Israels Aktion in Schifa-Krankenhaus in Gaza: Neue Tote, wenig Klarheit

Schifa-Krankenhaus, Gaza, Oktober 2023. Bild: Wafa, CC BY-SA 3.0

Das größte Hospital in Gaza ist seit Tagen in Visier der israelischen Armee. Begründung der Militäroperation hat sich bislang nicht bestätigt. Ein wichtiger Akteur schweigt.

Die israelischen Streitkräfte haben nach eigenen Angaben die Leiche einer 65-jährigen Frau aus einem Nachbargebäude des teilweise erstürmten Schifa-Krankenhauses im Gazastreifen geborgen. Militärangaben zufolge wurde die Frau von Hamas-Terroristen ermordet. Die Streitkräfte hätten die Geisel nicht rechtzeitig erreichen können, hieß es aus Israel. Details zum Fall teilten die israelischen Streitkräfte nicht mit.

Die Frau war am 7. Oktober während des Hamas-Massakers im israelischen Grenzort Beeri verschleppt worden. Die Tochter des Opfers betonte in israelischen Medien, dass es für ihre Familie nun zu spät sei. Aber andere Geiseln müssten nun befreit und in Sicherheit gebracht werden.

Bei der Bergung der Leiche entdeckten die Streitkräfte im Gebäude nach eigenen Angaben auch militärische Ausrüstung, darunter Maschinenpistolen vom Typ Kalaschnikow und Panzerfäuste. Die Darstellung wird bezweifelt, auch wenn die israelische Armee neben Kurzvideos eine ungeschnittene Version der von Soldaten erstellten Aufnahmen veröffentlichte.

Völkerrechtler bezweifeln, ob der Fund einiger Waffen und militärischer Ausrüstung als Begründung dienen kann, eine vom Völkerrecht grundsätzlich geschützte medizinische Einrichtung derart ins Visier zu nehmen.

Zur ermordeten Geisel schrieb die israelische Zeitung Haaretz, dass die Armee die Leiche bereits am Mittwoch gefunden habe. Die Entführer seien vermutlich vor dem Eintreffen der Soldaten geflohen.

Die israelische Armee ist derzeit in der größten Klinik des Gazastreifens aktiv, wo sie Kommandozentren der Hamas vermutet. Israel steht international wegen des Einsatzes im Schifa-Krankenhaus in der Kritik, wobei einige Staaten dem Land Kriegsverbrechen vorwerfen.

Israel rechtfertigt den Einsatz und betont, dass zivile Objekte für militärische Zwecke missbraucht wurden. Auch das wäre ein Kriegsverbrechen.

Die meisten Krankenhäuser, vor allem im Norden Gazas, scheinen heftig umkämpft zu sein. Die israelische Armee (IDF) behauptet, unter dem Schifa-Krankenhaus befänden sich Einrichtungen der Hamas. Damit würden auch die Kliniken zu legitimen Kriegszielen.

In der Verbrennungschirurgie des Schifa-Krankenhauses gab es zuletzt Berichten zufolge es nur noch einen Chirurgen und einen Anästhesisten.

Es gibt kaum mehr Pflegepersonal im Krankenhaus, es herrscht ein großer Mangel an Desinfektionsmitteln, Verbandsmaterial, Schmerzmitteln, sterilen Geräten und eigentlich allem, was gerade in verheerenden Kriegszeiten vorhanden sein muss, um wenigstens ein gewisses Maß an medizinischer und schmerzlindernder Hilfe für die Kriegsverletzten zu leisten, die zudem durch die aktuellen Ereignisse massiv traumatisiert sind. Ein Großteil des Personals ist auf der Flucht in den Süden.

Augenzeugen im Schifa-Krankenhaus berichteten der Nachrichtenagentur AFP telefonisch von anhaltendem Beschuss, Luftangriffen und Artilleriefeuer in der Nähe des Krankenhauskomplexes.

Über eine in der Nähe des Krankenhauses installierte AFP-Live-Kamera waren den ganzen Tag über Schüsse und Explosionen zu hören. Nach Angaben des UN-Büros für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten sind auch andere Kliniken betroffen. Ganze 20 der 36 Krankenhäuser im Gazastreifen seien "nicht mehr funktionsfähig".

Im Krankenaus offenbar Tote durch Stromausfall

Die israelische Militärführung bestreitet weiterhin, Angriffe oder eine Einkesselung durchzuführen, sie spricht von einer "präzisen Militäroperation". Mitte dieser Woche wurde das Krankenhaus gestürmt und durchsucht.

Allein im Schifa-Krankenhaus soll es (Stand 14.11.) mehrere Dutzend Tote durch den Zusammenbruch der Stromversorgung gegeben haben, Tendenz offenbar stark steigend.

Die von der israelischen Armee zunächst angebotenen wenigen hundert Liter Treibstoff für die Notstromaggregate werden als völlig unzureichend angesehen und sind zudem offenbar nur unter Lebensgefahr ins Krankenhaus zu bringen.

Größere Mengen werden von Israel abgelehnt, da die Hamas damit Bomben bauen und ihre Fahrzeuge betreiben könnte.

Christian Lindmeier, Sprecher der Weltgesundheitsorganisation (WHO), gab in einem Interview mit dem NDR Mitte dieser Woche an, allein das Schifa-Hospital benötige täglich 17.000 Liter Benzin benötige, um seine wichtige medizinische Arbeit zu leisten.

Die israelische Armee erklärte, sie habe dem Krankenhaus 15 Kanister mit je 20 Litern Benzin (insgesamt 300 Liter) zur Verfügung gestellt.

Nach Angaben von Vertretern des Schifa-Krankenhauses befanden trotz der teilweise Besetzung des Komplexes durch israelische Soldaten noch 600 Patienten im Krankenhaus, davon 100 in kritischem Zustand.

Zwischen 2.000 und 3.000 Zivilisten hätten im Krankenhaus Zuflucht gesucht, während der gesamte umliegende Gazastreifen eine einziges Kriegsgebiet ist. Das Krankenhaus selbst hatte zuletzt rund 700 Mitarbeiter, die trotzdem unter schwierigsten Bedingungen mit minimaler medizinischer Ausstattung ihre Patienten weiter versorgen und nicht allein lassen wollen.

Bei dem Angriff der Hamas und weiterer islamistischer Milizen auf Israel am 7. Oktober wurden nach israelischen Angaben rund 1.200 Menschen getötet und rund 240 verschleppt.

Seit diesem Massaker der Hamas in Israel sind durch den israelischen Angriff auf Gaza nach Angaben der lokalen Gesundheitsbehörden, die auch von der UNO übernommen werden, bisher 13.421 Menschen der palästinensischen Zivilbevölkerung getötet worden, davon 6.220 Kinder, 3.421 Frauen und 600 alte Menschen. Insgesamt seien über 32.310 Menschen verletzt worden.

Das sagen die Genfer Konventionen

Die Angriffe auf Krankenhäuser und medizinische Einrichtungen in Gaza sind rechtlich fragwürdig, auch wenn das aktuell vereinzelt anders dargestellt wird. Das geht auch aus den Zusatzprotokollen (ZP) zu den Genfer Konventionen hervor, heißt es beim Roten Kreuz:

Medizinische Einrichtungen

- Sanitätseinrichtungen, -personal und -transporte Ortsfeste (z. B. Krankenhäuser), mobile (z. B. Feldlazarette) Sanitätseinrichtungen, Sanitätspersonal und Sanitätstransporte sind unter allen Umständen zu schonen (Art. 19, 24, 35 I GA I; Art. 12; 21 ZP I; Art. 9 I; 11 ZP II).

- Dies schließt auch Lazarettschiffe und Sanitätsflugzeuge samt deren Personal ein (Art. 22, 24, 25, 36, 38, 39 GA II; Art. 22-24 ZP I; Art. 11 ZP II).

- Sie sind deutlich mit dem jeweiligen Schutzzeichen, z.B. Rotes Kreuz auf weißem Grund, zu kennzeichnen (Art. 38 GA I).

- Gefangen genommenes Sanitätspersonal des Gegners erhält nicht den Status von Kriegsgefangenen, sondern wird, sofern es nicht zur medizinischen Versorgung der anderen Kriegsgefangenen benötigt wird, so schnell wie möglich freigelassen (Art. 28 I GA I; Art. 33 I GA III).

Unverteidigte Orte

- Wenn sich aber Personen an diesem Ort aufhalten, die durch dieses Abkommen und dieses Protokoll besonders geschützt oder Polizeikräfte zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung zurückgeblieben sind, sind die Voraussetzungen für einen unverteidigten Ort ebenfalls erfüllt (Art. 59 III ZP I).

- Wenn ein Ort letztendlich zu einem unverteidigten Ort ernannt wird, dürfen die Konfliktparteien diesen nicht mehr angreifen (Art. 59 I ZP I).

- Damit die Neutralität eines unverteidigten Ortes gewahrt bleiben kann, sollte dieser mit einem Zeichen kenntlich gemacht werden, welches mit der anderen Partei vereinbart wurde und an Stellen angebracht ist, die deutlich sichtbar sind, wie zum Beispiel an Ortsenden, den Außengrenzen der Zone und an den Hauptstraßen (Art. 60 VI ZP I).

Die israelische Armee sieht das offenbar anders. "Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat erneut 'entsetzliche Zustände' im größten Krankenhaus des von der Terrororganisation Hamas regierten Gazastreifens beklagt", heißt es dazu bei tagesschau.de.

Demnach konnten Patienten unter anderem keine Dialyse mehr erhalten. Frühgeborene seien ohne Brutkästen in Operationssäle verlegt worden. Nach Angaben des UN-Nothilfebüros Ocha starben zwei Babys und zehn weitere Patienten. (…)

Die Frühgeborenen starben demnach aufgrund der Angriffe und der fehlenden Treibstoffversorgung für die Generatoren. Mehrere Dutzend, wahrscheinlich mehr als hundert Menschen starben bei der Erstürmung und der vorangegangenen Blockade und Verweigerung von Treibstoff für die Generatoren. Der Leiter der Klinik, Mohammed Abu Salmija, gab bekannt, dass (insgesamt) 179 Tote in einem Massengrab auf dem Klinikgelände beigesetzt wurden.

Hamas-Zentrale bisher offenbar nicht entdeckt

Die israelische Armee argumentiert, dass sich im Untergrund ein Hauptquartier der Hamas befinde, das es zu zerstören gelte. Daher sei die Hamas allein verantwortlich für das Geschehen.

Dieser Darstellung widerspricht ein leitender Arzt des Krankenhauses in der BBC. Die Präsenz der Hamas im Krankenhaus sei "eine große Lüge", sagte Chefchirurg Marwan Abu Saada. "Wir haben medizinisches Personal, wir haben Patienten und Vertriebene. Sonst nichts.‘"

Bislang wurde die Existenz einer Hamas-Einrichtung im Krankenaus nicht bestätigt. Die internationale Kritik am Vorgehen der israelischen Armee wächst.

In jedem Fall müsste der Internationale Strafgerichtshof längst Ermittlungen gegen die Kriegsparteien aufgenommen haben.

Von Chefankläger Karim Khan ist erstaunlich wenig zu vernehmen. Christopf Safferling merkte dazu im Spiegel kritisch an, der IStGH-Chefankläger sei "erstaunlich ruhig". Dies kritisierte der Professor für Strafrecht und Völkerrecht an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg: "Wenn er sich nicht äußert, entfaltet das Gericht auch keine abschreckende Wirkung."

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