Iran: Spiel auf Zeit
Ahmadinedschads zweite Amtsperiode bedeutet die Oberhand jener Kräfte im Iran, die sich gefährlichem Abenteurertum, auch hinsichtlich der Nukleartechnologie, hingeben
Die Islamische Republik Iran hat in den letzten drei Monaten durch innenpolitische Turbulenzen weltweit für Aufsehen gesorgt. Zusätzlich zur innenpolitischen Herausforderung wird das Regime um den Religionsführer Ayatollah Ali Khamenei und Präsident Mahmoud Ahmadinedschad auch außenpolitisch unter Druck gesetzt. Barack Obama hatte bereits beim G8-Gipfeltreffen im vergangenen Juli im italienischen L'Aquila dem Iran eine Frist bis zum 15. September gesetzt, deutliche Fortschritte und Verhandlungsbereitschaft hinsichtlich seines Atomprogramms vorzuweisen.
Der Nuklearstreit wird das Topthema beim Gipfeltreffen der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer bilden, das am 24. und 25. September im amerikanischen Pittsburgh stattfindet. Einen Tag zuvor, am 23. September, wird Ahmadinedschad vor der UN-Vollversammlung reden. Nach Meinung von Experten kann der Atomstreit nicht länger in der Schwebe gelassen werden. Dieses Jahr ist ihrer Ansicht nach das Schicksalsjahr des Iran.
Brutale Unterdrückung nach innen, erhöhte Aggression nach außen
Obschon die beeindruckenden Proteste gegen das offizielle Ergebnis der Präsidentschaftswahlen vom 12. Juni äußerlich nachgelassen haben, dauern die Streitigkeiten unter den Führungspersönlichkeiten hinter den Kulissen, aber auch in der Öffentlichkeit, unvermindert an. Die Machthaber in Teheran sind sehr erbost, dass der Widerstand der „grünen Opposition“ mitnichten gebrochen ist.
Die beiden Oppositionsführer, Mirhossein Mousavi und Mehdi Karubi, geben keine Ruhe und enthüllen fast im Wochenrhythmus erschütternde Verbrechen, die in den Gefängnissen begangen werden. Sie reichen von Vergewaltigungen von Männern und Frauen bis hin zum heimlichen Verscharren von Toten bei Nacht in unkenntlichen Gräbern. Das Dilemma des Regimes besteht einerseits darin, dass die Oppositionsführung noch nicht verhaftet werden kann, diese aber in Freiheit ein großes Hindernis bei der Rückkehr zur „Normalität“ bleibt.
Mousavi gab kürzlich die Gründung einer Bewegung namens „Front des Pfades der Hoffnung“ (rah-e Sabz-e Omid) bekannt und Karubi rief die Bevölkerung zur Teilnahme am Al-Qods-Tag am 11. September auf. (Ayatollah Khomeini hatte 1979 nach der Revolution den letzten Freitag des Fastenmonats Ramadan zum internationalen Al-Quds [Jerusalem]-Tag erklärt und die Muslime zu Solidaritätsdemonstrationen mit den Palästinensern aufgerufen.) Die Opposition ruft zu friedlichen Protestaktionen an den offiziellen staatlichen Feiertagen, an denen das Regime die Teilnahme bzw. Versammlungen der Bevölkerung nicht verhindern kann, auf.
Im Dezember beginnt der heilige schiitische Monat Moharam. Die zwei heiligen Tage des Moharam, der 9. (Tasua) und 10. (Aschura), die dieses Jahr auf den 26. und 27. Dezember fallen, erinnern an die größten Demonstrationen der Menschheitsgeschichte mit mehr als drei Millionen Teilnehmern gegen das Schah-Regime im Dezember 1978. Khamenei und Ahmadinedschad sind nervös.
Die neue Regierung
Derweil hat Ahmadinedschad sein Kabinett durch das Parlament gebracht. Von 21 vorgeschlagenen Ministern wurden nur 3 abgelehnt. Von 3 vorgestellten Frauen kam nur die Medizinprofessorin Marsieh Wahid Dastdscherdi als Gesundheitsministerin durch. Wahid Dastdscherdi gehört zu den Hardlinern, die unter anderem die beiden unzeitgemäßen Gesetze „zum Islamischen Strafgesetz“ (siehe Freie Hand für Todesurteile) und „zum Schutze der Familie“ (siehe Etappensieg für iranische Frauen) verteidigen. Zum Überdruss der Opposition wurde Kamran Daneschdschu, der Wahlleiter bei den Präsidentschaftswahlen, als Wissenschaftsminister bestätigt. Daneschdschu gehört zu den Hauptdrahtziehern des Wahlbetruges und hatte am Wahlabend mit demonstrativer Genugtuung die Ergebnisse der Abstimmung zugunsten von Ahmadinedschad im staatlichen Fernsehen verkündet.
Ein Indiz für Ahmadinedschsds Entschlossenheit zur Verschärfung der Repressalien ist die Nominierung von Ex-Verteidigungsminister Mostafa Mohammed Nadschar als Innenminister. Das Ministerium wird fortan von einem Brigadegeneral der Revolutionswächter (Sepah-e Pasdaran) geführt. Ahmadinedschad provozierte ebenfall die Außenwelt mit der Nominierung des Sepah-Brigadegenerals Ahmad Vahidi zum Verteidigungsminister. Der Minister steht als Verantwortlicher für Attentate im Ausland auf den Fahndungslisten von Interpol und dürfte eigentlich das Land nicht verlassen. Der Präsident beabsichtigt ebenfalls, seinen Ex-Innenminister Sadeq Mahsuli, Architekt des Wahlbetrugs und früherer Sepah-General, zum Botschafter Irans bei den Vereinten Nationen zu ernennen.
Die Zusammensetzung der Regierungsmannschaft hat eine eindeutige Botschaft, eine eiserne Faust nach innen und ein stur-aggressiver Kurs nach außen. Das Kabinett hat die Vertrauensabstimmung im Parlament überstanden, die Probleme des Landes, die Wahlfälschung und die Proteste dagegen, sind geblieben. Hinzu kommt, dass die Opposition und ihre nach Millionen zählende Anhängerschaft die Regierung nicht anerkennen.
“Wir werden uns selbst verwalten“
Ahmadinedschad musste vor einigen Wochen, zum ersten Mal in der Geschichte des Gottesstaates, die kurze Strecke vom Präsidentenbüro zum Parlament mit dem Hubschrauber zurücklegen, um Protestaktionen zu umgehen. Letzte Woche erschien er mit Leibwächtern im Parlament und musste sie nach Protesten der Abgeordneten wegschicken. Unter diesen Rahmenbedingungen ergreift er die Flucht nach vorne und beharrt auf seinen nuklearen Kurs:
Niemand kann mehr Sanktionen gegen uns verhängen. Allerdings ertragen wir es, wenn sie uns boykottieren. Wir werden uns selber verwalten
Irans Vertreter bei der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Ali Asghar Soltanieh, bekräftigte am Donnerstag, dass das „friedliche Atomprogramm“ des Iran absolut kein Verhandlungsthema mit den 5+1-Staaten (5 ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrats und Deutschland) sei, das Thema werde ausschließlich bei der IAEA verhandelt. Soltaniehs Stellungsnahme steht allerdings im Widerspruch zur Erklärung von Irans Chefunterhändler für Nuklearangelegenheiten, Saeed Dschalili, der schon zu Beginn der Woche Irans Verhandlungsbereitschaft mit den Weltmächten erklärt und auch von einem neuen „Angebotspaket“ gesprochen hatte.
Die doppelzüngige Verwirrpolitik dauert schon die gesamte Zeit der Präsidentschaft Ahmadinedschads an. Diesmal hat jedoch dieser Kurs im Zeichen der gewaltsamen innenpolitischen Auseinandersetzungen völlig andere Konturen angenommen.
Warnungen der EU
Die neue Regierung Ahmadinedschads fordert die internationale Gemeinschaft in einer Phase heraus, in der sie sich gerade für eine entschlossene Offensive in beiden Richtungen (Kooperation und Konfrontation) vorbereitet. Den Ausgangspunkt in diesem Schicksalsjahr für Irans Nuklearvorhaben bildet der neue Bericht des IAEA-Direktors Mohammed El-Baradei.
Der Bericht, doppeldeutig wie von El-Baradei gewöhnt, geht zwar von einer Verlangsamung der Urananreicherung aus, doch das Land habe noch keine ausreichende und zufriedenstellende Kooperation an den Tag gelegt. El-Baradeis Bericht folgte das 5+1-Trffen in Frankfurt am vergangenen Mittwoch, bei dem die Sechs den Iran dringend zur Verhandlung bereits vor der UN-Vollversammlung am 23. September einluden.
Und am Freitag berieten die EU-Außenminister über die Atomangelegenheiten von Iran, Pakistan und Afghanistan. Der schwedische Außenminister Carl Bildt, der die Leitung des Treffens inne- hatte, beteuerte: „Wir haben ein großzügiges Angebot auf dem Tisch. Wir wollen durchaus mit dem Iran in einer Reihe von Dingen kooperieren, inklusive Beihilfe zur Entwicklung der zivilen Nukleartechnologie.“ Bildt warnte den Iran vor harten Sanktionen, wenn er nicht kooperiere:
Wenn sie auf Konfrontation bedacht sind, werden sie sie haben.
Finanzielle und vor allem energiepolitische Maßnahmen stünden als erster Sanktionsschritt auf dem Plan. Der Iran importiert 40% seines Benzinsbedarfs aus dem Ausland. Die EU und die USA werden von Israel heftig unter Druck gesetzt, um endlich eine Entscheidung über Irans Nuklearprogramm herbeizuführen.
Wird der Iran einlenken?
Danach sieht es nicht aus. Tatsächlich hatte Teheran nach dem Amtsantritt Barack Obamas beste Voraussetzung für erfolgversprechende Verhandlungen auf der Basis gegenseitigen Respekts, was die Iraner stets forderten, gehabt. Hatte George W. Bush die Suspendierung des iranischen Atomprogramms als unabdingbare Verhandlungsvoraussetzung deklariert, so erklärte sich Obama zu bedingungslosen Verhandlungen bereit. In der Ära Bush war Irans wichtigste Verhandlungsbedingung die Bedingungslosigkeit für den Verhandlungsbeginn. Ansonsten hat Teheran nie konkret dargestellt, über was es verhandeln will.
Die 6+1-Staaten haben sich ebenfalls bereit erklärt, sich mit dem Stand der iranischen Nukleartechnologie anzufreunden, sofern handfeste Garantien vorlägen, dass das Programm nicht auf unerwünschte Bahnen, also Atomwaffenproduktion, gerät. Nun kommt Teheran mit Saeed Dschalili und seinem zweiten „Angebotspaket“. Die Äußerungen der Iraner, vom Regierungschef bis zu Ministern, Diplomaten und Militärs lassen darauf schießen, dass das bisherige Spiel auf Zeit, und somit mit dem Feuer, weitergeführt wird.
Der „neue Iran“: auch radikale Militärs haben Einfluss auf den atomaren Kurs
Ahmadinedschads zweite Amtsperiode bedeutet die Oberhand jener Kräfte im Iran, die sich in Ermangelung an innerer und äußerer Legitimität gefährlichem Abenteurertum, auch hinsichtlich der Nukleartechnologie, hingeben werden. Die Äußerungen des Leiters des obersten Stabs der Armee, Basidschi-Generalmajor Hassan Firouzabadi, nur zwei Wochen nach den Wahlen beweisen, dass das Militär und die Revolutionswächter ein gewichtiges Wort auch in Atomangelegenheit mitsprechen. Firouzabadi, ursprünglich ein Revolutionswächter-General, sagte, wenn die Europäer ihre Unterstützung der Unruhestifter im Iran nicht beendeten, dürften sie keineswegs am Verhandlungstisch mit dem Iran sitzen.
Er macht deutlich, dass im „neuen Iran“ nach den Wahlen radikale Militärs den atomaren Kurs mitbestimmen. Denn ansonsten gibt es keine plausible Erklärung dafür, dass die höchste militärische Instanz des Landes sich zum ersten Mal über ein „friedliches Nuklearprojekt“ äußert. Khameneis ständige Worte, dass der Bau von Atom- und Massenvernichtungswaffen mit dem Islam nicht vereinbar seien, sind spätestens seit den Wahlen Makulatur.
Betrug, notfalls ein Massaker sogar an eigenen Bürgern seien erlaubt, wenn diese der Aufrechterhaltung des Regimes dienten. Das Insistieren auf das „verbriefte Recht auf friedliche Kernenergie“ ist für Khamenei bestimmt nicht die Befriedigung der Strombedürfnisse der Bürger, deren niedergeknüppelte und durchlöcherte Leichen direkt von den Leichenschauhäusern eingefroren in der dunklen Nacht unter die Erde gebracht werden. Der Glaube, dass dieses Regime, das sein eigenes Volk brutal niederschlägt, der Welt für dessen Wohlstand und Stromversorgung die Stirn bietet, erscheint als naiv.
Iran wird weiterhin Zeit schinden für die Bombe
Die Mehrheit des Volkes will das Duo Khamenei-Ahmadinedschad nicht, und im Ausland hat es längst seine Glaubwürdigkeit verspielt. Es will jedoch an der Macht bleiben und muss sich auf irgendeine Basis stützen. Iran wird weiterhin Zeit schinden, von einer Kommission zur anderen, von einem Ultimatum zum anderen, bis die Bombe gebaut ist. Der Gegenpart ist jedoch nicht so naiv, wie sich die Machthaber in Teheran vorstellen. Die Gräueltaten in den iranischen Gefängnissen (Evin, Kahrizak etc) übersteigen die in Abu Ghraib und Guantanamo Bay; völlig abgesehen davon, dass hier die eigenen Staatsbürger betroffen sind.
Dabei ist es bezeichnend für die Übermacht der Sepah, dass diese überwiegend für Verhaftung, Verhör und Folterung der Opfer, darunter etliche prominente Reformpolitiker, in Evin, Kahrizak und eigenen privaten Gefängnissen verantwortlich sind. Sepah und Bassidsch setzen sich mit voller Rückendeckung der Regierung und des obersten Religionsführers über alle moralischen, religiösen und gesetzlichen Schranken hinweg.
Freie Bahn für atomares Abenteurertum
Die jüngsten Äußerungen von Sepah-Oberbefehlshaber, Generalmajor Mohammad Ali Aziz Dschafari ,über die Gründe, weshalb man die „smarte Revolution“ seit dem 12. Juni mit Härte niederschlägt, ist ein Indiz für die Übermacht der Sepah. Ayatollah Khomeini hatte den Militärs, vor allem Sepah, ausdrücklich verboten, sich in die Politik einzumischen. Sepah-Kommandeure erweisen sich als unzeitgemäße Genossen in einem Zeitalter, in dem sich die Generäle in der benachbarten Türkei und Pakistan wieder zunehmend in ihre Kasernen zurückziehen. Wer sein eigenes Volk so dreist betrügt und niederschlägt, dem dient die „friedliche Nutzung der Kernenergie“ ebenfalls zur Irreführung der internationalen Gemeinschaft.
Das Regime hat mit der nahezu totalen Niederschlagung der Opposition jegliche Einsichtnahme in sein Nuklearprogramm seitens interner objektiver und neutraler Instanzen beseitigt und hat nun freie Bahn für sein atomares Abenteurertum. Khamenei und Ahmadinedschad sollten den harten Konfrontationswillen des Gegners, wenn es darauf ankommen sollte, nicht unterschätzen. Die Worte des französischen Außenministers Bernard Kouchner im September 2007 dürfen nicht vergessen werden:
Wir müssen uns auf das Schlimmste vorbereiten. Und das ist der Krieg.
Die Iraner im Ausland mobilisieren emsig für einen gebührenden Empfang Ahmadinedschads vor dem UN-Hauptquartier in New York. Nach dem historisch-dramatischen Schah-Besuch am 2. Juni 1967 in West-Berlin könnte der Besuch Ahmadinedschads bleibende Erinnerung bei den New Yorkern hinterlassen.