Israel und Palästina: Eskalation in vollem Gange

Ausgebranntes Auto in Huwara. Bild (27.Februar 2023): Osama Eid/CC BY-SA 3.0

Verhandlungsergebnisse werden schon bestritten, wenn man vom Verhandlungstisch aufgestanden ist. Seit Jahresbeginn wurden mindestens 67 Palästinenser und 13 Israelis durch Gewaltakte getötet. Ein Ende ist nicht in Sicht.

Das war wohl ein Treffen der unangenehmen Art für Annalena Baerbock.

Wenige Tage, nachdem ein Mob aus israelischen Siedlern die palästinensische Ortschaft Huwara verwüstet, die israelische Regierung ein Gesetzgebungsverfahren zur Einführung der Todesstrafe für terroristische Akte auf den Weg gebracht hatte, musste die Bundesaußenministerin neben ihrem israelischen Amtskollegen Eli Cohen stehen und sich anhören, dass man natürlich weiterhin wie beschlossen den Siedlungsbau vorantreiben werde.

Er habe Baerbock darum gebeten, bei der palästinensischen Regierung darauf hinzuwirken, dass die Serie von Angriffen auf Israelis im israelisch besetzten Westjordanland und in Israel selbst ein Ende finde.

Und die Zahlen sind tatsächlich besorgniserregend: 13 Israelis sind seit Jahresbeginn, also innerhalb von nur zwei Monaten, bei Anschlägen getötet worden. Bei israelischen Militäroperationen und von Siedlern verübten Gewaltakten sind im gleichen Zeitraum 67 Palästinenser getötet worden. Die tatsächliche Zahl kann höher liegen, weil nicht jedes Todesopfer statistisch erfasst wird.

Bemerkenswert ist Cohens Bitte an Baerbock, weil Mitarbeiter der israelischen Regierung erst wenige Tage zuvor persönlich mit Vertretern der palästinensischen Führung und der Regierungen Jordaniens, Ägyptens und der USA zusammengesessen hatten. Im jordanischen Akaba hatte man sich auf Einladung der jordanischen Regierung getroffen, um Wege zu finden, die Gewalt zu beenden.

Das erste Treffen dieser Art seit vielen Jahren

Es war überhaupt das erste Treffen dieser Art seit vielen Jahren, denn zwischen Israel und der palästinensischen Regierung herrscht Funkstille, seit Regierungschef Benjamin Netanjahu erst dazu überging, eine Koalition nach der anderen zu bilden, und dann fünf Wahlen in drei Jahren abgehalten wurden.

Am Ende des Treffens sah auch alles gut aus, bis die Handlung einen erstaunlichen plot twist nahm: Nach dem Treffen veröffentlichte das US-Außenministerium eine gemeinsame Erklärung der fünf Regierungen. Darin verpflichten sich beide Seiten dazu, für "drei bis sechs Monate" alle einseitigen Schritte zu unterlassen.

Die Erklärung

Israel werde für vier Monate keine neuen Gebäude errichten und für bis zu sechs Monate keine ungenehmigten Siedlungen nach israelischem Recht legalisieren. Man werde sich im März wieder im ägyptischen Scharm el Scheich treffen, um weitere Schritte zu besprechen.

Zudem bekennen sich Israel und die Palästinensische Autonomiebehörde laut Erklärung zu allen bestehenden vertraglichen Vereinbarungen und zum Status quo in Ost-Jerusalem.

Was dann geschah

Was dann geschah, hatte wirklich niemand auf dem Schirm: Die Erklärung war noch nicht veröffentlicht, als sich Netanjahus rechtsradikale Koalitionspartner vom Wahlbündnis "Religiöser Zionismus" zu Wort meldeten und bekannt gaben, dass es natürlich keinen Baustopp für nur einen einzigen Tag geben werde.

Die israelische Regierung hatte unter anderem den Bau von mehreren tausend Wohneinheiten in Siedlungen und die Legalisierung von ungenehmigten Siedlungen beschlossen. Wenige Stunden später twitterte Netanjahu:

Der Bau und die Legalisierung in Judäa und Samaria werden ohne Änderung nach Plan fortgesetzt.

Und auch Netanjahus Sicherheitsberater Zachi Hanegbi erklärte, Israels Regierung werde wie geplant 9.500 Wohneinheiten in Siedlungen bauen lassen und neun ungenehmigte Siedlungen autorisieren:

Es gibt keinen Baustopp und keine Änderung am Status quo auf dem Tempelberg und es keine Beschränkungen der Militär-Aktivitäten.

Sehr speziell daran: Hanegbi war der Verhandlungsführer in Akaba und im persönlichen Gespräch betonen Diplomaten aus allen beteiligten Ländern, dass das, was in der US-Erklärung stehe, exakt das sei, was man vereinbart habe.

Wer hat die Kontrolle?

Jake Sullivan, Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, erklärte diplomatisch, das Treffen sei nur ein Anfang gewesen; in den kommenden Wochen und Monaten sei noch viel zu erledigen. Doch im persönlichen Gespräch reagiert man extrem verärgert: Das Vertrauen sei komplett zerstört; dies sei eine Regierung, in der der Regierungschef keinerlei Kontrolle mehr habe.

Das ist eine Ansicht, die auch in Israel weit verbreitet ist und sich auch bis in den alten "Likud-Adel" hineinzieht – also zu jenen, die Netanjahus Partei einst aufgebaut haben. Benny Begin, Sohn von Menachem Begin, der 1977 erstmals der bis dahin dominanten Arbeitspartei die Macht abnahm, den Likud zur Volkspartei aufgebaut hatte, ist bei den Massenprotesten gegen die Maßnahmen der Regierung nun eines der prominentesten Gesichter: Die Partei sei nicht mehr wiederzuerkennen, sagt er dann stets.

Todesstrafe für palästinensische Terroristen?

Doch während Israels Regierung am Sonntag, übrigens gegen den Widerstand der nahezu gesamten Justiz, die Einführung der Todesstrafe für palästinensische Terroristen auf den Weg brachte, sagen ausländische Diplomaten und auch israelische Politiker und Regierungsmitglieder, dass es nun zunehmend schwerer falle, diese Linie zu ziehen.

Huwara

Zwar war das israelische Militär zugegen, als am Wochenende mehrfach rechtsradikale Siedler durch Huwara zogen, Häuser bis auf die Grundmauern niederbrannten, Autos zerstörten, Läden verwüsteten und mindestens einen Menschen töteten. Doch niemand unternahm etwas, um diesen Mob zu stoppen.

Erst Stunden nach dem Beginn der Angriffe rief Finanzminister Bezalel Smotrich, einer der Spitzenpolitiker der "Religiösen Zionisten", zur Ruhe auf.

Smotrich fordert zurzeit die Übertragung der Zivilverwaltung in den besetzten Gebieten an ihn. Vor Beginn der Ereignisse hatte er noch einen Twitter-Post gelikt, in dem ein Lokalpolitiker dazu aufrief, "Huwara dem Erdboden gleichzumachen."

Itamar Ben Gvir, Minister für nationale Sicherheit und ebenfalls Abgeordneter der Religiösen Zionisten, verurteilte die Taten erst am Montagmorgen halbherzig. Anders als einige seiner Parteifreunde.

Der Abgeordnete Zwikah Foghel erklärte, ein brennendes Huwara sei genau das, was er sehen wolle. Und Limor Sonn Har Melech bezeichnete die Randale als "gerechten Wutschrei". Netanjahu selbst wandte sich per Videobotschaft an die Randalierer. Aber niemand ordnete an, das Militär möge mit ganzer Kraft dem Treiben ein Ende setzen.