Israel-Lobby enttarnt?

Eine Replik auf "Lupenreiner Antisemitismus" von Paul Schreyer

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Einen Streit um die personelle Bestückung des europäisch-iranischen Zahlungskanals INSTEX nimmt der freie Journalist Paul Schreyer in dem Beitrag "Lupenreiner Antisemitismus" für Telepolis zum Anlass, eine große Keule auszupacken. Der Vorgang sei ein "Lehrstück in politischer PR" und "Fallbeispiel für leere Behauptungen, die Wirkung entfalten, da kaum jemand wagt, sie zu hinterfragen". Außer Schreyer.

INSTEX soll den Warenaustausch zwischen der EU und dem Iran abrechnen, weil der Iran vom international üblichen Zahlungsverkehr SWIFT ausgeschlossen ist. Damit hat die EU dem Drängen des Iran und den Klagen seiner Partner nachgegeben, die den Eindruck verbreiten, ohne SWIFT sei kein Handel möglich. Betrachtet man die nackten Zahlen, so ist dieser Eindruck rasch widerlegt: z.B. liegen die deutschen Ausfuhren in den Iran relativ konstant zwischen 2 und 3 Mrd Euro im Jahr, woran US-Sanktionen in der Vergangenheit wenig änderten und auch jetzt wieder wenig ändern werden. Hinzu kommt, dass das reale Volumen deutlich über diesen Zahlen liegt: Zur Umgehung der Sanktionen wurde ein Teil des Warenverkehrs über Katar abgewickelt. Deutsche Handelsjuristen geben nützliche Hinweise, wie man solche Dreiecksgeschäfte geschickt gestaltet. Deutsche und französische Banken mussten in schmerzhafte Vergleichszahlungen einwilligen, wenn sie bei raffinierten Finanzierungspraktiken für iranische Kunden erwischt wurden.

Doch der Iran und seine deutschen Freunde träumen von ganz anderen Dimensionen. Vom Abschluss des Wiener Atomabkommens JCPOA erhofften sie sich mindestens eine Verdreifachung der Geschäfte. Es war kein Geringerer als der damalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der diese Hoffnungen nährte. Sie wurden einstweilen enttäuscht; jetzt soll es INSTEX richten. Für die Leitung der Clearingstelle wurde der ehemalige deutsche Botschafter in Teheran, Bernd Erbel, ausgeguckt. Nach ein paar Tagen trat er, nicht ganz freiwillig, den Rückzug an.

Die Bildzeitung hatte am 8.8. darauf hingewiesen, dass Erbel dem Journalisten Ken Jebsen, von Bild als Verschwörungstheoretiker und Antisemit eingestuft, am 16.7. ein Interview gegeben hatte, in dem er Positionen vertreten habe, die eine weitgehende Übereinstimmung mit der iranischen Propaganda aufwiesen. Auf die Argumente dieses Artikels, in dem ausführliche Passagen von Erbel zitiert werden, geht Schreyer nicht ein. Eine Nachprüfung bei YouTube ergibt, dass die von Bild wiedergegebenen Zitate in der Tat authentisch sind.

Stattdessen argumentiert Schreyer, ein unliebsamer Diplomat sei von einer Israel-Lobby erledigt worden. Denn die Kritik an der Nominierung Erbels für INSTEX sei zuerst von der jüdisch-deutschen WerteInitiative gekommen und dann von der (einigermaßen) israelfreundlichen Boulevardzeitung übernommen worden. Kein Wunder, findet Schreyer, denn die Autorin des Bild-Artikels habe früher für die israelische Botschaft gearbeitet. Diese politisch äußerst bedeutende Information wurde von der Deutschen Welle enthüllt, die sie aber sofort wieder löschte, als sie sich mit Kritik konfrontiert sah. Undsoweiterundsofort. Schreyer skizziert rasch ein atlantisches Netz von Initiativen, Medien und Think-tanks, hinter dem US-amerikanische Milliardäre stünden, nämlich die Trump-Freunde Paul Singer und Sheldon Adelson.

Die Äußerungen des Ex-Diplomaten

Diese Vision jüdischen Einflusses in Washington und der Welt, die zum deutschen Politikverständnis gehört wie das Bier zum Stammtisch, reaktiviert sich nicht zufällig im Kontext des Iran-Konflikts. Denn sie entspricht ganz und gar der offiziellen Ansicht des Irans, der sie wiederum von einem früheren Deutschland gelernt hat. Als Nahostexperte könnte Bernd Erbel ein Lied davon singen, falls das sein Thema wäre. Stattdessen gebraucht er eine vom iranischen Revolutionsführer Khamenei gern benutzte Formulierung, wonach Israel "ein extremer Fremdkörper in der Region" sei. Jebsen ist weit von der Idee entfernt, dass man hier mal widersprechen könnte.

Erbel möchte kurz loswerden, dass Israel "Atommacht ist", was der Iran nicht sei, weil er sich immer an den Atomwaffensperrvertrag gehalten habe. Den Verdacht, Iran arbeite insgeheim an der Entwicklung von Atomwaffen, zerstreut der ehemalige Botschafter souverän: "Das ist nicht der Fall... Iran war nie auf dem Weg zum konkreten Bau einer Atombombe." Jebsen fragt nicht nach, er will vertiefen. Was könnte es dem Iran überhaupt bringen, sich nuklear zu bewaffnen, überlegt er nachdenklich. "Absolut gar nichts!", ruft Erbel aus. Denn der Iran sei am Erhalt des JCPOA interessiert.

Dieser versammelte Unverstand kann sich nur in einem Gespräch outen, in dem sich die Partner so einig sind, dass einer den anderen stimuliert. Man möchte ihnen zurufen: Leute, ihr habt Null Ahnung von Nukleartechnik - aber tatsächlich geht es hier nicht um Wissen oder Unwissen, sondern um die getreue Wiedergabe iranischer Standardargumente.

Darum sei hier nur daran erinnert, dass die Internationale Atomenergiebehörde IAEA im abschließenden Statement zu ihrer Untersuchung von "Possible Military Dimensions" des iranischen Atomprogramms feststellt, dass der Iran sehr wohl bis 2003 und teilweise darüber hinaus an der Erforschung und Entwicklung von Nuklearwaffen gearbeitet hat. Es steht Erbel, Jebsen oder Schreyer als Privatpersonen frei, sich zu blamieren und das Zustandekommen dieses Dokuments auf den Einfluss einer internationalen Israel-Lobby zurückzuführen. Ein Diplomat freilich, der die Bewertung der zuständigen Institution einfach unterschlägt, weil sie ihm nicht passt, stellt seine mangelnde Eignung für einen Einsatz im Nahen Osten selbst zur Schau.

Unfassbar sind Erbels Äußerungen zu den Hinrichtungen im Iran. "Die, die, äh, Zahl der vollstreckten Todesurteile" sei sehr hoch, bestätigt der ehemalige Botschafter etwas zögerlich, um entschlossen anzufügen: "Allerdings sind 80% der Hingerichteten Drogendealer." Jebsen: "Ist das so?" - "Ja". Erbel nickt heftig mit dem Kopf. Da staunt ihr, was? Drogendealer! Außerdem müssten wir dem Iran eigentlich dankbar sein, denn er könnte diese Afghanen ja auch durchs Land fahren und an der Westgrenze wieder freilassen. Dann würden sie in Europa aufschlagen. Das bedeute nicht, versichert Erbel, dass die Hinrichtungen "absolut notwendig" seien. Aber ein relatives Verständnis lässt er erkennen. Die Frage, ob die Kräne, die von der iranischen Justiz für öffentliche Erhängungen benutzt werden, Made in Germany sind, hat der sich als kritisch verstehende Journalist Jebsen nicht gestellt.

Erbels Positionen zeugen von einem Ungeist, der bei deutsch-iranischen Handelsreisenden vorhanden ist und von der Art der Gespräche, die nach Vertragsabschlüssen bei Huhn auf Safranreis und Pistazienkompott geführt werden. Aber will INSTEX damit identifiziert werden? Erbel musste seinen neuen Posten schnellstens räumen, nicht weil die Israel-Lobby so stark wäre, sondern weil seine Äußerungen unerträglich sind. Schon als Botschafter hätte er gefeuert werden müssen, weil er seine Aufgabe weniger darin sah, die deutsche Politik in Teheran zu erklären als vielmehr darin, iranische Botschaften in Deutschland zu verbreiten. Er ist als Berater in der Anwaltssocietät von Peter Gauweiler sicherlich besser aufgehoben.

Manchmal fördert eine Plauderei verwandter Seelen mehr zutage als eine harte Kontroverse

Zurück zu Schreyers Artikel. Anstatt den Zeitgenossen, die auf das erstaunliche Stelldichein Erbels bei Jebsen aufmerksam gemacht haben, zu danken, bläst er den Vorgang zu einer Intrige und Einmischung in das deutsch-iranische Verhältnis auf. Über die Politik des Mullah-Regimes, insbesondere gegenüber der EU, erfahren wir von ihm nichts.

Die Ironie der Geschichte will es, dass gerade zu der Zeit, wo die Europäer ihre Beziehungen mit Teheran vehement verteidigen, gravierende Neuigkeiten bekannt wurden. In Inlandsmedien hat der Chef der iranischen Atomenergiebehörde, Ali Akbar Salehi, zu Beginn d.J. eingeräumt, die Wiener IAEA und die Verhandlungspartner beim JCPOA vorsätzlich getäuscht zu haben. Die Folgen dieses Betrugs? Keine. Für die Trump-Administration ist das Abkommen sowieso der "schlechteste Deal aller Zeiten", selbst wenn sich der Iran buchstabengetreu daran halten würde. Die Europäer möchten sich bei ihren Vertraulichkeiten mit Teheran nicht stören lassen. Und die IAEA ist nach dem plötzlichen Tod ihres Generaldirektors Yukiya Amano handlungsunfähig, weil sie mit sich selbst beschäftigt ist.

In diesem Kontext geht es also um weit mehr als um die nachgeordnete Frage, ob es Diplomaten oder Politikern erlaubt ist, sich mit Außenseitermedien oder Blogs wie dem von Jebsen einzulassen. Die Bedenken, die gegen Erbels Nominierung bei INSTEX vorgebracht wurden, waren keine "leeren Behauptungen".

Jebsen hat, freilich nicht mit dieser Absicht, ein aufschlussreiches Portrait eines der maßgeblichen Akteure der deutschen Nahostpolitik fabriziert. Nebenbei hat er sich selbst portraitiert. Manchmal fördert eine Plauderei verwandter Seelen mehr zutage als eine harte Kontroverse. Dann muss man aber auch die Konsequenzen ertragen können, ohne gleich wieder ein Verschwörung zu vermuten. Der Artikel, den Sie eben zu Ende gelesen haben, wurde beispielsweise weder von Netanyahu inspiriert noch von Paul Singer/Sheldon Adelson finanziert und ist auch nicht mit der Bildzeitung abgesprochen.

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