Israel-Wahl: Kopf an Kopf-Rennen über die Wahlhürde
Ob Benjamin Netanjahu seinen Traum von einer ultrarechten Regierung verwirklichen kann, entscheiden die Wähler von Kleinparteien
Zum Wahltag in Israel hatte das Militär die Kontrollposten an den Übergängen aus dem Westjordanland nach Israel und Ost-Jerusalem für Palästinenser sperren lassen, von denen viele mit Spannung auf die Parlamentswahl schauen, denn ihr Ergebnis wird auch entscheiden, wie es künftig zwischen Palästinensern und Israels weiter geht.
Von den 40 Listen, die sich um die 120 Parlamentssitze bewerben, ringen der rechtskonservative Likud des derzeitigen Regierungschefs Benjamin Netanjahu und die sich selbst im politischen Zentrum verortende Blau-Weiß-Liste um den Titel "stärkste Fraktion". Bei Blau-Weiß handelt es sich um ein Wahlbündnis, in dem sich die Zukunftspartei des Ex-Journalisten Ja‘ir Lapid mit den drei ehemaligen Generalstabschefs Benny Gantz, Gabi Aschkenazi und Mosche Ja‘alon; sollte man eine Regierung bilden, will man mit der palästinensischen Führung über eine Zweistaaten-Lösung verhandeln. Doch Netanjahu, seit 2009 durchgehend im Amt, hat nun am Wochenende die Annexion von Teilen des Westjordanlandes in Aussicht gestellt.
Viel zu bedeuten hat das allein erst einmal nicht, denn "größte Fraktion" bedeutet zunächst einmal nichts weiter, als dass man von Präsident Re‘uven Rivlin fordern kann, mit der Regierungsbildung beauftragt zu werden; einen Rechtsanspruch darauf gibt es nicht. Der Fraktionschef, dem die Rolle zufällt, wird sich dann genug Partner suchen müssen, um eine Koalition zu bilden und vom Parlament zum Regierungschef gewählt zu werden.
Und dieser Prozess hat es dieses Mal in sich: Denn hatte sich Netanjahu bei voran gegangenen Wahlen stets auch links und im Zentrum umgesehen, ist die Auswahl dort kleiner geworden, im wahrsten Sinne des Wortes: Die Sozialdemokraten, die bis 1977 das Land dominierten, haben im Laufe der vergangenen 20 Jahre diverse Mal den Namen gewechselt und nennen sich zwar jetzt wieder Arbeitspartei. Aber dafür werden sie nun vom ehemaligen Wirtschaftsboss Avi Gabbay geführt - wahrscheinlich in die Bedeutungslosigkeit: Es fehlt an Konzepten für das Sozialsystem, für die ausufernden Lebenshaltungskosten, für den Friedensprozess - Konzepte, die die traditionell kleine, linksliberale Meretz zwar hat; dafür leidet diese Partei unter dem Ruf, elitär und verschlossen zu sein.
Die meisten linken und zentristischen Parteien haben eine Koalition mit dem unter Korruptionsverdacht stehenden Netanjahu kategorisch ausgeschlossen. Übrig bleiben rechte und religiöse Parteien, von denen mindestens drei für eine Annexion des Westjordanlandes eintreten, teils sogar die Ausweisung von Palästinensern und israelischen Arabern fordern.
Um Regierungschef zu bleiben, hat Netanjahu nur zwei Möglichkeiten: Entweder er bringt Blau-weiß irgendwie dazu, eine große Koalition zu bilden; in Israel nennt man das "Regierung der Nationalen Einheit". Nur: Bekommen beide Listen zusammen weniger als 61 Mandate, stellt sich die Frage gar nicht erst.
Netanjahus Wunschlösung ist indes eine Koalition aus rechten und den beiden ultra-orthodoxen Parteien. Im Laufe des vergangenen Jahres hat er die rechten Wähler kräftig umgarnt, mit tatkräftiger Unterstützung aus dem Ausland: US-Präsident Donald Trump erkannte die israelische Annexion der Golan-Höhen und Jerusalem als Hauptstadt an; der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro tauschte mit dem Premier beim Staatsbesuch in Israel zumindest ausgesprochen warme Worte aus; bei rechten Israelis kommt so etwas gut an, auch wenn schon jetzt klar ist, dass all‘ dies bislang nur dazu geführt hat, dass der Likud seine bisherigen Mandate wahrscheinlich mit Mühe und Not irgendwie halten wird - möglicherweise auf Kosten der Wunschpartner.
Denn viele von ihnen sind nun kräftig am Zittern: Gleich fünf der möglichen acht Partner kratzten in den letzten Umfragen vor Öffnung der Wahllokale gefährlich nahe an der 3,25 Prozent-Hürde; und Netanjahu braucht alle acht, es sei denn, der Likud bekommt deutlich mehr als 30 Mandate. Kurz erläutert: Auf Grund des Wahlsystems erhält jede Liste, die es ins Parlament schafft, mindestens vier Sitze. Wenige hundert Stimmen, oder eine um einige Zehntel-Prozent niedrigere oder höhere Wahlbeteiligung können dementsprechend das Kräfteverhältnis verschieben.