Internet-Streikwelle in Deutschland baut sich auf
Streikaufruf für 1.November gewinnt immer mehr Unterstützer
Das deutsche Internet geht offline - das erhofft sich jedenfalls eine bunte Allianz von Telekom-Boykotteuren, die die Telekom zwingen will, die Preise für Ortsgespräche zu senken. Am 1. November soll nicht gesurft werden.
Jetzt haben die Telekom-Boykoteure sogar eine eigene Homepage. Seit dem 1. Oktober ist www.internetstreik.de online. Die Liste der Unterstützer dieser Site verblüfft: da finden sich Unternehmen, die mit dem Internet Geld verdienen und die sich in neoliberaler Retorik üben: "Wer bezahlt schon Eintritt für den Marktplatz", heißt es auf der "Internetstreik"-Seite, unterzeichnet von Internetfirmen wie Virtual Estate Corp., Zykronix Inc., Abics GmbH. Aber neben Dark Breed e.V., dem Verein, der den Internetstreik ins Rollen gebracht hat, hat auch die Unabhängige Landesanstalt für das Rundfunkwesen in Schleswig-Holstein den Streikaufruf gebilligt.
Die Idee eines Internetstreiks in Deutschland basiert auf einem erfolgreichen Vorbild in Spanien. Dort haben die User Telefonrabatte erstreikt (siehe TP-Bericht. Sie haben 24 Stunden auf das Internet verzichtet. Daraufhin senkte die spanische Telefongesellschaft Telefonica die Gebühren bis zu 60%. In Deutschland wurde die Idee von Dark Breed e.V. unter dem Motto "User gegen Wucher" weiterverbreitet. Auch eine Initiative "Aktion für einen günstigen Internet Telefontarif" plädiert für einen Streik. Sie rufen Internet-User dazu auf, am 1. November nicht im Netz zu surfen, um der deutschen Telekom Verluste bei den Ortsgesprächen zu verursachen. Ihre Forderung: Niedrigere Telefonraten, zum Beispiel eine "flat fee" von einer Mark pro Stunde.
Provider, Nutzer und Anbieter sind aufgerufen in der Zeit von 0.00 Uhr am 1.11.1998 bis um 0.00 am 2.11.1998 auf die Nutzung des Internets zu verzichten. Darüber fordert die Initiative Homepagebesitzer dazu auf, eine Protestseite zu schalten. Eine Musterseite kann im HTML-Format von der Site von Dark Breed heruntergeladen werden. Außerdem fordert sie die deutschen Netzuser auf, Protestmails an hotline@t-online.de sowie an die Regulierungsbehörde (poststelle@regtp.de) zu schicken - aber natürlich nicht am 1. November. Auch ein offener Brief an Telekom-Chef Ron Sommer steht auf der Site zum Download bereit.
Nach Ansicht der Netzboykotteure ist die Liberalisierung des Telefonmarktes an den Internetusern bislang vorbeigegangen. Ihre Rechnung geht so:
"Es gibt 7.500.000 Internetsurfer in Deutschland. Die Telekom vermittelt ca. 5,1 Millionen Internetverbindungen täglich. Wenn man davon ausgeht, das der durchschnittliche Internetnutzer 2 DM an einem Sonntag ausgibt, ergibt das eine entgangene Summe von 10,2 Millionen DM. "
Die Telekom fühlt sich freilich nicht angesprochen. Ein Pressesprecher des Telekommunikationsriesens verwies auf ständig fallende Telefongebühren - freilich bisher nur bei Ferngesprächen. Schon ab dem ersten November bietet T-Online, der Online-Dienst der Telekom, ihren Kunden bereits zwei Freistunden pro Monat, falls sie die Software-Version 2.0 einsetzen. Wie ein Telekom-Sprecher betonte, sei die Preissenkung jedoch keine Reaktion auf den anstehenden Internet-Streik, sondern bereits lange geplant.
Wenn die Aktion Erfolg haben sollte, wäre sie das erste Beispiel für einen funktionierenden virtuellen Widerstand in Deutschland. In den USA hatte es 1996 bereits erfolgreiche Netzproteste gegen das Internet-Gesetz "Communications Decency Act" gegeben. Die deutsche Netzszene galt dagegen bislang als unpolitisch.