beitrag wurde auch im manager magazin veröffentlicht, wo Müller einst als Vize-Chefredakteur gearbeitet hat. Auch er geht von einer Zinsanhebung der Fed um einen "dreiviertel Prozentpunkt" aus. Er schließt sogar nicht aus, dass Fed-Chef Jerome Powell und dessen Kollegen sogar einen noch größeren Zinsschritt um 100 Basispunkte wagen könnten.

Denn auch wenn man Energie und Nahrungsmittel aus der Inflationsrate herausrechne, hätten "die Verbraucherpreise im August im Schnitt um 6,3 Prozent höher" gelegen als ein Jahr zuvor. Die Fed-Vizepräsidentin Lael Brainard hatte zudem gerade angekündigt, dass die Notenbank die Aufgabe habe, für Preisstabilität zu sorgen. "Wir machen so lange weiter wie nötig, um die Inflation herunterzukriegen."

Was hier immer wieder betont wurde, bestätigt auch Müller. Es zeige sich, "dass die Preise keineswegs von kurzfristigen Schocks wie der russischen Invasion in der Ukraine und den folgenden Sanktionen und Embargos getrieben werden, sondern von heimischen Faktoren. Und deren Auftrieb im Rahmen zu halten, dafür hat letztlich die Notenbank die Verantwortung".

Wie hier aufgezeigt, dient der Krieg der EZB aber immer wieder gerne als Ausrede. Dabei lag die Inflationsrate schon im vergangenen November, also mehr als drei Monate vor dem Kriegsausbruch, im Euroraum bei sechs Prozent.

Klar ist, dass auch die Zinserhöhung am Mittwoch nicht die letzte sein wird und die EZB sogar erst noch ganz am Anfang eines langen und wohl schmerzlichen Wegs steht, da die Bilanzsumme, anders als in den USA, auch noch nicht verringert wird, also weiter inflationstreibend Staatsanleihen angekauft werden. Eines ist aber auch bei der Inflation klar.

"Je länger man das Problem verschleppt, desto härter werden die Konsequenzen", haben Experten wie der ehemalige Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer, gewarnt.

Müller zieht Parallelen zu der Situation in den 1970er Jahren, als die Leitzinsen schließlich sogar die Leitzinsen "zeitweise auf über 19 Prozent" von der FED angehoben werden mussten, was zu einer heftigen Rezession führte, um die Inflation wieder einzufangen.

"Damit die Notenbank die Preisdynamik wirklich einbremsen kann, müssen die Leitzinsen über der Inflationsrate liegen", erklärt der Professor und zeigt damit die Spanne an, auf welche die Zinsen explodieren können.

Mit dem Blick zurück warnt er auch davor, dass sich bei einer "Inflationspsychologie", die sich erst einmal "verselbstständigt hat", es eines "umso stärkeren Anstiegs der Realzinsen" und länger anhaltender restriktiver Maßnahmen bedarf. "Zwischenzeitliche Rückgänge der Inflation können sich als trügerisch erweisen, weshalb man besser nicht darauf reagiert und die Zinsen über längere Zeiträume hochhält."

Er hält es nicht für abwegig anzunehmen, dass angesichts der US-Kerninflationsrate ein Zinssatz von über sieben Prozent droht. Das wäre dann der Zinsschock, der deutlich auf die Konjunktur schlagen würde. Dann "wäre wohl eine heftige Rezession in den USA unumgänglich."

Laut Müllers Lageeinschätzung steht in Europa das bevor, was derzeit in den USA geschieht.

Abzusehen ist, dass weiter stark steigende Zinsen in den USA den Euro weiter stark unter Druck setzen würden. Die weitere starke Aufwertung des Dollars werde auch "viele Entwicklungs- und Schwellenländer in extrem schwierige Situationen" treiben.

Eine Warnung hat Müller auch für die bereit, die an der Börse spekulieren: "Die Zeiten der Wunderbörse sind damit vorbei."

Mit dem Ende der Geldschwemme markierten die nun bröckelnden Kurse erst der Anfang sein, prognostiziert er "eine fundamentale Trendwende" und sieht an den Börsen "reichlich Luft nach unten".

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