Israelische Siedler warnen vor Bürgerkrieg

Zehntausende demonstrieren gegen Abzugsplan, Scharon wehrt sich gegen "Hetzkampagne"

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Zehntausende Israelis haben am Sonntagabend in West-Jerusalem gegen die Regierungspläne zum Abzug aus einigen ihrer Siedlungen in den besetzten Palästinensergebieten demonstriert. Repräsentanten der rechten Bewegung riefen die israelischen Soldaten dazu auf, Befehle zur Evakuierung von Siedlungen zu verweigern und kündigten bewaffnete Gegenwehr an. Eine Drohung, die in Israel angesichts einiger extrem-radikaler Siedlergruppen niemand auf die leichte Schulter nimmt. Bereits auf der sonntäglichen Kabinettssitzung wandte sich Ministerpräsident Ariel Scharon gegen die "Hetzkampagne, mit ihren absichtlichen Aufrufen zum Bürgerkrieg". Siedlerbewegung, Regierungsmitglieder und Abgeordnete sollten die Armee aus dem Disput heraushalten. Demonstranten hielten Schilder hoch, auf denen Scharon als "Diktator" bezeichnet wurde.

Scharon will den Rückzug Israels aus allen Siedlungen des Gazastreifens und aus vier kleineren im Norden des Westjordanlands. Der Plan wird in Israel seit Monaten heiß diskutiert. Im September 2005 soll der Abzug beginnen. Gehbereite Freiwillige werden aber auch jetzt schon kompensiert.

Da jedoch unlängst sogar seine eigene Likud-Partei gegen den Plan stimmte, wird Scharon nun Demokratiemangel vorgeworfen. Koalitionspartner wie die rechte Nationalreligiöse Partei drohen mit dem Ende der Zusammenarbeit. In den vergangenen Wochen liebäugelte Scharon deshalb vermehrt mit der Bildung einer großen Koalition mit der Arbeitspartei unter Schimon Peres. Einige politische Beobachter sehen bereits eine Spaltung des Likud voraus. Das aber "würde den rechten Flügel schwächen", so Usi Landau, Minister ohne Amtsbereich und Gegner des Abzugsplans. Er hofft, dass sich Scharon noch der Parteimehrheit beugt: "Es gibt schließlich demokratische Spielregeln, die es zu befolgen gilt."

"Linke und potenzielle Evakuierer"

"Wenn Scharon auf der Entscheidung besteht, dann sollte er entweder Neuwahlen oder eine Volksbefragung abhalten", sagte Schaul Goldstein, Vizevorsitzende des Siedlerrats Jescha. Jescha steht kurz für die die biblischen Bezeichnungen Judäa, Samaria und Gaza (Westjordanland und Gazastreifen). "Ich werde eine demokratische Entscheidung trotz meiner Ablehnung respektieren und nicht zur Befehlsverweigerung aufrufen."

Die Armee sei vor einer bewaffneten Konfrontation gewarnt worden. "Wenn Jescha-Siedler einen Batallionskommandeur einschüchtern können", so Goldstein weiter und spielte damit auf die fehlgeschlagene Räumung einer Siedlung an, "dann kann man leicht erraten, was sie mit Linken und potenziellen Evakuierern anstellen." Er könne seine Leute nicht kontrollieren:

Wir haben keine Polizei, keinen Geheimdienst. Wenn etwas passiert, dann sind diejenigen Schuld, die die Demokratie mit Füßen treten.

Die israelischen Siedler in Westjordanland und Gazastreifen betrachten das gesamte Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordanfluss als ihre Heimat. Sie sind israelische Staatsbürger und siedeln auf palästinensischem Territorium, das von Rechts wegen nicht zum israelischen Staatsgebiet gehört, sondern Besatzungsstatus hat. Israelische Polizei und andere Dienste sind aber auch für die Siedler zuständig.

Allerdings haben sich die Siedler zu einem Staate im Staate entwickelt. Nach Ansicht von Joel Marcus, Kommentator der Zeitung Haaretz, übt die Regierung nicht die volle Kontrolle über die Siedler aus. Jahrelang habe in Israel die Devise gegolten, dass kein (anderer) Staat zwischen Mittelmeer und Jordan errichtet werden soll. "Und nun gibt es auf einmal einen", so Marcus, "den Staat der Siedler." In dem einen, dem Staat A, gebe es die Regierung, das Parlament und eine jüdische Mehrheit:

Der andere, Staat B, liegt jenseits der Grünen Linie (Waffenstillstandslinie von 1967) und ist bewohnt von 200.000 Siedlern. Eine seltsame Welt, jedenfalls total verschieden von Staat A.

Nach Ansicht der Palästinenser wird der Abzugsplan Scharons nur Negatives bringen. "Er bedeutet zwar einen bestimmten (israelischen) Rückzug aus dem Gazastreifen", so Arbeitsminister Ghassan Khatib. "Gleichzeitig wird aber die Besatzung im Westjordanland, dem größten palästinensischen Gebiet, verfestigt." Die israelische Regierung beschloss erst kürzlich den Bau weiterer 1.700 Wohneinheiten in den Siedlungen im Westjordanland. "Auch der Rückzug aus dem Gazastreifen bringt nicht das Ende der israelischen Dominanz dort mit sich", sagte Khatib.

Scharon erklärte, dass die israelische Luftwaffe Gaza bombardieren werde, sollten die Terrorangriffe weitergehen. Dabei würden auch Boden-Boden-Raketen benutzt werden, die größere Gefechtsköpfe als die bisher eingesetzten Luft-Boden-Raketen transportieren können. Der israelische Generalstaatsanwalt Meni Masus, so die Zeitung Maariv, warnte die Regierung davor, "Kriegsverbrechen zu begehen", weil durch den Raketeneinsatz die Chance erhöht werde, Zivilisten zu treffen.