Islamfeindlichkeit: Mehr Angriffe, kaum Konsequenzen
Neue Zahlen der Bundesregierung: Jeden zweiten Tag werden in Deutschland Moscheen und ihre Repräsentanten angegriffen. Maßnahmen bleiben hingegen aus
12. Februar 2020: In Moscheen in Essen, Ulm, Bielefeld, Hagen gehen Bombendrohungen ein. 13. Februar 2020: In Brühl schlagen Unbekannte die Fenster einer Moschee ein. 14. Februar: In ganz Deutschland werden Mitglieder einer rechtsextremen Terrorzelle festgenommen, die Anschläge gegen Moscheen geplant haben sollen. 19. Februar 2020: Eine Moschee in Bremen erhält eine Bombendrohung mit rassistischen Parolen. 21. Februar 2020: In Emmendingen schmieren Unbekannte Hakenkreuze an die Fassade einer Moschee…
Angriffe und Drohungen gegen islamische Einrichtungen gehören in Deutschland zum Alltag. Dies hat nun auch die Bundesregierung festgestellt. 184 Mal wurden islamischen Einrichtungen und ihre Repräsentanten im Jahr 2019 zum Ziel von Angriffen. Das ist das Ergebnis einer Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage zum Thema "Antimuslimischer Rassismus und Diskriminierung von Muslimen in Deutschland im Jahr 2019". Die Zahl ist nur vorläufig. Die Bundesregierung verweist darauf, dass die Gesamtzahl durch Nachmeldungen noch steigen kann.
Angefragt hatte die Linke-Bundestagsabgeordnete Christine Buchholz. "Es ist nicht hinnehmbar, dass Muslime in Deutschland permanenten Drohungen ausgesetzt sind", erklärte die religionspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag bei der Veröffentlichung der Anfrage und verwies darauf, dass die realen Zahlen noch viel höher liegen dürfte, da man es mit einem "unglaublich hohen Dunkelfeld" zu tun habe. "Islamfeindliche Gewalt und Diskriminierung seien hierzulande alltäglich", erklärte Buchholz.
Bundesregierung verbessert Art der Erfassung
Vergleicht man die aktuellen Zahlen mit jenen früherer Jahre, fällt sofort ein drastischer Anstieg auf. So zählte die Bundesregierung für das Jahr 2018 lediglich 48 Übergriffe auf Moscheen. Die Zahl islamfeindlicher Straftaten gegen Moscheen hat sich allerdings im vergangenen Jahr nicht vervierfacht, stattdessen hat sie die Art der Erfassung geändert.
Islamische Organisationen und Beratungsstellen hatten in den letzten Jahren die Bundesregierung immer wieder für zu vage Definitionen kritisiert. Unklar war zum Beispiel, was die Behörden überhaupt unter einer "Moschee" verstehen. Der Vorwurf stand im Raum, die Politik wolle die offiziellen Zahlen durch die unklare Erfassung künstlich niedrig halten.
Diesem Vorwurf wirkt die Bundesregierung nun mit einem neuen "Angriffszielkatalog" entgegen, in dem alle relevanten Straftaten zusammengefasst werden. Dieser erfasst seit Januar 2019 nun sämtliche Angriffe auf muslimische Begegnungstätten, Kulturvereine, Friedhöfe, Moscheen, Religionsgemeinschaften, religiöse Einrichtungen, Repräsentanten und Symbole sowie sonstige Religionsstätten. Konkret umfassen die 184 Straftaten nicht nur tätliche Angriffe, sondern zum Beispiel auch 64 Fälle von Volksverhetzung sowie 40 Fälle von Beschimpfungen und Beleidigungen.
Moscheen klagen über fehlendes Interesse der Behörden
Langfristige Trends lassen sich aus den Zahlen nur schwer ausmachen, da islamfeindliche Straftaten überhaupt erst seit 2017 gesondert behördlich erfasst werden. Jahrelang hatte sich das Bundesinnenministerium zuvor geweigert, islamfeindliche Straftaten in der polizeilichen Kriminalstatistik gesondert zu erfassen, wie es beispielsweise bei antisemitisch motivierten Taten schon lange der Fall war. Erst nach Jahren der Kritik durch Opferschutzorganisationen und islamische Verbände wurde im Jahr 2017 der Kategorie "politisch motivierte Kriminalität" die Unterkategorie "islamfeindlich" hinzugefügt.
Trotz besserer Erfassung gibt es weiter Kritik am Umgang von Behörden mit dem Thema. So würden von Übergriffen betroffene Moscheen in der Regel nicht ausreichend von Sicherheitsbehörden informiert, kritisiert der Leiter der Dokumentationsstelle für islamfeindliche Gewalt #brandeilig, Yusuf Sari. Gegenüber Telepolis sagt Sari:
Nach unserem Eindruck kommt es selbst nach Angriffen und entsprechenden Anzeigen häufig vor, dass Behörden die Betroffenen nicht über den Stand der Ermittlungen auf dem Laufenden halten. Die Moscheegemeinden sind meist selbst diejenigen, die sich nach der Sicherheitslage erkundigen und neue Informationen anfordern.
Yusuf Sari, #brandeilig
Zudem würden nach wie vor viele Übergriffe auf Moscheen nicht erfasst und die meisten der erfassten Straftaten nicht aufgeklärt, kritisiert Yusuf Sari. Dessen Dokumentationsstelle #brandeilig, die sich zur Informationsbeschaffung auf ein Netzwerk von Moscheegemeinden stützt, hat für das vergangenen Jahr 122 Angriffe nur auf Moscheen registriert. Viele von diesen tauchen in der behördlichen Erfassung nicht auf.
Islamische Vertreter fordern besseren Schutz für Gemeinden
Vertreter islamischer Dachorganisationen nahmen die Veröffentlichung der Zahlen erneut zum Anlass, um erneut mehr Schutz für Moscheen in Deutschland zu fordern. Nach den Attentaten im neuseeländischen Christchurch vor rund einem Jahr und dem Anschlag von Halle hatten viele Moschee-Vertreter um eine stärkere Polizeipräsenz vor ihren Gemeinden gebeten.
"Es kann nicht sein, dass Moscheegemeinden, die mit Spendengeldern finanziert werden, die mit Mühe und Not über die Runden kommen, auch noch ihre eigene Sicherheit finanzieren müssen. Der Staat steht in der Pflicht, für die Sicherheit seiner Bürger zu sorgen. Dazu gehören auch Muslime", reagierte der Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG), Bekir Altas. Ähnlich äußerte sich auch der Dachverband türkischer Moscheevereine DITIB.
Kopftuchtragende Frauen in Bewerbungsgesprächen diskriminiert
Wie hoch die Gesamtzahl erfasster islamfeindlich motivierter Straftaten im Jahr 2019 geht aus der Antwort auf die Große Anfrage nicht hervor. Im Jahr 2018 lag diese bei 910. Stattdessen gibt die 152 Seite lange Antwort aber auch Einblick in den Alltag antimuslimischer Diskriminierung jenseits erfasster Straftaten.
Nimmt man Meldungen bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes als Indikator sind vor allem Frauen von antimuslimischer Diskriminierung betroffen und diese vor allem im Berufsleben. Explizit nennt die Bundesregierung die Diskriminierung von kopftuchtragenden Frauen in Bewerbungsverfahren.
Auch auf dem Wohnungsmarkt seien muslimische Frauen besonders stark von Diskriminierung betroffen. "...das Tragen eines Kopftuchs als Zeichen des muslimischen Glaubens ist wiederkehrend ein Hindernis beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen. So ist eine häufig wiederkehrende Konstellation die Ablehnung von Bewerberinnen und Bewerbern für Wohnungen, die muslimischen Glaubens waren oder wo ein muslimischer Glaube (z. B. aufgrund eines Kopftuchs) vermutet wurde", schreibt die Bundesregierung.
Benachteiligung zeige sich auch im Bildungsbereich: Diese äußere sich zum Beispiel bei der Verweigerung von Kitaplätzen für kopfuchtragende Mütter, schlechteren Bewertungen von muslimischen Schülerinnen und Studenten oder Mobbing. Besonders viele Frauen wendeten sich an Beratungsstellen, weil sie mit Kopftuchverboten in Universität und Schule konfrontiert seien.
Betroffenenbefragungen hätten zudem gezeigt, dass "Diskriminierungserfahrungen aufgrund der muslimischen Religion auch in der Öffentlichkeit (also im öffentlichen Raum, auf der Straße) sowie in öffentlichen Verkehrsmitteln überdurchschnittlich häufig gemacht werden." Drei Viertel aller verbalen und körperlichen Gewaltdiskriminierungen, die mit islamfeindlichem Motiv in der Öffentlichkeit stattfinden, würden von Frauen berichtet, die regelmäßig Kopftuch tragen.
Bundesregierung: Keine Strategie
Während sich die Bundesregierung in ihrer 152 Seiten langen Antwort auf die Große Anfrage ungewohnt detailreich und kritisch gibt, was die Beschreibung "antimuslimischen Rassismus" angeht, fallen ihre Ankündigungen, was sie dagegen tun will, weniger konkret aus.
Als Maßnahme gegen Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt nennt sie ein "Pilotprojekt zu Anonymisierten Bewerbungen" oder auch die Förderung von zivil gesellschaftlichen Initiativen im Rahmen des vom Bundesfamilienministeriums initiierten Förderprogramms "Demokratie Leben" des. Dieses war allerdings heftig im vergangenen Jahr heftig in die Kritik geraten.
Nach einer umstrittenen Reform der Vergabekriterien hatten nur rund 100 statt der zuvor 275 Projekte eine Förderzusage vom Bundesfamilienministerium bekommen. Zahlreiche Initiativen mussten daraufhin ihre Arbeit einstellen. Eine zwischenzeitlich geplante Kürzung des Budgets von 40,5 auf 8 Millionen Euro wurde nach Protesten wieder zurückgenommen.
Darüber hinaus verweist die Bundesregierung bei der Bekämpfung von "antimuslimischem Rassismus" weitgehend auf bereits bestehende Gesetze oder sieht sich als nicht zuständig an: Als Maßnahme gegen die Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt erwähnt sie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Bei mehreren Fragen, wie sie etwa Islamfeindlichkeit an Schulen entgegenwirken will, verweist sie auf die Zuständigkeit der Länder.
Auch von einer Kommission oder einen Beauftragten für antimuslimischen Rassismus - wie viele Verbände ihn fordern -, ist in dem Dokument keine Rede. Auch wenn die Bundesregierung Fortschritte bei der Erfassung islamfeindlicher Straftaten gemacht hat: Eine Strategie zu ihrer Bekämpfung hat sie nicht.