Islamisches Projekt Osterweiterung

Seite 2: Der "politische Islam"

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Für gewöhnlich wird unterschieden zwischen der spirituellen Glaubensausübung und dem "politischen Islam". Der Wiener Historiker Heiko Heinisch erklärt diesen als muslimische Strömung, die politische Forderungen stellt, um die islamischen Normen und Werte salonfähig zu machen und weit in die Gesellschaft hineinzutragen. Dafür wird auch der Begriff "Islamismus" verwendet.

Der "politische Islam", bzw. "Islamismus", wiederum wird unterschieden in den Teil, der offen Gewalt zur Durchsetzung eines islamischen Staates unterstützt oder dazu aufruft, dem Salafismus, und den Teil, der auf die Nutzung demokratischer Mittel - den berühmten Marsch durch die Institutionen - setzt.

Das wird als "legalistischer Islam", bzw. "legalistischer Islamismus" bezeichnet. Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Nordrhein-Westfalen (NRW) erachtet den sogenannten legalistischen Islamismus als gefährlicher als den Salafismus, weil dieser sich ein demokratisches Antlitz gibt und nachhaltiger wirkt.

Religionen sind grundsätzlich nicht unpolitisch, höchstens Gläubige, die ausschließlich spirituellen Nutzen daraus ziehen und an die Gesellschaft nicht den Anspruch haben, sich entsprechend der Normen und Werte der jeweiligen Glaubensgemeinschaft aufzustellen. Der Islam aber ist schon in seiner Entstehungsgeschichte Staatswesen, eine Trennung zwischen Religion und Staat kennt er nicht, Allah ist der oberste Souverän, dem alles irdische Leben unterzuordnen ist.

Selbstverständlich gibt es auch gläubige Musliminnen und Muslime in westlichen Gesellschaften, die trotzdem nicht den Anspruch haben, dass diese Gesellschaft sich in eine islamische wandelt oder zumindest islamische Enklaven ermöglicht. Auch gibt es Moscheen, die den Gläubigen eine ausschließlich spirituelle Heimstatt sind, die meisten Moscheen in Deutschland aber sind großen Verbänden angeschlossen, die dem legalistischen Spektrum zuzurechnen sind.

Dazu zählen die türkische Religionsanstalt DITIB, die der türkischen Religionsbehörde DIYANET unterstellt ist, die "Islamische Gemeinschaft Millî Görüş" (IGMG), die ideologisch mit der Muslimbruderschaft vergleichbar ist, die "Deutsche Muslimische Gemeinschaft" (DMG), bis vor kurzem "Islamische Gemeinschaft Deutschlands" (IGD), die der Muslimbruderschaft nahestehen soll, was vom Verband indes bestritten wird, und die "Islamische Gemeinschaft der Schiiten" (IGS), mit direkter Anbindung an die geistliche Führung in Teheran, dem "Verband der Islamischen Kulturzentren" (VIKZ) sowie die bereits erwähnte "Ahmadiyya Muslim Jamaat" (AMJ).

In ihrem Buch Politischer Islam - Stresstest für Deutschland setzt sich die Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam, Susanne Schröter ausführlich mit dessen Wirken in Deutschland auseinander.

Der politische Islam ist eine Herrschaftsordnung, die einen fundamentalen Gegenentwurf zu Demokratie, Pluralismus und individuellen Freiheitsrechten darstellt. Seine Vertreter streben die Umgestaltung von Staat und Gesellschaft anhand islamischer Normen an.

Susanne Schröter

In dem informativen Buch beschreibt sie u. a. die Anfänge der Muslimbruderschaft in Deutschland, die auf Ende der 1950er/Anfang der 1960er Jahre datiert werden. Dafür, dass die MB sich in Deutschland ansiedeln und ausbreiten konnten, hätten Konvertiten großen Anteil gehabt, so Susanne Schröter. Auch Syran Ateş geht in ihrem Artikel davon aus, dass es bei der Erschließung Ostdeutschlands nicht nur um die dort lebenden Musliminnen und Muslime gehe, sondern dass in der "gottlosen" Gegend auf Konvertiten gehofft werde.

Ein deutliches Zeichen für den Anstieg des fundamentalistischen Teils der muslimischen Bevölkerung sei die zunehmende Verschleierung von Frauen, die ihnen z. B. von der MB abverlangt wird. Susanne Schröter zitiert die Soziologin Sigrid Nökel, die den Hijab beschreibt als:

Selbstaffirmation gegenüber der dominanten Kultur." Sie (die Hijab-Trägerinnen, Anm. B.G.) trügen es als Zeichen der selbst gewählten Exklusion und des Andersseins. Diejenigen Islamistinnen, …, nutzen das Kopftuch darüber hinaus als Kampfmittel, um die Gesellschaft herauszufordern und sie als "rassistisch" zu entlarven.

Sigrid Nökel

Susanne Schröter beschreibt, wie schwierig es ist, die MB tatsächlich zu fassen zu bekommen:

Viele muslimische Vereinigungen und Akteure stehen im Verdacht, der Muslimbruderschaft anzugehören, doch aufgrund einer Strategie der strikten Geheimhaltung gibt es kaum verlässliche Informationen. In Deutschland existieren weder Vereinigungen, die sich dazu bekennen, noch hat man in jüngster Zeit von muslimischen Funktionären entsprechende Äußerungen vernommen, die nicht wieder zurückgenommen oder relativiert wurden. Im Gegenteil. Sobald Personen oder Einrichtungen vom Verfassungsschutz oder von investigativen Journalisten in die Nähe der Bruderschaft gerückt werden, erfolgt gewöhnlich ein Dementi. Da der Orden außerordentlich finanzstark ist, fehlt es nicht an Mitteln für teure Anwälte, die diejenigen durch Klagen einzuschüchtern versuchen, die seine Spuren Tarnung aufdecken.

Susanne Schröter

In dem oben erwähnten FAZ-Interview erläutert der Chef des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes, Burkhard Freier, allein in NRW würden "21 Moscheen, die entweder Muslimbrüder-Moscheen sind oder in denen Einflüsse aus dem Bereich der Muslimbruderschaft und des Salafismus zugleich wahrnehmbar sind" beobachtet. Insgesamt gebe es "in Deutschland eine mittlere zweistellige Zahl von Organisationen und Moscheen der Muslimbruderschaft", die Tausende Gläubige erreichten. Unterstützt werde die MB auch vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, das sei klar erkenntlich, so Burkhard Freier.

Seltsamerweise nimmt er trotzdem DITIB, die via DIYANET direkt der türkischen Regierung unterstellt ist, aus dem Spektrum des Legalismus aus. DITIB wolle im Gegensatz zur MB oder auch zur IGMG den deutschen Staat nicht verändern. Das dürfte eine kolossale Fehleinschätzung sein. Anfang Januar 2019 lud Erdoǧan zu einer "Europäischen Islam-Konferenz" in die neue DITIB-Zentralmoschee in Köln-Ehrenfeld.

Zu dem Treffen erschienen auch Vertreter der MB. Mit der Wahl des Veranstaltungsorts kommunizierte Erdogan ganz klar den Führungsanspruch bei dem Unternehmen "europäischer Islam", die MB wurde dem Geflecht aus türkischen Verbänden wie DITIB und IGMG eingepflegt. Daraus, dass ihm für die Türkei ein Kalifat vorschwebt, macht Erdoǧan keinen Hehl. Kürzlich konkretisierte er seine Vision, indem er verriet, dass sein Kalifat selbstverständlich auch über die Grenzen der Türkei und bis nach Europa reiche. Den ersten Fuß in den Osten hat er mit der Leipziger DITIB-Gemeinde schon gesetzt.

In Leipzig sorgte die "Muslimische Hochschulgemeinde" (MHG) mit Spendensammlungen für die Hilfsorganisation "Islamic Relief" (IR) für Schlagzeilen. IR wird vorgeworfen, die Hamas, eine Organisation im Netzwerk der MB, zu unterstützen - was von der deutschen Sektion indes bestritten wird.

Positive Entwicklung?

In den vergangenen Jahren habe sich trotz des besorgniserregenden Gesamtbefundes einiges zum Positiven verändert, resümiert Susanne Schröter. So sei in der Politik zunehmend eine Vorsicht zu beobachten, mit Organisationen zusammenzuarbeiten, die sich an Iran, Saudi Arabien oder der Türkei orientierten, und die Zusammensetzung der "Deutschen Islam Konferenz" (DIK) sei diverser geworden, u. a. dadurch dass auch kritische Verbände, wie die "Initiative Säkularer Islam", der auch die Buchautorin angehört, hinzugezogen würden.

Diese positive Einschätzung ist meiner Einschätzung nach sehr mit Vorsicht zu genießen, das sehen auch die österreichische Politologin Nina Scholz und der Historiker Heiko Heinisch so. In ihrem Buch "Alles für Allah" schreiben sie:

Konservativ-islamistische Strömungen sind zum Mainstream des Islam geworden und auch in Europa angekommen. Über ein dichtes Netz an Vereinen und Organisationen gewinnen sie zunehmend an Einfluss. Nicht nur die muslimischen Communities, sondern auch staatliche und zivilgesellschaftliche Institutionen in Österreich und Deutschland werden so unterwandert. Das langfristige Ziel dabei ist eine Gesellschaft, die islamischen Vorstellungen folgt und liberale Errungenschaften infrage stellt. Ein Weltbild, das die Menschen in Muslime und "Ungläubige" einteilt, steht einem toleranten Miteinander entgegen

Nina Scholz und Heiko Heinisch

Weiter heißt es:

Eine wachsende konservative Bewegung innerhalb des Islam stellt die Werte der europäischen Aufklärung und die pluralistische Gesellschaft infrage, betrachtet sie als Zumutung, als Kränkung und als Angriff auf ihre Identität. Anhänger dieser Strömung wollen zwar in Europa leben, aber nicht als Teil der europäischen Gesellschaften, sondern als nach eigenen Regeln lebende Community. Im Verbund mit islamistischen Organisationen, Islam-Lobbyisten und -Lobbyistinnen zwingen sie so westlichen Gesellschaften jenen Kulturkampf auf, der seit den 1970er Jahren in der islamischen Welt tobt und diese in eine Krise geführt hat, deren Ausmaß noch nicht absehbar ist. Sie erzwingen im Namen der Religionsfreiheit eine permanente Debatte über den Islam, über religiöse Anliegen und Forderungen, indem sie die Gesellschaft, in der sie leben, immer wieder mit den Regeln und den Moralvorstellungen des Islams konfrontieren.

Gleichzeitig ersuchen sie, jede kritische Debatte über islamische Vorstellungen und die in Europa tätigen Islamverbände zu unterbinden und als rassistisch und "islamophob" zu diskreditieren. Letztlich geht es ihnen darum, dem Islam eine exklusive Stellung in der Gesellschaft zu verschaffen und für fundamentalistische Communities Freiräume für ein Leben nach streng islamischen Regeln durchzusetzen.

Nina Scholz und Heiko Heinisch

Wie von Seyran Ateş richtig erkannt, bietet sich dazu der "gottlose" Osten bestens an.