Islam und Porno liefern Klicks: Die Abwärtskurve des Monsieur Houellebecq
Seite 2: Houellebecq, Pornostar
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Im November 2022 kam es für die Ausführung des Vorhabens in den genannten Städten zu Treffen mit Prostituierten. Ein Trailer, der zeigt, wie Houellebecq mit nacktem Oberkörper auf einem Bett eine junge Frau küsst, wurde nach Intervention des Autors zurückgezogen, berichteten die Medien gleichermaßen in Kultur und Boulevard (hier: Kölner Stadt-Anzeiger, Panorama, 31. Mai 2023, "Pornostar aus Versehen").
Gemeinsam mit seiner chinesischstämmigen Frau Qianyum Lysis Li und unter Beteiligung junger Aktricen entstanden unter anderem Szenen, die angeblich – so Houellebecq - als nonkommerzieller Beitrag für eine Amateurpornoseite gedacht waren.
Produzent Ruitenbeek machte jedoch die Rechte an allen abgedrehten Szenen geltend. Es kam zum Streit. Mit schlechtem Ausgang für den Autor: Houellebecq verlor gleich zweimal vor Gericht, ein niederländisches Gericht erlaubte die Veröffentlichung des Films, dessen Start bis heute dennoch nicht erfolgte.
"Ich betrat wahrhaftig die Hölle", wird der Unterlegene in Presseberichten zitiert, wo er behauptet, hereingelegt worden zu sein. Er sei bei der Vertragsunterzeichnung depressiv und betrunken gewesen, so Houellebecq heute.
Entgleisung als Kalkül
Damit nicht genug. Zwei der beteiligten jungen Sex-Darstellerinnen nennt der keineswegs so unfreiwillige Pornostar im Nachhinein "die Sau" und "die Pute", wie aktuelle Presseberichte offenlegen; auffallend fiese Titulierungen, möchte man hinzufügen. Ruitenbeek beschimpft er als "Kakerlake".
Alles derzeit nur im französischen Original nachzulesen, in einem rund 100 Seiten dürftigen, man könnte sagen: nachgekarteten Pamphlet mit dem tagebuchartigen Titel: "Quelques mois dans ma vie" ("Einige Monate in meinem Leben", Oktober 2022 – März 2023).
Entgleisung als Kalkül: Vor gut einer Woche erschien das Buch in Frankreich und erregte, wie zu erwarten, die Gemüter. Houellebecqs französischer Verlag Flammarion ist bekannt dafür, die Werke seines Schützlings als politische Ereignisse zu inszenieren. Der deutsche Freitag sieht in einer Besprechung das dünnhäutige Werklein eher nicht als Tagebuch, sondern als "Making-of des Michel Houellebecq".
Houellebecqs deutscher Verlag stellt auf der Website einen Autor vor, der sich als Opfer generiert:
Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich ganz und gar wie der Gegenstand einer Tierdokumentation behandelt; es fällt mir schwer, diesen Augenblick zu vergessen.
https://www.dumont-buchverlag.de/buch/houellebecq-einige-monate-in-meinem-leben-9783832160982/
Nun ja, möchte man meinen, vielleicht lag 's an der schwachsinnigen Projektidee als solcher? Eine Gesprächsanfrage der ARD hat der französische Verlag Flammarion abgelehnt. Das deutsche Gemüt – noch nicht reif für die Eskapaden von Monsieur H.?
Stichwortgeber der Rechten
Natürlich ist es kein Einzelfall, dass ein Skandalautor und Egozentriker vom Rang eines Houellebecq mächtig Furore macht. Die Runde machten auch mehrfach schon seine islamfeindlichen Äußerungen, die ihm unter anderem den Vorwurf einbrachten, zum Religionshass anzustiften.
So nannte Houellebecq laut einem Interview 2001 in der Zeitschrift "Lire", einer der führenden französischen Literaturzeitschriften, den Islam die "beknackteste Religion überhaupt" (siehe dazu: Frankfurter Rundschau. 5. September 2001). Jüngst brachte er sich in einem Gespräch mit dem französischen Philosophen Michel Onfray in dessen Magazin "Front Populaire" erneut in Position – und in womöglich kalkulierte Bedrängnis – als Stichwortgeber der Rechten.
Houellebecq gibt hier zum Besten, dass er nicht glaube, dass die französische Bevölkerung ("die angestammten Franzosen, wie man sie heute nennt") sich wünsche, dass sich die Muslime im Land assimilieren, sondern "dass sie aufhören, sie (die Franzosen) zu bestehlen und anzugreifen". In seinem gerade erschienenen Büchlein "Quelques mois dans ma vie" entschuldigt sich Houellebecq, nennt seine Äußerungen "idiotisch" und rudert im Buch (auf 20 Seiten von 100) bei dem heiklen Thema zurück.
Unter anderem, so berichtete der Deutschlandfunk, hatte Houellebecq Anschläge als Reaktion auf unkontrollierte muslimische "Massenmigration" prognostiziert. Der Direktor der Großen Moschee in Paris, Chems-Eddine Haffiz, kündigte daraufhin an, Klage gegen den Schriftsteller einzureichen und begründete seine Entscheidung in der Zeitung Le Figaro: Die Anerkennung eines literarischen Genies oder eines anderen künstlerischen Talents, so Haffiz, sei kein Freifahrtschein für Beleidigungen oder die Verbreitung von Hass.
Da wird man Herrn Haffiz zustimmen. Zur Klage kam es nicht, ein überfälliger Dämpfer blieb aus.
Vorläufiges Resümee: Skandal als Strategie
Sexuelle Frustration erscheint bei Houellebecq als ein Leitmotiv der westlichen Konsumgesellschaft und gehört fraglos zum Markt der Selbstinszenierung.
Jedoch Houellebecqs eingeübte Pose als Post-Moralist, Seismograf einer obszönen Gesellschaft und Schwarzes Vorzeigeschaf des Kulturbetriebs ist zuletzt definitiv überzogen, seine Menschenverachtung obsessiv. Klar, sein greller Zynismus, sein verstörendes Potenzial und seine Eskapaden wurden immer wieder lobend erwähnt. Eskapaden, die bei aller Geneigtheit doch in Richtung Widerwärtigkeit abrutschen.
Das eingangs zitierte Bekenntnis des Essayisten von 1999 zur "Güte" erleidet einen dauerhaften Knacks.
Den Verlagen dürfte es recht sein. Skandale liefern Klicks. Die Leseindustrie weiß auch die Schande noch zu verwerten: Schließlich haben wir hier einen "Autor, mit dem sich viel Geld verdienen lässt", wie der Deutschlandfunk süffisant konstatiert.
Europa begehe kulturellen Selbstmord, soll Houellebecq zuletzt öfter gesagt haben. Wenn er da nicht (diesmal unbestritten) Recht behält. Möglicherweise ist der kulturelle Selbstmord des Meisters auch nur spöttische Strategie?
Pause für Houellebecq: Ich werde ihn von fürs Erste von meiner Leseliste nehmen. Punkt.