Irak vor der Zerschlagung
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Saudi-Arabien schickt Truppen Richtung Irak. Kurden ergreifen Initiative zur Unabhängigkeit
Die Folgen der ISIL-Offensive haben den Irak endgültig an der Rand einer Neuaufteilung gebracht. Der Präsident der autonomen Kurdenregion ruft ein Referendum über die Unabhängigkeit aus. Das saudische Königshaus verlegte gleichzeitig 30.000 Soldaten an die irakische Grenze. Beide Maßnahmen können auch das syrische Territorium betreffen.
In der Nacht zum Donnerstag zogen sich die irakischen Grenztruppen von der Grenze zu Saudi-Arabien zurück. Nach Angaben des Fernsehsenders Al-Hadath sollen die irakischen Truppen in der Nacht den Befehl erhalten haben, ihre Posten zu verlassen. "Wir wissen nicht, warum dieser Befehl erging", so ein irakischer Offizier gegenüber dem Sender, eine unmittelbare Bedrohung habe nicht bestanden. Nach Informationen des TV-Senders Al Arabiya bestätigen Satellitenbilder, dass die reguläre irakische Armee die 800 Kilometer lange Grenzlinie im Südwesten des Landes überraschend aufgegeben hat. Zudem dokumentierte der Sender den Rückzug von etwa 2500 Grenzsoldaten in der Stadt Kerbala.
Laut Al-Jazeera dementierte die irakische Regierung in Bagdad, für einen Rückzugsbefehl verantwortlich zu sein. Der Sprecher der irakischen Armee, General Qassim Atta, erklärte: "Dies ist eine Falschinformation, die die Moral unserer Truppen unterminieren soll." Der größte Teil des Grenzgebietes gehört zur Region Anbar, in der sunnitisch geprägte Aufständische traditionell besonders stark sind. Die Region war auch Schauplatz der jüngsten ISIL-Offensive.
In der Nacht ordnete Saudi-Arabien eine gewaltige Truppenverlegung an. Auf den veröffentlichten Bildern sind bisher nur Soldaten mit leichter Bewaffnung und Humvee-Geländewagen zu erkennen. Im Laufe des Tages erreichte die Truppenstärke der Golf-Monarchie an der irakischen Grenze etwa 30.000 Soldaten. König Abdullah deklariert die Maßnahme gegenüber Reuters als "Schutz vor Terroristen". Unmittelbar davor hat er mit US-Präsident Barack Obama telefoniert.
Auch Kurden schaffen ihre eigene Grenze
Gegen Mittag trat auf der anderen Seite des Irak Massud Barsani vor die Presse. Der Präsident der kurdischen Autonomie-Region bat das kurdische Parlament darum, ein Referendum für die endgültige Unabhängigkeit Kurdistans vorzubereiten. Nach der Sitzung in Erbil, an der praktisch alle 110 kurdischen Abgeordneten teilnahmen, informierte der Außenbeauftragte der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) Hemin Hawrani, dass man nun ein kurzfristig Datum festlegen und eine Wahlkommission aufstellen werde. Die geplante Unabhängigkeit von Bagdad erstrecke sich auch auf die Erdölregion um Kirkuk, so Hemin Hawrani. "Faktisch sind diese Gebiete schon jetzt Teil Kurdistans. Dies ist ein historischer Tag." Man habe sich jetzt zu diesem Schritt entschieden, weil "der Irak fertig ist". Diese Entscheidung sei einstimmig gefallen.
Auch Hemin Hawrani begründete den überraschenden Schritt mit der Stärke der ISIl. "Nuri al-Maliki ist gescheitert und wir teilen eine Grenze von 1000 Kilometern mit der Terror-Miliz. Irakische Soldaten kontrollieren nur noch 15 Kilometer". In Richtung der Schutzmächte USA, Iran und Türkei, die einer kurdische Unabhängigkeit offiziell ablehnend gegenüber stehen, gab sich Hawrani selbstbewusst: "Die Zukunft Kurdistans wird hier im Parlament entschieden und nicht in Ankara, Teheran oder Washington."
Unterdessen unternimmt ISIL, die sich nun nur noch Islamischer Staat (IS) nennen, nicht nur eine militärische Offensive im Irak, sondern hat gleichzeitig in Syrien enorme Geländegewinne zu verzeichnen. Nach Angaben der der Londoner "Beobachtungsstelle für Menschenrechte" kontrolliert die Gruppe inzwischen ein Gebiet, das fünf Mal so groß ist wie der Libanon. Nachdem sich andere islamistische Gruppen ergeben oder den Islamisten angeschlossen haben, erstreckt sich ihre Kontrolle von der türkischen bis an die irakische Grenze, von Aleppo bis an die durch die syrischen Kurden verwalteten Provinzen. Wenn die Angaben zutreffen, hat die Gruppe damit auch das wichtigste syrische Ölfeld Al-Omar übernommen.