Island soll Pressefreiheitsoase werden

Ab morgen debattiert das Parlament über einen von Wikileaks mit initiierten Antrag

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Island ist eines der Länder, das von der Finanzkrise am härtesten getroffen wurde. Im Zuge des geschäftlichen Scheiterns der Kaupthing-Bank begünstigten Teile der ökonomischen und politischen Elite des Landes Verwandte und Freunde durch Insidergeschäfte in Milliardenhöhe und zulasten der Steuerzahler und Verbraucher. Als Wikileaks.org ein Dokument in die Hände fiel, das dies offenbar machte, wollte auch das Landesfernsehen darüber berichten, scheiterte jedoch an einer Einstweiligen Verfügung der Bank.

Darauf hin sendete man einfach die URL von Wikileaks, wo sich ein Großteil der Isländer direkt aus der Quelle über die Vorgänge informieren konnte. Das führte nicht nur dazu, dass Wikileaks auf der Insel mittlerweile sehr viel bekannter ist, als in anderen Ländern, sondern auch, dass man sich Gedanken darüber machte, wie frei die Presse wirklich ist. Dazu trug auch bei, dass später herauskam, dass einer der Söhne des Richters, der die Einstweilige Verfügung erlassen hatte, dem isländischen Bankenverband vorsitzt und ein anderer einer der direkten Nutznießer der Insidergeschäfte ist.

Bild: NASA

Anfang Dezember wurden zwei Vertreter von Wikileaks, Julian Assange und Daniel Schmitt, nach Island eingeladen, wo sie die Gelegenheit nutzten, den dortigen Fernsehzuschauern einen Vorschlag zu unterbreiten: Island könnte sich durch einen stärkeren Schutz von Rede- und Pressefreiheit zu einer Art Oase für Medien entwickeln, wo Unternehmen produzieren und veröffentlichen, ohne unverhältnismäßig große Teile ihrer Mittel für juristische Auseinandersetzungen beiseitelegen zu müssen.

Die Schriftstellerin Birgitta Jonsdottir von der Borgarahreyfingin (Bürgerbewegung) griff die Idee auf. Die Borgarahreyfingin ist in mehrerlei Hinsicht mit der Piratenpartei vergleichbar: Sie kämpft um mehr Bürgerbeteiligung und Transparenz und sieht sich selbst jenseits von "links" und "rechts". Seit der letzten Wahl im April ist sie mit drei Abgeordneten im insgesamt 63 Sitze zählenden Althingi vertreten. Zusammen mit 11 Abgeordneten aus anderen Parteien entwarf die Borgarahreyfingin Pläne für eine so genannte Icelandic Modern Media Initiative (IMMI), die Geschehnisse wie den Beinahe-Staatsbankrott zukünftig verhindern und das Land zu einer Informationsoase machen soll.

In den IMMI-Entwurf floss auch die Erfahrung der Wikileaks-Mitarbeiter ein, die bisher in verschiedenen Ländern operieren, um die jeweils günstigsten Gesetze zu nutzen. Man will deshalb die Redefreiheit nach amerikanischem, den Quellenschutz nach schwedischem und andere Teile des Presserechts nach belgischem Vorbild gestalten. Außerdem sollen Whistleblower explizit geschützt, Internet-Provider und andere Informationsübermittler von Haftungsansprüchen ausgenommen und die Informationsfreiheitsansprüche der Bürger gestärkt werden.

Darüber hinaus will man nicht nur die inländischen Hürden für Verleumdungsklagen erhöhen, sondern Personen und Unternehmen auch durch umfassende Gegenklagemöglichkeiten vor einem Klagetourismus schützen, der es beispielsweise einem saudischen Scheich erlaubte, in Großbritannien gegen das amerikanische Wall Street Journal vorzugehen. Bei berechtigten Klagen soll zudem ein Anspruch auf Gegendarstellung die Regel und einer auf eine Änderung erschienener Texte die absolute Ausnahme sein. Damit wäre das Land auch ein idealer Standort für Pressearchive, die in Deutschland etwa durch die Rechtsprechung des Landgerichts Hamburg zu alten Berichten über Mörder bedroht sind. Um die internationalen Medien auf die neue Rechtslage aufmerksam zu machen, will man Preise für Pressefreiheit vergeben, für die sich Teilnehmer aus aller Welt bewerben können.

Auch hinsichtlich anderer Standortvorteile rühren mittlerweile nicht nur Isländer die Werbetrommel: Der Chaos-Computer-Club-Pressesprecher Frank Rieger pries in der FAZ vom Wochenende die weiteren Vorzüge der Insel fast wie in einem Prospekttext:

Die Rahmenbedingungen sind exzellent: Es gibt moderne Glasfaserkabel nach Europa und Amerika, um auch die bandbreitenhungrigsten Dienste glücklich zu machen. Die Energie für Strom und Kühlung der Server wird umweltfreundlich aus Wasserkraft und Geothermie gewonnen.

Am morgigen Dienstag soll im Althingi einen Antrag eingebracht werden, der die Regierung dazu auffordert, entsprechende Gesetzesvorhaben auf den Weg zu bringen. Birgitta Jonsdottir zeigte sich nach Gesprächen mit Abgeordneten der anderen Parteien gegenüber der BBC zuversichtlich, dass ihr Vorschlag innerhalb eines Monats mit einer Mehrheit von 38 Ja- zu 35 Nein-Stimmen angenommen wird. Die Ja-Stimmen sollen dabei aus der Borgarahreyfingin, der linksgrünen Vinstrihreyfingin und der sozialdemokratischen Samfylkingin kommen.