"Internalisierung" des Handels als wichtigste Voraussetzung der Finanzmarktkrise
Der Chef von Interactive Brokers ortet grundsätzliche Probleme im Herzen des Kapitalismus. Der Sinn der Finanzmärkte, Kapital der produktivsten Nutzung zuzuführen, sei der Gier der Broker geopfert worden
Womit Thomas Peterffy vergangene Woche bei einer Konferenz des Weltbörsenverbandes in Paris der eigenen Branche in den Rücken gefallen ist, ist nicht neu: "Die Märkte entwickeln sich schneller als sie verstanden oder kontrolliert werden könnten. Die kurzsichtige Gier der Broker ruiniert den Handel Die Preise werden manipuliert und die Kunden zur Kasse gebeten", kommentierte er die aktuellen Lage an den Märkten, wie Peterffy auch auf der Webseite seines Unternehmens postete.
Das allein wäre kaum berichtenswert, käme Peterffy etwa von ATTAC und wäre nicht als Haupteigentümer und CEO des von ihm 1977 gegründeten elektronischen Discountbrokers Interactive Brokers einer der wichtigsten Akteure an den internationalen Finanzmärkten Heute ist z.B. Timber Hill, ein weiteres seiner Unternehmen, der nach Umsatz wichtigste Market Maker für Optionen an der paneuropäischen Börse Euronext. Es sei, als ob Steve Jobs vor den negativen Folgen der iPod-Nutzung warnen würde, meinte das renommierte Wall Street Wochenblatt "Barron’s", und macht den Artikel ausnahmsweise sogar frei verfügbar.
Tatsächlich erscheint es für ein theoretisch auf Marktpreisen basierendes Wirtschaftssystem hoch problematisch, wenn in dessen Zentrum ein Markt, der unter Ökonomen oft als Musterbeispiel für den "perfekten" Markt genannt wird, nicht "Angebot" und "Nachfrage" als Preisbestimmungskriterium fungieren, sondern die Profitinteressen der Zwischenhändler. Immerhin ist inzwischen auch unter neoliberalen Ökonomen akzeptiert, dass die Manipulation des Preises für Geld, also des Leitzinses, ökonomische Probleme verursachen kann. Werden nun aber auch die Preise für Kapital auf Basis von Partikularinteressen manipuliert, würden auch diese als Allokationskriterium für potentiell produktive Investitionen unbrauchbar. Sind aber diese beiden wichtigsten Grundfesten des marktwirtschaftlichen Systems einmal erschüttert, stellt dies offenbar die Logik des Gesamtsystems in Frage. Peterffy ist freilich keinesfalls an einer Abkehr vom Kapitalismus, sondern an dessen Rettung gelegen, nur plaudert mit ihm einer der maßgeblichen Pioniere des elektronischen Börsenhandels aus der Schule, der es damit immerhin zu einem Milliardenvermögen gebracht hat.
Kräfte der Fragmentation
Auch er selbst habe dabei "anfangs nur die guten Seiten des elektronischem Handels gesehen". Denn besonders die elektronische Dokumentation hätte "die Händler ja auch dazu zwingen können, ehrlicher zu sein und die Prozesse effizienter und mit niedrigeren Transaktionskosten und mehr Liquidität ablaufen zu lassen". Was er übersehen habe, waren die "Kräfte der Fragmentation" und die Gelegenheiten, die sich bieten, die Regeln nur formal zu beachten.
Indem er betont, es sei "lebenswichtig, dass Ordnung und faire Geschäfte an die Märkte zurückkehren", stimmt er offenbar nicht nur denen zu, die meinen, die Finanzmärkte hätten mit Fairness ohnehin nie viel zu tun gehabt, sondern hier gibt ein Top-Insider zu, dem wohl niemand eine feindselige Haltung gegenüber den Finanzmärkten unterstellen wird, dass die Kunden der Finanzmärkte systematisch ausgenommen werden.
Und wenn sein eigenes Kerngeschäft auch von den kritisierten Entwicklungen gefährdet wird, er also durchaus persönliche Interessen vertritt, schließt sich das hochangesehene Magazin Barron's der Kritik vollinhaltlich an und erklärt seinen Text zur Pflichtlektüre für Gesetzgeber und Regulatoren.
Die Wurzel des Problems sei laut Peterffy, dass der Handel seit 20 Jahren generell "internalisiert" werde, d.h. weg von den regulierten Börsen und hin zu internen, unregulierten Marktplätzen wandert, die oft von den mächtigsten Banken kontrolliert werden. Der simple Grund dafür sei, dass die Broker zwar an ihren Kunden mehr verdienen wollen als die bekannten Kommissionen, die Kunden das aber nicht erfahren sollen. So laufe der echte, preisbestimmende Handel nur noch unter einigen wenigen hochprofessionellen Tradern ab, die Investoren würden die von ihnen nachgefragten Produkte hingegen nur noch zu Preisen erhalten, die den Brokern zwar die erwünschten Gewinne ermöglichen, aber nicht auf dem tatsächlichen Verhältnis von Angebot und Nachfrage basieren.
Warum die Kunden das akzeptierten, liege einerseits an den Millionengagen der Verkäufer und den Golfpartys, den kubanischen Zigarren und den sonstigen Zuwendungen an die Käufer, "von denen man in feiner Gesellschaft nicht sprechen sollte". Mehr noch aber daran, dass die Investoren in der Regel nicht mit eigenen Geldern handeln, sondern für Großunternehmen, Regierungen, Versicherungen oder Pensionsfonds tätig sind.
Am besten zu sehen sei das bei den OTC ("Over the Counter" – über den Ladentisch) -Derivaten, bei denen die Banken einfach die Gegenposition zu den Kundenaufträgen einnehmen, und zwar zu Preisen, die den Banken Gewinne ermöglichen, die sie nicht den betroffenen Kunden direkt zuordnen müssen. Man könne praktisch die gesamten Gewinne der Banken aus Derivativgeschäften auf diese Praxis zurückführen, wobei selbst die bescheidensten Schätzungen jährlich 100 Milliarden Dollar locker übersteigen.
Broker umgehen die Börsen
Nicht ganz so offensichtlich sei die Abzocke im Aktienhandel, der aber ebenfalls bereits mehrheitlich außerbörslich ablaufe.
In Europa haben Investoren eine lange Tradition über eine Bank zu investieren. Kleine Banken kooperieren mit großen Banken und die sitzen wiederum in den Aufsichtsräten der Börsen. Dort werden Regeln beschlossen die es den Brokern erlauben, die Trades nicht an der Börse sondern anderswo durchzuführen und sie an die Börse lediglich zwecks Clearing zu melden. Wenn sich der Preis irgendwo zwischen dem niedrigsten Kauf- und dem höchsten Verkaufsangebot bewegt, ist das für die Börse OK; manche Börsen akzeptieren es sogar, wenn sich der Preis innerhalb von plus minus zehn Prozent dieser Spanne bewegt. Die traditionelle Rolle der Börse, Angebot und Nachfrage zusammenzubringen und den Marktpreis zu finden, wird von den Brokern dabei nicht genutzt, sondern nur das Clearing.
Während die Broker aber trotzdem dasselbe zahlen und die Börsen vorerst nicht weniger einnehmen als zuvor, werden sie sich dadurch selbst eliminieren. So lasse derzeit laut öffentlichen Angaben gegenüber der Börsenaufsicht SEC kein einziger US-Discountbroker (außer sein eigener) mehr als fünf Prozent ihrer Aktienorders über offizielle Börsen laufen, was offenbar niemanden störe. Die Broker umgehen dabei die Börsengebühren und erhalten von den "Internalisierern" Gebühren für den Orderflow, die Broker wiederum behaupten, ohnehin zum "besten Preis" zu liefern, was natürlich nicht stimme.
Dabei schade diese Internalisierung des Handels nicht nur den Kunden, sondern beeinflusse auch die veröffentlichten Preise. Während am OTC-Markt derlei ohnehin nicht existiert, stelle sich inzwischen die Frage, was es für die Börsenpreise bedeute, wenn die Kundenaufträge nicht mehr über die Börse laufen und nur noch professionelle Trader untereinander handeln: "An den Börsen haben wir heute die traditionellen Market Maker, die sich hartnäckig an die Idee klammern, dafür bezahlt zu werden, für Liquidität zu sorgen (d.h. stets gleichzeitig Kauf- und Verkaufskurse zu stellen um einen permanenten Handel zu ermöglichen).
Heute stehen ihnen aber alle möglichen Arten von Hochfrequenz-Tradern gegenüber: Einige stellen Liquidität, andere sammeln "slow quotes" (wenn ein Market Maker bei einer Kursänderung seine Quotierungen zu langsam anpasst, was ein Hochfrequenz-Trader ausnutzen kann – das dürfte Peterffys Timber Hill bereits dreistellige Millionenbeträge gekostet haben), tricksen mit "Quote Stuffing" (eine Unzahl an Orders wird an die Börse geschickt und fast augenblicklich wieder gelöscht) oder manipulativem Algotrading (automatisierter Handel nach bestimmten Algorithmen), etwa indem sie den Markt plötzlich leerfegen, dann alle Angebote streichen und dann, wenn alle Maschinen in Deckung gehen, mit Profit zurückverkaufen.”
Das werde fatale Konsequenzen haben, auch für die Hochfrequenz-Trader, die letztendlich "verglühen" würden. "Denn die üblichen Verlierer werden früher oder später aussteigen, und dann wäre niemand mehr da, mit dem sie handeln könnten, außer sie machen einen Fehler." In der Folge würden die "Spreads" zwischen Kauf- und Verkaufspreisen immer höher, was wiederum die Internalisierung fördern werde. "Wie der Bericht der Aufsichtsbehörden zum Flash-Crash im März (als die US-Börsen innerhalb von Minuten um zehn Prozent eingebrochen waren) zeigt, saugen die "Internalisierer" praktisch alle Kundenaufträge ab. Wenn aber ein Ungleichgewicht auftritt, schicken sie es zurück an die Börse, die nicht mehr genug Liquidität hat, um damit umzugehen. Weil heute der Großteil der Umsätze relativ zu einem veröffentlichten Marktpreis erfolgt, der nicht Angebot und Nachfrage widerspiegelt, werden plötzliche Ungleichgewichte zwischen Kauf- und Verkaufsorders immer häufiger auftreten. Das werde noch für einiges Kopfzerbrechen sorgen und das auch bei den Kunden, die sich letztlich zurückziehen werden. "Der langfristige Trend zu immer mehr Handelsvolumen und immer niedrigeren Transaktionskosten hat sich umgekehrt".
Die Börsen, die Regulatoren und die Öffentlichkeit müssten also zuerst einmal dafür sorgen, dass der Handel wieder an die regulierten und transparenten Börsen zurückkehrt, während aber auch die Börsen selbst nicht zu sehr fragmentiert, aber auch nicht zu sehr konzentriert werden dürfen, was auch für die Clearing-Häuser gelte.
Wenn man künftig aber weiterhin die Markt-Liquidität durch Market Maker gesichert haben will, dürfe man diese nicht den Hochfrequenz-Tradern ausliefern, sondern müsse die Reglements an die Realität der elektronischen Märkte anpassen. Diese hätten nämlich einen strukturellen Vorsprung, da die Market Maker insbesondere bei Optionen oft tausende Quotierungen augenblicklich anpassen müssen, während der Trader nur nach der einen, zu langsamen Quotierung sucht, die den Gewinn bringt.
Hier wünscht sich Peterffy einen bevorzugten Zugang für dezidierte Market Maker, indem einfach alle Trades für eine Zehntelsekunde zurückgehalten werden, nur eben nicht jene der Market Maker. Diese sollten im Gegenzug dafür zwar strengeren Regeln unterworfen werden, hätten dafür aber genug Zeit, ihre Quotierungen mit den aktuellen Marktpreisen mit zu ziehen, wodurch das ökonomisch sinnlose Hauptgeschäft vieler Hochfrequenz-Trader obsolet werde.