"Intellektuelle verlieren bei der Auseinandersetzung mit dem Islam häufig den Verstand"
Stefan Zenklusen über die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Islam in Deutschland und Frankreich
Zu Teil 1: "Die Gewalt ist in den Banlieues zur Routine geworden"
Herr Zenklusen, Sie schreiben, dass der öffentliche antirassistische Diskurs mit einem Sozialrassismus verbunden ist. Wie das?
Stefan Zenklusen: Ein Musterbeispiel hierfür ist die Untersuchung von Jürgen Leibold und Steffen Kühnel unter der Ägide von Wilhelm Heitmeyer in Deutsche Zustände IV, 2006. In dieser Reihe wird bekanntlich die sogenannte "gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" analysiert. Die Autoren untersuchen hier anhand von Markern das Ausmaß der sogenannten "Islamophobie" - schon die Wahl dieses unwissenschaftlichen Kampfbegriffs ist bedenklich.
Richtiggehend surreal ist dann die Auswahl der Marker. Die Aussage, dass man sich in einer muslimisch geprägten Umgebung fremd fühlt, soll ein Indikator für Rassismus sein. Dies ist mehr als diskutabel und betrifft in erster Linie Menschen aus der Unterschicht.
Auch das Verneinen, dass der Islam eine bewundernswürdige Kultur hervorgebracht hat, soll Rassismus indizieren. Auch hier sind es natürlich eher benachteiligte Leute, die häufig von dieser Kultur nichts gehört haben. Gemäß der Untersuchung tendieren auch Personen, die nicht imstande sind, unterschiedliche Glaubensrichtungen des Islam zu unterscheiden, zum Rassismus. In diesem Stil geht die Untersuchung weiter. Es wird in dieser Studie in erster Linie nach dem kulturellen Kapital und der Beherrschung der political correctness gefragt. Insofern ist die Untersuchung meines Erachtens sozialrassistisch.
Diese Studie bestätigt im Übrigen meinen generellen Eindruck, dass Intellektuelle bei der Auseinandersetzung mit dem Islam häufig ihren Verstand verlieren. So gibt es bei Olivier Roy durchaus Aspekte, die ich sehr schätze. Wenn er aber behauptet, die zweite Dschihadistengeneration habe mit dem Islam nichts zu tun und sei mit den Hippies zu vergleichen, dann ist dies sicherlich grotesk.
In Frankreich ist die Verachtung der populären Schichten seit Jahrzehnten ein integraler Bestandteil des Antirassismus. Wenn sich Angehörige der unteren Klassen über die Folgen der Islamisierung beklagen, wird ihnen traditionellerweise ein repli sur soi (Rückzug auf sich selbst) vorgeworfen. Gleichzeitig bleiben ja gerade die meinungsbildenden Mittel- und Oberschichten in den geschützten Quartieren unter sich, wählen sich die guten Schulen für die Kinder aus et cetera. Auch gilt ein gewisser Städtechauvinismus, der insbesondere durch die Globalisierung zunimmt, als "urban", "hip" und "weltoffen", während der "Länderpatriotismus" der Provinzler schnell als "nationalistisch" verurteilt wird. Da sind deutliche Tendenzen beobachtbar, auch wenn wir nicht manichäisch werden sollten.
Weiterhin behaupten Sie, dass es zum Neoliberalismus und Rechtspopulismus eine Komplementärbewegung im linken Lager gibt, nämlich der Anti-Universalismus und Dekonstruktivismus in den Geisteswissenschaften und Medien. Wie sieht diese ideologische Verbindung zwischen Neo-Liberalismus und Linksliberalismus, Anti-Nationalismus und politischer Korrektheit aus?
Stefan Zenklusen: Ich möchte hier bewusst anschaulich bleiben: Diese These mag vielleicht erstaunen, aber objektiv gesehen gibt es Übereinstimmungen zwischen dem Rechtspopulismus oder -extremismus und dem links-islamophilen Kulturrelativismus. Letzterer hat den Universalismus fallen gelassen zugunsten der Pflege von Mikroidentitäten und des Islam. Pauschal ausgedrückt, hat der Heideggersch angehauchte Dekonstruktivismus obsiegt über die Aufklärung der Aufklärung Adornos, bei der immer Aufklärung bewahrt wird.
"Ein Rechtsextremer könnte dieses Konzept unterschreiben"
Haben Sie ein prägnantes Beispiel?
Stefan ZenklusenI: Auffällig für den linken Kulturrelativismus ist die Ideologie der Cultural Appropriation, die den Rassen eine Kultur zuweist und teilweise sogar dafür einsteht, dass sich diese Kulturen nicht allzu fest vermischen sollten. Ein Rechtsextremer könnte dieses Konzept vorbehaltlos unterschreiben. Auffällig in den frankophonen Gebieten ist, welche Definitionsmacht diese postmodernistische Linke errungen hat, und auf welch aggressive Weise diese Position verteidigt wird.
Der Banlieueforscher Hugues Lagrange hat sich dem dominierenden Diskurs auf äußerst zurückhaltende Weise entgegengestellt, ethnisch-kulturelle Einflüsse analysiert und aufgezeigt, dass die bisherigen Approaches einseitig waren und sind.
In einer TV-Diskussionssendung wurde er danach von einer Schriftstellerin und einem Anthropologen in den Senkel gestellt und erniedrigt, ohne dass der Moderator interveniert hätte. Eine ähnliche Hetze mussten die Demographin Michèle Tribalat, der Soziologe Tarik Yildiz oder die Essayistin Malika Sorel erdulden, die alle in die rechte Ecke gestellt wurden. Das Buch L’identité malheureuse (2014) des Philosophen Alain Finkielkraut wurde von der Pariser Presse als "rassistisch" und "nationalistisch" abgestempelt. In meinem Buch biete ich eine ausführlich kommentierte Rezension dieser Schrift an: Die Publikation Finkielkrauts enthält kein einziges nationalistisches oder rassistisches Wort.
Dies sind relativ prominente Beispiele. Man kann sich ausmalen, wie das Ganze jeweils endet, wenn es sich um islamkritische Menschen mit geringem sozialen oder symbolischen Kapital handelt. Anders gesagt: Der sich als "antirassistisch" verkaufende Diskurs im frankophonen Europa (hierzu gehören auch Wallonien, Brüssel und die französische Schweiz) hat sich zu einem semitotalitären islamophilen McCarthyismus entwickelt, der auch die Praxis im deutschsprachigen Raum in den Schatten stellt.
Ein weiteres Beispiel dieses ideologischen Ukas ist ja der Fall Daoud, der auch international wahrgenommen wurde. Der algerische Schriftsteller Kamel Daoud veröffentlichte 2016 in Le Monde einen Artikel, in dem er vor dem Hintergrund der Ereignisse von Köln die Beziehungen des Islam zur Frau und zur Sexualität thematisierte. Daraufhin unterschrieben 19 französische Anthropologen und Soziologen eine Reaktion, in der sie Daoud, der bekanntlich im eigenen Land durch Islamisten bedroht wird, des Essentialismus, des Orientalismus und der Islamophobie bezichtigten.
Hier hat sich der Antirassismus endgültig zu einem im Habermasschen Sinn asymmetrischen, herrschaftlichen, autoritaristischen Diskurs verwandelt. In dem Papier dieser Wissenschaftler weht der Geist von Vichy: Dies ist Kollaboration im Kontext heutiger Verhältnisse. Als Linker hoffe ich, dass sich die Linke endlich deutlich von solchen regressiv-autoritaristischen Tendenzen distanziert.
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