Inkas und Bits
Lässt sich das Geheimnis der Khipus lüften?
Vor nicht allzu langer Zeit konnte die altamerikanische Altertumswissenschaft einen großen Schritt nach vorne tun, als endlich die zuverlässige Entzifferung der Mayaschrift gelungen war. Steht mit den Khipus der Inkas der nächste Durchbruch bevor?
Ein Khipu (früher zumeist Quipu geschrieben) ist ein Informationsspeicher, ganz wie ein Blatt Papier, eine Tontafel oder meinetwegen ein Memorystick. Nun schrieben aber die alten Peruaner nicht, noch flashten sie. Zu den Zeiten der Inkas wurde geknotet. Ein Khipu besteht aus einer Hauptschnur, an die quer weitere Schnüre geknotet werden. Diese weiteren, vielfarbigen Schüre haben Knoten, und das Ganze trägt Information. Wie sich auf ein Blatt Papier Zahlen und Text notieren lassen, so wurden mit Khipus sowohl Zahlen als auch Texte aufgezeichnet.
Auf welche Art und Weise Zahlen mit Khipus verarbeitet wurden, ist seit achzig Jahren bekannt (L. Leland Locke, The Ancient Quipu, New York 1923). Noch zu Beginn der spanischen Kolonialherrschaft wurden Khipus von spanischen Gerichten als Nachweise akzeptiert. Die Khipus benutzen übrigens ein echtes Dezimalsystem für die Repräsentation von Zahlen. Während sich also bequem nachlesen lässt, auf welche Art und Weise Zahlen mit Knoten dargestellt werden, sind andere Khipus, die offensichtlich nicht dem Zahlenschema folgen, noch heute rätselhaft.
Dass sie in der einen oder anderen Form Text enthalten, ist sehr wahrscheinlich, denn es wird aus spanischer Zeit berichtet, dass Khipus Geschichtsschreibung und Gedichte enthielten. Doch der genaue Code, mit dem sprachliche Information Knoten zugeordnet wurde, ist unbekannt. Der große Experte für Khipus ist seit Jahren Gary Urton, jetzt Professor in Harvard und von 2001 bis 2005 MacArthur-Fellow. Dieser Forschungspreis umfasst nicht weniger als eine halbe Million Dollar, die ohne jede Auflage ausbezahlt werden. Für die MacArthur-Fellowship kann man sich nicht bewerben - sie zeigt, was die Fachwelt von Urton hält.
Dies sei vorausgeschickt, um klar zu machen, dass Urton ein großer Wissenschaftler, kein Wohnzimmer-Möchtegernkryptograph ist. Denn Urtons neueste Theorien klingen wirklich zu schön, um wahr zu sein. Urton glaubt, dass ein Khipu insgesamt einen Bitcode darstellt. Ein Khipu-Macher hätte sieben binäre Entscheidungen (Baumwolle/Tierwolle, Faden vorn oder hinten festknoten... ) fällen müssen, was 2 hoch 6 gleich 64 Möglichkeiten ergebe. Die einzige Entscheidung, wo mehr Wahlfreiheit bestand, war bei der Fadenfarbe: Da 24 verschiedene Farben benutzt wurden, erhöht sich der Raum auf 64 mal 24 gleich 1536. Das reicht vielleicht nicht ganz für Unicode, ja nicht einmal für Chinesisch, aber für die allermeisten Schriftsystem sollte es das allemal tun.
Ob Urton damit auf dem richtigen Weg ist, werden nur sehr wenige Kollegen beurteilen können. Auch wenn sein Buch noch nicht erschienen ist, darf man wohl davon ausgehen, dass er noch keine ganzen Khipus übersetzen kann. Insofern ist sein Beitrag nur eine Theorie, die der späteren Entzifferung den Weg weisen kann wie Knorosows Theorien zur Mayaschrift - oder aber die Forschung auf eine falsche Fährte bringen kann, wie Thompson, seinerzeit wohl als größter Experte für die Mayaschrift, dies tat.
Urton hat sich genauso mit bolivianischen Webern wie mit Harvard-Computerexperten zusammengesetzt, um den Khipus auf die Spur zu kommen. Er hofft auf ein "Rosetta-Khipu", also die Knotenvariante einer Bilingue, d. h. ein Khipu mit beiliegender spanischer Übersetzung. Dergleichen hat man aber nicht. Zu großen Hoffnungen gab ein Bestattungsfund aus dem Jahr 1997 Anlass, wo 32 Khipus in einem ungestörten Grabkontext spanischer Zeit gefunden wurden. Aber auch dort lag anscheinend nicht der Schlüssel zum Khipu-Problem begraben - sonst wäre dies wohl längst in der Presse. Es kann also durchaus sein, dass Khipus noch ein Weilchen auf ihre Entschlüsselung warten müssen.