Interstellares Artefakt aus ferner Vergangenheit?

Seite 2: Im Nachbeobachtungsfieber

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Kurzerhand informierte Weryk seinen Studienkollegen, Marco Micheli, der daraufhin mit einem 1-Meter-Teleskop der Europäischen Raumfahrtagentur ESA auf Teneriffa (Spanien) den Neuankömmling nachverfolgte. Seine Daten bestätigten die extrasolare Herkunft des Gesteinsbrockens. Nachdem Weryk die gesammelten Bit und Bytes protokollgerecht an das Minor Planet Center (MPC) in Cambridge (Massachussets) übermittelt hatte, stuften diese den fremden Brocken offiziell als Kometen ein. Was folgte, war eine weltweite Kettenreaktion.

Zahlreiche professionelle und Amateur-Astronomen nahmen den fremden Eindringling näher unter die Lupe. Eile war geboten. Schließlich passierte der Himmelskörper die Erde bereits vier Tage vor seiner Entdeckung durch Robert Weryk in einem Abstand von nur 24 Millionen Kilometern (0,16 AU), um sich sodann mit hoher Geschwindigkeit von unserem Planeten wieder zu verabschieden.

Die Astronomen hatten wortwörtlich das Nachsehen, konnten sie doch nur unter großem Zeitdruck Nachbeobachtungskampagnen starten, an denen Observatorien rund um den Globus teilnahmen. Ihnen blieben nur wenige Wochen, dem davonfliegenden Himmelskörper noch einige Geheimnisse zu entlocken.

Als erstes Großteleskop trat das Very-Large-Teleskop (VLT) der Europäischen Südsternwarte ESO in Chile mit einem seiner 8,2-Meter-Fernrohre in Aktion. Mit dem 4,2-Meter-Spiegel des William-Herschel-Teleskops (WHT) konnten die Astronomen nach einer fünfminütigen Belichtungszeit 'Oumuamua sogar abbilden, allerdings nur als kleinen Punkt. Trotz aller Bemühungen gelang es nicht, das ferne kleine Objekt im optischen Bereich besser aufzulösen. Umgeben von samtener Schwärze, wirkte das unbekannte Gebilde auf dem Foto wie ein einsamer kleiner Fixstern.

Aufnahme des William-Herschel-Teleskops (WHT) von 'Oumuamua, der als kleiner Punkt in der Bildmitte zu erkennen ist. Bild: Alan Fitzsimmons (ARC, Queen's University Belfast), Isaac Newton Group

Steckbrief eines Unbekannten

Weitere Untersuchungen lieferten Hinweise darauf, dass sich die oberste Schicht des Gesteinsbrockens höchstwahrscheinlich aus rötlichem, organischem Material zusammensetzt, diese aber glatt und glänzend sein könnte. Mit einer Masse von bis zu zehn Millionen Tonnen und einer Dichte, die bekannten Kometen ähnelt, könnte der Himmelskörper aus Gestein und Metall bestehen.

Wie Messungen mit dem Spitzer-Infrarotteleskop der NASA ergaben, emittierte der Körper keine Wärmestrahlung, reflektierte aber Licht sehr stark und sorgte für enorme Helligkeitsschwankungen. Sie entstanden aufgrund der Rotation des Objekts, das sich binnen sieben bis acht Stunden einmal um die eigene Achse drehte. Die Folgerung der Astronomen: Das Gebilde muss zigarrenförmig sein. Mit einer ungefähren Länge von 400 Metern und einer Breite von 50 Metern weist es eine einzigartige, bisher noch nicht beobachtete Struktur und Form auf. Kein katalogisierter Himmelskörper im Sonnensystem ähnelt äußerlich 'Oumuamua.

Phasen der Eigenrotation von 'Oumuamua. Das Objekt hat ein Rückstrahlvermögen (Albedo) von vier Prozent. Bild: NASA/JPL-Caltech

Es dauerte nicht lange, bis das zigarrenartige Ding auch die SETI-Astronomen auf den Plan rief. Mit der weltgrößten vollbeweglichen Radioschüssel in Green-Bank in West Virginia (USA) starteten sie am 13. Dezember 2017 einen Lauschangriff. Über vier Radiobandbreiten von 1 bis 12 GHz horchten sie das ferne Objekt ab - 10 Stunden lang, aber ohne positives Ergebnis. Radio- und Funkwellen emittierte der verdächtige Kandidat nicht. Zu dem gleichen Ergebnis kamen auch die Mitarbeiter des kalifornischen SETI-Institutes in Mountain View, die mit dem hauseigenen Allen Telescope Array (ATA) nicht den kleinsten 'Oumuamua-Piepser auffangen konnten.

Zuerst wurde 'Oumuamua als Komet, dann als Asteroid und daraufhin wieder als Komet aufgeführt. Am 6. November 2017 legte sich die Internationale Astronomische Union (IAU) sodann endgültig fest und klassifizierte den Exoten. Er wurde einer neuen Klasse von Himmelskörpern zugeordnet und bekam das Kürzel 1I/'Oumuamua. In der Nomenklatur steht das "I" für "interstellar"; das hawaiianische Wort 'Oumuamua bedeutet sie viel wie "Botschafter, der aus fernen Zeiten zu uns gesandt wurde".