Informationskrieger wird neuer Generalstabsvorsitzender der USA

General Myers hat als Chef des Space Command die Einheiten für Cyberkriegführung aufgebaut

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Der Luftwaffengeneral und frühere Informationskriegs-Chefkoordinator Richard B. Myers wird neuer Vorsitzender des US-Generalstabes werden. Das gab Präsident George W. Bush am Freitag in Texas bekannt. Diese Entscheidung steht in einer Reihe mit anderen aktuellen Entwicklungen im US-Militär, die auf einen stärkeren Ausbau der offensiven Informationskriegsfähigkeiten der USA unter der Bush-Administration hindeuten. Auch die Aufrüstung im Weltraum wird mit Myers, der bis Februar letzten Jahres Kommandeur des US Space Command war, nun noch zielstrebiger voranschreiten.

Der Luftwaffengeneral und frühere Informationskriegs-Chefkoordinator Richard B. Myers wird neuer Vorsitzender des US-Generalstabes

Myers wird ab Oktober den derzeitigen Vorsitzenden der "Joint Chiefs of Staff", General Henry M. Shelton, ablösen, der am 30 September in den Ruhestand geht. Er ist dann der höchstrangige Soldat der amerikanischen Streitkräfte und in dieser Funktion der wichtigste militärische Berater des Präsidenten. Zur Zeit ist er stellvertretender Vorsitzender des Generalstabes und hat in dieser Funktion eng mit Verteidigungsstaatsekretär Paul Wolfowitz an der Streitkräftereform der neuen Regierung gearbeitet. Bush bezeichnete ihn bei der Pressekonferenz als "jemand der versteht, dass die Stärke der amerikanischen Streitkräfte in unseren Menschen und in unserer technologischen Überlegenheit liegt."

Die Nominierung von Myers, die noch im Kongress bestätigt werden muss, gilt als Signal für eine weitere qualitative Aufrüstung der US-Streitkräfte. Verteidigungsminister Donald Rumsfeld ist ein ausgemachter Fan des Weltraumkrieges und will diesen Bereich massiv ausbauen. Auch für das von Bush und Rumsfeld geplante Raketenabwehrprogramm National Missile Defense (NMD) sind Weltraumkapazitäten zur Überwachung und Kommunikation essentiell wichtig, gearbeitet wird in diesem Kontext auch an weltraumgestützen Laserwaffen.

Daneben setzt Rumsfeld auf eine Verringerung der Truppenstärke, die mit High-Tech-Waffen und vor allen einer konsequenten Digitalisierung des gesamten Militärs dennoch zu schnelleren und schlagkräftigeren Kampfverbänden führen soll. In diesem Zusammenhang, das zeigte sich bereits im Kosovokrieg 1999, steigt die Bedeutung von Waffensystemen und Kampfformen, die ohne Bodentruppen auskommen und schnell auf große Distanzen eingesetzt werden können. Neben der Kriegführung im und aus dem Weltraum gewinnt dabei zunehmende die Luftwaffe gegenüber der Army an Gewicht, und auch die Kriegführung mittels Computerattacken wird ausgebaut.

Rumsfeld braucht als Minister, der erst seit einem halben Jahr im Amt ist und seine Modernisierungspläne auch gegen den Widerstand eines Teils der Truppe durchsetzen will, jemanden an der Spitze des Generalstabes, der loyal ist und sich mit den anvisierten Neuerungen bestens auskennt. Er hatte sich in den letzten Monaten eine Reihe von Kandidaten genauer angesehen. Seinen Kriterien entsprachen sowohl Myers als auch der derzeitige Chef des Space Command, General Ralph "Ed" Eberhardt, der als zweiter Kandidat bis zuletzt im Rennen war. Beide sind Luftwaffengeneräle und haben Erfahrung als Kommandeure der US-Weltraumeinheiten. Die Entscheidung für Myers fiel, weil er bereits Erfahrungen mit der heiklen Pentagon-internen Diplomatie gesammelt und sich mit dem von Rumsfeld eingeleiteten Transformationsprozess intensiv befasst hat. Ausserdem gilt er als äusserst loyal und verfolgt keine eigene Agenda wie einige seiner Vorgänger. Der profilierteste unter ihnen war sicherlich Colin Powell, ein sehr politischer General, der sich regelmäßig mit Clintons Verteidigungsministern anlegte und im Januar unter Bush sogar Außenminister wurde.

Wenn Richard Myers auch eigene politische Agenda hat, so hat er doch ein persönliches militärisches Steckenpferd: Den Ausbau der Fähigkeiten für den Informationskrieg. Myers hat dieses Ziel mit besonderem Ehrgeiz verfolgt, denn er ist überzeugt davon, dass der Hochtechnologie die Zukunft des Krieges gehört. Unter seinem Kommando bekam im Sommer 1998 das Space Command die Verantwortung dafür, die Computersicherheit der gesamten US-Streitkräfte zu koordinieren. Myers war damals erst einen Monat diesem Amt gewesen, hatte sich aber bereits mit dem Cyberkrieg befasst und nahm die Aufgabe dankbar an. Ein Grund ist die enge Verbindung von Weltraumoperationen und Informationsoperationen. In MyersŽ Worten:

"Viele der Informationen, mit denen wir im Krieg arbeiten, kommen entweder aus dem Weltraum oder reisen durch den Weltraum. Wir beim Space Command sind es gewohnt, in der virtuellen Welt zu arbeiten. Wir kontrollieren Satelliten per Tastenklick. Es passt gut zusammen."

Unter Myers wurden die Aufgaben des Space Command für den Informationskrieg massiv ausgebaut(siehe auch Hacken für das Vaterland). Am 1.Oktober 1999 nahm die Joint Task Force-Computer Network Defense (JTF-CND) ihre Arbeit auf. Sie ist die zentrale Koordinationsstelle für den Schutz der militärischen Datennetze der USA und fungiert gewissermaßen als "Übersetzer" zwischen den militärischen Kommandeuren und den Computerexperten. Obwohl sie an der Defense Information Systems Agency in Washington angesiedelt ist, wird die Task Force vom Space Command in Colorado Springs kommandiert.

Auch in den Vorbereitungen zum Jahrtausendwechsel war Myers an zentraler Rolle beteiligt. Das Y2K Strategic Stability Center der US-Streitkräfte, das in Zusammenarbeit mit Russland dafür sorgen musste, dass kein Computerfehler den versehentlichen Abschuss einer Atomrakete auslöst, war Teil des North American Aerospace Defense Command (NORAD) und damit ebenfalls dem Space Command mit Myers an der Spitze unterstellt.

Bereits vor dem kritischen Jahreswechsel hatte Myers einen weiteren Schritt auf dem Weg ins digitale Schlachtfeld vorbereitet. Das bisherige Joint Command and Control Warfare Center (JC2WC) war am 4. Oktober 1999 unter seiner Führung in Joint Information Operations Center (JIOC) umbenannt und ebenfalls dem Space Command unterstellt worden. Damit waren die Weltraumkrieger nicht nur für die Verteidigung der eigenen Datennetze, sondern auch für Angriffe auf andere Computer zuständig.

Bereits wenige Tage nach Y2K, am 5. Januar 2000, kündigte Myers das nächste Vorhaben an: die Gründung einer teilstreitkräfteübergeifenden Einheit für offensive Computeroperationen. Wie beim JIOC war der Grundgedanke dahinter, die Planungen für den Informationskrieg zu vereinheitlichen, die bisher von Army, Air Force und Navy mit unterschiedlicher Ausrichtung betrieben worden waren. Myers sagte damals, die verschiedenen Ansätze, Taktiken und Technologien müssten stärker koordiniert und in die normalen Einsatzplanungen integriert werden. Der Cyberkrieg solle künftig wie Hubschrauber oder Panzer zum normalen Arsenal der Streitkräfte gehören. "Wenn man die Computernetze der feindlichen Luftverteidigung durch die Manipulation der Einsen und Nullen beeinträchtigen kann, könnte das eine elegantere Vorgehensweise sein als 2000-Pfund-Bomben auf Radarstationen abzuwerfen", so der General. "Es wird ein weiterer Pfeil im Köcher sein." Das Pentagon warb dafür unter anderem bei verschiedenen Hackerkonferenzen wie der DefCon neue Cyberkrieger an.

"Wir versuchen, die besten und hellsten Köpfe anzuziehen, um auf diesem Gebiet zu arbeiten. Wir glauben, wir können das schaffen, weil wir an modernster Technologie arbeiten werden, weil wir ihnen die richtigen Werkzeuge geben werden, und weil weil sie etwas für ihr Land tun werden", sagte Myers.

Die so vollmundig gepriesene Einheit, die Joint Task Force - Computer Network Attack (JTF-CNA), wurde dann am 1. Oktober 2000 gegründet - natürlich wieder als Teil des Space Command. Prägend waren dafür die Erfahrungen im Kosovokrieg 1999, als Myers bereits Chef des Space Command und oberster Computerkrieger war und mit ansehen musste, wie Cyberwaffen keine ernsthafte Rolle in der amerikanischen Strategie spielten. Die Kommandeure und Einsatzplaner vor Ort konnten mit diesen ungewohnten Techniken nicht umgehen, viele wussten nicht einmal von ihrer Existenz. Die JTF-CND hat daher auch nicht die Aufgabe, selber Angriffe in den Datennetzen durchzuführen, sondern sie entsendet Spezialteams zur Einsatzunterstützung und entwirft Prozeduren für die Integration von Computerattacken in normale Kriegseinsätze. "Hier geht es darum, gewisse Werkzeuge auf die operative und taktische Ebene zu bringen", so Myers im Januar 2000 bei der Ankündigung des Vorhabens.

Als die Truppe für Computerangriffe ihren Dienst aufnahm, konnte der General diesen weiteren Erfolg seiner Arbeit bereits im Pentagon in Washington genießen - er war am ersten März 2000 stellvertretender Generalstabsvorsitzender geworden. In seinem neuen Job als oberster Soldat und erster militärischer Berater des Präsidenten und des Verteidigungsministers wird er demnächst noch besser daran arbeiten können, die Computerattacken systematisch in die amerikanischen Kriegspläne einzupassen. Bereits als Vize-Vorsitzender hat Myers den Transformationsplänen der US-Streitkräfte seinen Infowar-Stempel aufgedrückt. Er war wesentlich daran beteiligt, den nächsten Quadrennial Defense Review zu entwerfen, eine alle vier Jahre erstellte Studie über Stand und Reformbedarf des Militärs. Im neuen Bericht, der diesen Herbst veröffentlicht werden wird, soll nach Angaben von Pentagon-Mitarbeitern der Informationskrieg eine bedeutende Rolle spielen. Das Ministerium hatte entsprechend auch die Teilstreitkräfte angewiesen, den Informationskrieg in ihren Beiträgen zu dem Planungsdokument ernst zu nehmen. (siehe auch Krieger in den Datennetzen)

Auch im Verteidigungsbudget macht sich die wachsende Bedeutung der Informationskriegführung unter George W. Bush und Verteidigungminister Donald Rumsfeld bemerkbar. Das Pentagon wird im Haushalt 2002 weitere Gelder dafür beantragen. Für die Bereiche Weltraum- und Informationskrieg sind insgesamt 700 Millionen Dollar mehr vorgesehen als noch in diesem Jahr.

Um in künftigen Kriegen den Kommandeuren mehr Klarheit für die Durchführung von Informationskämpfen zu geben, arbeitet das Pentagon derzeit ausserdem an einer konkreten Anleitung. Die Joint Publication 3-13.1, "Joint Tactics, Techniques, and Procedures for Information Operations" wird die bereits seit drei Jahren vorliegende Doktrin für Informationskriegführung, JP 3-13, ergänzen. JP 3-13, die "Joint Doctrine for Information Operations", bietet einen allgemeinen Rahmen für "Informationsoperationen", ist aber in den meisten Aspekten, etwa Organisationsfragen oder Koordination mit den Spionageeinheiten, sehr unspezifisch. Die Ergänzung JP 3-13.1 befasst sich denn auch vor allem mit den Planungsmethoden und Koordinationsproblemen, etwa bei Informationseinsätzen mit verschiedenen Teilstreitkräften oder Verbündeten. An dem Dokument wird bereits seit Januar 2000 gearbeitet, es wurde also in engem Zusammenhang mit MyersŽs Plänen für eine stärkere Praxisorientierung im Informationskrieg in Angriff genommen. Das Dokument soll laut Zeitplan bereits in der Endabstimmung sein. Richard Myers als neuer Generalstabsvorsitzender wird daher wahrscheinlich im Herbst das Vergnügen haben, das Dokument zu unterzeichnen, mit dem seine jahrelange Arbeit für den Informationskrieg ein großes Stück weiter kommt.

Ralf Bendrath ist Mitbegründer der Forschungsgruppe Informationsgesellschaft und Sicherheitspolitik und betreibt die Mailingliste Infowar.de.