Irak vor der Zerschlagung
Seite 2: Saudis auf beiden Seiten
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Bemerkenswert an den aktuellen Vorgängen ist vor allem, dass die saudische Monarchie nicht nur die Truppen auf ihrer Seite der Grenze kontrolliert. Alle namenhaften Analysten, auch in den USA, gehen davon aus, dass IS vor allem von saudischer und US-amerikanischer Unterstützung lebt.
Erst vor wenigen Tagen hatte der US-Senator Rand Paul - Republikaner, aber ausdrücklicher Gegner von Militärinterventionen - darauf hingewiesen, dass die Organisation nur deshalb so plötzlich erstarken konnte, weil die USA ihre Alliierten in Syrien bewaffnet haben. "Wir haben an der Seite von Al-Qaida gekämpft, wir kämpfen an der Seite von ISIS", so Paul gegenüber CNN. Zwar ergänzte er, dass die US-Unterstützung nicht direkt ablaufe, meinte aber, "ab einem bestimmten Punkt" könne dies der Fall sein. Unter Hinweis auf die Reagan-Doktrin über die Eindämmung missliebiger Staaten fügte er hinzu, er glaube nicht, dass ISIL gegenwärtig "im Mittelpunkt" des Kampfes stehe.
Dass die Unterstützung für die sunnitischen Söldner vor allem über den engen US-Verbündeten Saudi-Arabien abgewickelt wird, ist seit langem ein offenes Geheimnis. Das iranische Magazin Hamshahri Diplomatic berichtete im Juni, auch wenn man dies mit Vorsicht nehmen muss, dass alle Hinweise auf das Königreich zeigten. "Die Finanzierung, die Bewaffnung und die Ausrüstungsgegenstände lassen sich nach Saudi-Arabien zurückverfolgen." Die gelte vor allem für die Al-Nusra-Front und ISIL. Auch die Ausbildung sowie die Unterstützung mit Geheimdienstinformationen werde von westlichen Alliierten wie Saudi-Arabien, Katar und der Türkei erbracht. Zudem hätten zahlreiche Gefangene und Gefallene aus den Reihen der Organisation als Saudis identifiziert werden können.
In Saudi-Arabien geht man offiziell von etwa 1.400 Staatsbürgern aus, die in den Reihen der sunnitischen Söldnergruppen in Syrien und im Irak kämpfen. Die inoffiziellen Zahlen liegen jedoch weitaus höher. Alain Gresh nannte kürzlich nach Gesprächen mit Sicherheitspolitikern des Landes die Zahl von 6.000 bis 10.000 saudischen Kämpfern. Die Position des saudischen Ex-Geheimdienstchefs, Prinz Bandar bin Sultan, sei es gewesen, den Kampf gegen Assad "möglichst effizient" führen, was die Unterstützung der salafistischen Gruppen einschließe. Der Streitpunkt mit den USA bestand in den letzten Jahren vor allem darin, wie offensiv dabei vorzugehen sei, ob man etwa auch schultergestützte Luftabwehrraketen liefere. Der "unvorsichtige Umgang mit Waffenlieferungen" habe schließlich im April zu seiner Ablösung geführt. Bandar wurde zum "Berater und Sondergesandten des Königs" ernannt, Geheimdientschef ist nun Prinz Khaled bin Bandar.
Den Maßstab für die saudische Unterstützung verdeutlicht etwa eine einzelne Operation von Ende 2012 bis 2013, die ein Angehöriger der US-Regierung als "opposition's logistical pipeline" bezeichnete. Angeblich wurden die Waffen, teilweise leichte Artillerie, mit saudischem Geld in Kroatien eingekauft und anschließend durch westliche Dienste über Jordanien und die Türkei nach Syrien eingeflogen. Flugbeobachter sprachen bereits im März 2013 von etwa 160 Flügen mit Iljuschin 76-Transportflugzeugen, was bei einer durchschnittlichen Auslastung etwa 8.000 Tonnen Nutzlast entspricht. "Die Transporte verweisen auf einen Wettbewerb über Syriens Zukunft zwischen sunnitischen Staaten und dem Iran", kommentierte die New York Times das Projekt damals.
Natürlich nichts gewusst
Vor diesem Hintergrund kommt die westliche Überraschung über die IS-Offensive im Irak einer Gruppe von Tierpflegern gleich, die um ein Elefantengehege stehen und behaupten, sie würden keine Elefanten sehen. Die Frage lautet nicht, warum westliche Dienste nichts von der bevorstehenden Offensive ihrer eigenen Söldner unter religiösem Banner wussten, sondern warum sie es behaupten.
Die Gründung der ISIL durch Abu Bakr al-Baghdadi fällt jedenfalls genau in den Kontext der westlichen Aufrüstung für die Söldner in Syrien. Nach iranischen Informationen gehörte Abu Bakr ursprünglich dem sunnitischen "Widerstandsrat von Bagdad" an, in dem Al-Qaida verbündete Gruppen organisierte. Dort vertrat er seine Gruppe "Islamischer Staat im Irak". Entgegen den Weisungen von Al-Qaida, mit denen es über diese Entscheidung zu einem Bruch kam, hätte er sich entschieden, mit seinen Männern nach Syrien zu gehen, um dort von der umfangreichen westlichen Unterstützung zu profitieren. Seit März 2013 trat die Gruppe dort als "Islamischer Staat im Irak und der Levante" (ISIL) auf, und widersetzte sich öffentlich den Aufforderungen von Ayman al-Sawahri in den Irak zurückzukehren. Dass die Gruppe nun scheinbar überraschend zu einer kompletten Armee angewachsen ist, den gesamten Westen des Irak überrennt und dabei offensichtlich auf breite Unterstützung durch den sunnitischen Widerstand rechnen kann, muss als Wunder in die Militärgeschichte eingehen. Zumal auch dort die wesentlichen Strukturen von den Amerikanern - angeblich als Bollwerk gegen Al-Qaida - gegründet wurden. Realistisch betrachtet sollten die Vorgänge in den gesamten Konflikt eingeordnet werden, nämlich als eine neue Etappe im Krieg gegen die "Achse Teheran-Damaskus-Beirut".
Mit der saudischen Truppenkonzentration besteht die realistische Gefahr, dass ein weiterer Zwischenfall für den Einmarsch von Amerikas wichtigstem Verbündeten in den Irak sorgt. Angesichts eines von ihnen selbst finanzierten und ausgerüsteten Gegners würde eine solche Operation ganz sicher nicht auf nennenswerten Widerstand stoßen. Möglicherweise wird der Widerstand so gering ausfallen, dass die Truppen gleich den Euphrat entlang bis nach Syrien marschieren können. Die Verbündeten von Al-Maliki und Assad - Iran und Russland - könnten eine solche Offensive zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedenfalls nicht aufhalten.