Ist Corbyn eine Gefahr für das jüdische Leben?
Seite 2: Identitäre Standpunkte jetzt auch in der Antisemitismusdebatte
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Peter Ullrich steht mit seinem Gutachten über die Antisemitismusdefinition der International Holocaust Rembrance Alliance selbst stark in der Kritik. In einer Replik geht Ullrich auf einige Konfliktpunkte ein.
Bei der gesamten Auseinandersetzung geht es vereinfachend gesagt um die Frage, ob in den Debatten der letzten Jahre der israelbezogene Antisemitismus zu stark dominiert hat und der klassische Antisemitismus der Rechten zu stark in den Hintergrund getreten ist. Die Frage ist nach dem Anschlag eines neonazistischen Attentäters in Halle umso berechtigter. Daher ist es unverständlich, dass Ullrich vorgeworfen wird, sein Gutachten trotz des Anschlags in Halle veröffentlicht zu haben.
Die Kritiker müssten sich vielmehr fragen lassen, warum sie nach Halle so vehement betonen, es gäbe auch linken Antisemitismus, was ja Ullrich überhaupt nicht bestreitet. Das hört sich so an, wie wenn konservative Politiker nach rechten Anschlägen betonen, bloß die Gewalt von links nicht zu vergessen.
Wenn Ullrich vorgeworfen wird, er würde als Nichtjude Juden paternalistisch erklären, was Antisemitismus ist, muss man sich fragen, ob auch in dieser Diskussion jene identitäre Zerstörung der Vernunft Einzug hält, nach der nur von bestimmten Unterdrückungsformen Betroffene darüber reden dürfen, wie sie unterdrückt werden.
Das heißt als Männer gelabelte Menschen dürften nicht über Feminismus reden, als weiß gelabelte Personen haben zu Rassismus zu schweigen. Es gehörte zu den positiven Seiten der israelsolidarischen Kreise, gegen eine solche Identitätspolitik den Universalismus verteidigt zu haben. Und jetzt soll der ausgerechnet bei der Antisemitismusdiskussion aufgegeben werden?
Es sollte außer Frage stehen, dass Antisemitismus kein Problem der Juden ist, sie sind allerdings davon negativ betroffen. Es sollte auch unumstritten sein, dass sich an der Erforschung und der Bekämpfung alle beteiligen müssen. Dabei sollte auch heftig gestritten werden, aber ohne den beteiligten Diskussionspartnern ihre wissenschaftliche Qualifikation und Befähigung abzusprechen.
Antisemitismusdefinition trägt zur Diskriminierung jüdischer Menschen in Deutschland bei
Auch dazu haben sich manche Kritiker des Gutachtens von Peter Ullrich hinreißen lassen. Zudem ist offensichtlich, dass die diskutierte Antisemitismusdefinition nicht ausreicht, weil sie eben beispielsweise jüdische Kritiker israelischer Regierungspolitik nicht davor schützt, dass sie von Rechten, die sich als die falschen Freunde Israels ausgeben, beschimpft werden.
Doch gravierender ist noch, dass die Antisemitismusdefinition selbst zur Diskriminierung jüdischer Menschen in Deutschland beiträgt. Oder wie soll es man es bezeichnen, wenn Jüdinnen und Juden, nur weil sie in israelkritischen Organisationen mitarbeiten, Räume für Veranstaltungen gekündigt werden wie auch die Konten ihrer Projekte?
Zahlreiche Intellektuelle aus den USA und anderen Ländern haben schon vor einem McCarthyiismus unter dem Deckmantel des Kampfes gegen den Antisemitismus gewarnt.
Micha Brumlik, der immer wieder gegen jede Form von Antisemitismus seine Stimme erhoben hat, schreibt in den Blättern für Deutsche und internationale Politik:
Die neue Form des McCarthyismus ist derzeit noch auf das Themenfeld Israel, BDS und Antisemitismus begrenzt. Und ebendort sollten wir ihm auch entschieden entgegentreten. Nur so können wir verhindern, dass das Beispiel Schule macht. Denn dann geriete die mühsam errungene liberale öffentliche Kultur der Bundesrepublik Deutschland in Gefahr. Damit aber drohte auch in Deutschland der Anfang einer bereits von vielen prognostizierten "illiberalen" Demokratie.
Micha Brumlik, Blätter für Deutsche und Internationale Politik
Übrigens wurde im letzten Jahr auch in der Labour Party über die Antisemitismusdefinition heftig gestritten.
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