Ukraine-Krieg als Ausrede für Rekordinflation

Über eine irrige Ursachensuche und eine völlig verfehlte Notenbankpolitik. Geht jetzt es in der Eurozone rasend Richtung Stagflation?

Das offensichtliche Framing in sogenannten Qualitätsmedien zu den horrenden Inflationszahlen ist beeindruckend. Als am Mittwoch die ersten Daten aus den Bundesländern eingetrudelt sind, wonach die Inflation in Hessen sogar auf acht Prozent angeschwollen ist, auf den höchsten Stand seit 40 Jahren, titelte das Handelsblatt: "Krieg treibt Inflation in Bundesländern in die Höhe."

Als dann am Nachmittag das Statistische Bundesamts (Destatis) die Inflationsrate für das gesamte Bundesgebiet nach einer ersten Schätzung für März mit 7,3 Prozent beziffert, titelte Der Spiegel: "Krieg in der Ukraine treibt Inflation in Deutschland auf 7,3 Prozent." Ist es noch erstaunlich, dass die konservative Die Welt genau den gleichen Titel verwendet, der sich dann auch im öffentlich-rechtlichen Medium ZDF wiederfindet?

Die vorgestanzten Berichte ähneln sich. So wird auf die hohen Energiepreise abgehoben. Zitiert wird natürlich Destatis. Das Bundesamt schrieb in der zugehörigen Presseerklärung:

Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine sind die Preise für Erdgas und Mineralölprodukte nochmals merklich angestiegen und beeinflussen die hohe Inflationsrate erheblich.

Statistisches Bundesamt

So führt Destatis weiter aus, dass die "Inflationsrate in Deutschland zuletzt im Herbst 1981" so hoch war, "als infolge der Auswirkungen des Ersten Golfkrieges die Mineralölpreise ebenfalls stark gestiegen waren.

Energie hat sich nach den Zahlen der Statistiker im Vergleich zum Vorjahresmonat sogar um fast 40 Prozent verteuert. Bei Allgemeinbegriff "Waren" sind es gut 12 Prozent und bei den Nahrungsmitteln nur relativ geringe 6,2 Prozent, die unter dem Durchschnitt liegen. Destatis gibt dann durch die Hintertür zu, dass "im aktuellen Berichtsmonat auch Lieferengpässe durch unterbrochene Lieferketten aufgrund der Corona-Pandemie" kämen.

Interessant sind an der Destatis-Pressemitteilung schon auf den ersten Blick zwei Punkte. Erstens wird auf den absurden Hinweis verzichtet, den Destatis lange Zeit als Begründung für eine steigende Inflation angeführt hatte. Lange wurden die "temporäre Senkung der Mehrwertsteuersätze" und die darauffolgende erneute Anhebung für die hohe und steigende Inflation verantwortlich gemacht.

Dieser Unfug wurde sogar noch im Januar verbreitet. "Tatsächlich lässt sich die anhaltend hohe Inflation nun kaum noch mit der Wiederanhebung der Mehrwertsteuer begründen", hatte Telepolis zum Beispiel schon im vergangenen November kritisiert und festgestellt: "Die Inflationsentwicklung ist längst nachhaltig und hat mit der Mehrwertsteuer nur noch wenig zu tun." Weshalb an dieser Stelle schon vor dem Ukraine-Krieg auf die Wahrscheinlichkeit eingegangen wurde, dass die Inflation weiter steigen werde.

Als zweiter Punkt fällt auf, dass Destatis nur den Verbraucherpreisindex (VPI) angibt und nicht auch den "Harmonisierten Verbraucherpreisindex" (HVPI). Man muss kein Genie sein, um festzustellen, dass der international vergleichbarere HVPI noch deutlich höher ausfallen wird. Wollte man die Bevölkerung nicht mit noch höheren Werten erschrecken?

"Der HVPI wurde in der Europäischen Union (EU) entwickelt, um Preisänderungen international vergleichen und zu einer Gesamtinflationsrate für Europa und der europäischen Währungsunion zusammenfassen zu können", beschreibt Destatis den Unterschied zwischen VPI und HVPI.

Auffällig war in den letzten Monaten, dass sich die Schere zwischen beiden Indizes zum Teil deutlich geöffnet hatte. So waren VPI und HVPI im vergangenen September mit 4,1 Prozent sogar noch gleich. Im Oktober begann sich die Schere zu öffnen und im November ging sie dann richtig auf. Damals soll der VPI 5,2 Prozent betragen haben, der HVPI war allerdings schon auf sechs Prozent geklettert.

Im Februar lag der VPI in Deutschland nach Destatis-Angaben noch bei 5,1 Prozent, der HVPI aber schon bei ehrlicheren 5,8. So bleibt nun die Veröffentlichung der EU-Daten durch Eurostat am Freitag abzuwarten, um etwas genauer herauszufinden, wie sich die Inflation in Deutschland im internationalen Vergleich entwickelt hat.

Es ist klar, dass man für die gesamte EU fatale Daten erwarten darf. Sogar in großen Euroländern wie Spanien ist die Inflationsrate schon fast zweistellig. Mit 9,8 Prozent wird sie angegeben. Sie dürfte womöglich auch im viertgrößten Euroland aber schon zweistellig sein, wie schon im Februar in einigen Ländern. Litauen kam schon vor einem Monat auf fast 14 Prozent.

Der spanische Inflationswert (IPC) ist nun auch massiv verzerrt, das Statistikamt (INE) wird "bis auf Weiteres" keine Daten veröffentlichen. INE habe "Probleme", die absurd hohen Strompreise im Land einzurechnen. Diese werden bekanntlich irrwitzig berechnet, wie zuletzt anhand des Phänomens der massiven "zufällige Profite" (Windfall-Profits) für das Strom-Oligopol berichtet: Strompreise: Vom Himmel fallende Milliardengewinne entstehen.

Und da sind wir schon bei einem der Punkte, warum die allseits in deutschen Medien benutzte steile These, dass der Krieg für die hohe Inflation verantwortlich sei, so nicht stimmt oder sie sogar bewusst zur Verschleierung der Realitäten propagandistisch benutzt wird. In der Frage der Windfall-Profits und der irrwitzigen Festlegung der Strompreise in der EU sind wir bei einem realen Inflationstreiber.

So ist zum Beispiel der renommierte Wirtschaftswissenschaftler Santiago Niño-Becerra am Mittwoch angesichts der horrenden Inflationsentwicklung der These entgegengetreten, dass der Krieg hinter der Inflation von 9,8 Prozent in Spanien steckt. Er macht auf Realitäten aufmerksam, die genau mit dem Kriegsgetöse verschleiert werden sollen. "Noch bevor ein russischer Soldat die Grenze zur Ukraine überquerte, lag die Inflation in Spanien bereits bei 7,4 Prozent."

Er macht das spanische "Produktionsmodell, die niedrige Produktivität und die Abhängigkeit vom Ausland" dafür verantwortlich. Wegen dieses Modells habe Spanien die über die Corona-Pandemie verursachten Brüche nur sehr schlecht auffangen können.

Oligopol-Strukturen

Man sollte anfügen, dass zu dem Produktionsmodell eben die verkrusteten Oligopol-Strukturen gehören, die Spanien einfach nicht aufbrechen will, wie sich am hilflosen Vorgehen der Sozialdemokraten zeigt, die nun versuchen (mit größter Wahrscheinlichkeit erfolglos), die Spritpreise zu senken. An die Milliardengewinne der üblichen Verdächtigen, in deren Aufsichtsräte die Ex-Parteichefs der großen spanischen Parteien sitzen, geht man nicht heran.

Wieder einmal zeigt ein Blick über die Grenze nach Portugal, wie absurd die Lage in Spanien ist und wie absurd die These, dass vor allem der Krieg für die hohe Inflation verantwortlich ist, die nun zu einer massiven Enteignung der Mittelschicht und zur dramatischen Verarmung der Unterschicht führen wird, sollte sie nicht schnell gestoppt werden.

Da in Portugal unter anderem die Strompreise durch viel erneuerbare Energie niedriger sind, war die Inflationsrate auch in den letzten Monaten stets unterdurchschnittlich. Im Februar lag sie mit 2,8 Prozent nur leicht über der Zielmarke, welche die Europäische Zentralbank (EZB) eigentlich garantieren soll. Nun schätzt die portugiesische Zentralbank, dass die Inflation auf vier Prozent angestiegen sein soll.

Tatsächlich ist diese Steigerung der Inflation kriegsbedingt in der Form, dass Spekulation auch in Portugal Einfluss hat. Es ist ja kein Liter Öl, kein Kubikmeter Gas bisher weniger nach Europa geflossen. Deshalb lassen sich die Preisanstiege nicht über eine Verknappung auf dem Markt begründen. Telepolis hatte schon neben den Windfall-Profits auch auf die Mitnahmeeffekte der Mineralölfirmen in Deutschland aufmerksam gemacht, die in nur wenigen Wochen ihre Gewinnmargen zum Teil verdoppelt haben.

Sie verdienen sich derzeit eine goldene Nase und geben das sogar ziemlich freimütig zu. Der Sprecher des Mineralölverbands En2x, Alexander von Gersdorff, erklärte: "Die Raffinerien verdienen derzeit deutlich mehr Geld als vorher.."

Es stimmt auch, dass wir in Europa inzwischen mehr, besonders dreckiges und besonders teures Fracking-Flüssiggas aus den USA beziehen. Doch die Mengen sind noch immer vergleichsweise niedrig, allerdings sollen sie deutlich ausgeweitet, die Abhängigkeit vom extrem klimaschädlichen US-Frackinggas zementiert werden. Also lässt sich auch derartige Preissteigerungen beim Gas nicht erklären, die es auch ohne den Ukraine-Krieg schon gab.

Letztlich lenken praktisch alle Artikel, die irrig den Krieg als Inflationstreiber verantwortlich machen wollen, von diesen Tatsachen ab. Eine Tatsache wird fast gar nicht benannt ...