Ist Syrien die nächste Station auf dem Masterplan für globale Freiheit und Sicherheit?
Die "Schurkisierung" Syriens ähnelt fatal der bushistischen Irak-Rhetorik
Verschwörertum lässt sich der Bush-Regierung in ihrem globalen Zivilisationsrettungs- und Befreiungsprogramm nun wirklich nicht nachsagen. Bush will expressiv verbis die Freiheit der Völker, notfalls mit Feuer und Schwert. Nach Afghanistan und dem Irak könnte der Notfall noch häufiger eintreten. Während in Bagdad noch geplündert wird, verschärft sich die Rhetorik des Präsidenten wie seines Außenministers Colin Powell gegen den nächsten Freiheitskandidaten. Syrien ist eine weitere Kleinigkeit auf dem segensreichen Zug durch die Gemeinden des Nahen wie Mittleren Osten.
Gewiss, Bush und seine Falken haben nach ihren eigenen Worten einen Krieg gegen Syrien nicht fest geplant. Das galt zuvor ja auch für den Irak, selbst als die US-Truppen schon vollzählig an den Grenzen aufmarschiert waren. Das Kriegsdesign für Syrien existiert aber zumindest bereits als Skizze in der Schublade des Pentagon. Die Staatssekretäre Doug Feith und William Luti sollen im Auftrag von US-Verteidigungsminister Rumsfeld an Kriegsplänen gearbeitet haben.
Diesmal hat Bush höchstselbst aber angeblich sein Veto gegen die dritte Zündstufe im Kampf gegen den Terrorismus und das Weltböse eingelegt, weil es seine Wiederwahl gefährden könnte. Ein dritter Krieg könnte selbst dieser siegreichen Nation zu viel sein. Würde Bush nicht wieder gewählt, besteht das zivilisatorisch unabsehbare Risiko, dass der Antiterrorkampf in fahrlässiger Weise vernachlässigt wird. Syrien scheint diese Entwarnung allerdings nicht sonderlich zu beruhigen. Man fühle sich fatal an die Kriegsrhetorik gegen den Irak erinnert. Und nicht nur in Damaskus weiß jeder: War der Irak ein Spaziergang mit Abenteuerzulage, dürfte Syrien - rein militärisch betrachtet - kaum mehr als eine "Nachwisch-Aktion" sein.
Der "Schurkenstaat" Syrien (Ari Fleischer) avanciert nach dem Sieg über Saddam Hussein zu einem Schrecken, der dem des Irak wenig nachsteht. Die Vorwürfe sind gebetsmühlenartig: Die schrecklichen Massenvernichtungswaffen wandeln wie Feldzeichen der Adlerträger der Armada voran. Der britische Verteidigungsminister Geoffrey Hoon, der ohnehin mit weiteren Präventivkriegen rechnet, menetekelte über den möglichen Exodus irakischer Massenvernichtungsexperten nach Syrien, um sich dem nächsten Diktator anzudienen.
Beweislastumkehr zu Lasten des als Schurken Angeklagten
In der propagandistischen Kriegsrhetorik sind Konjunktiv und Indikativ längst zu einer brisanten Wirklichkeitsform amalgamiert worden. Die Befürchtung des importieren Schreckens könnte wieder schnell zur letztlich unwiderleglichen Behauptung werden - mit der von Amerika eingeführten Beweislastumkehr zu Lasten des Angeklagten. Schon fordert der britische Außenminister Straw, der gestern wie Premier Blair noch nichts vom Krieg gegen Syrien wissen wollte, Damaskus müsse beweisen, dass es kein Schurkenstaat sei.
Aber wenn ein Schurke abstreitet, einer zu sein, ist das nicht bereits der Beweis, dass er einer ist? Und wenn diese kafkaeske Logik immer noch nicht als Kriegsgrund ausreicht, trifft Damaskus der Vorwurf, als "Harbour" für die Staatsschurken des Irak sowie für die Finsterlinge von Hisbollah und Hamas zu dienen. Und schließlich ist Syrien eine Diktatur, in der der Sohn die politische Mission des Vaters fortführt. In westlichen Demokratien undenkbar. Syriens Präsident Baschar al-Assad ist zwar kein klassischer Vorzeigeschurke wie der entthronte Herr von Bagdad. Für ein Pik-As wie im Falle von Saddam Hussein reicht es noch nicht. Aber selbst die Zukunft als Pik-Bube könnte ihm im amerikanischen Demokratieförderungsspiel nur noch ein begrenztes Zeitfenster eröffnen.
Aufgeschoben ist nicht aufgehoben
Ist die Befreiung Syriens Teil eines Masterplans? Bush hat definitiv erklärt, dass er die Vernichtung der Massenvernichtungswaffen und die Bekämpfung des Terrorismus sehr ernst nimmt. Niemand auf der Welt wird diesen offenen Worten nach dem Blitzkrieg gegen Bagdad misstrauen. Die amerikanische Freiheitstour fällt, wie es die Zufälle des Weltgeistes nun einmal wollen, tendenziell mit den langen Wegen des Öls auf die freien Märkte zusammen. Jedes gesellschaftliche System, das Amerikas Zivilisationsinteresse der zumindest mittelbaren Kontrolle des schwarzen Goldes gefährdet, muss grundsätzlich mit Befreiung und präventiven Sicherheitsmaßnahmen rechnen. Noch kostbarer als Öl ist jedoch die Freiheit. Amerika verschenkt sie und ein wenig Dankbarkeit darf man doch erwarten.
Mag also sein, dass Bushs Wiederwahl zum globalen Befreier momentan die größte Sicherheit für die syrische Regierung bildet, nicht bereits in den nächsten Wochen befreit bzw. waffentechnologisch entschärft zu werden. Aber für den Masterplan gilt die schlichte Regel: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Sicherheit gegenüber präventiven Sicherheitsschlägen wird bis auf Weiteres nicht gewährt. Schlechte Zeiten für Diktatoren. Zumindest in den Ölregionen.
Vielleicht haben aber auch jene Berater der US-Regierung Recht mit ihrer Meinung, dass der Irak-Krieg zum Weckalarm für "Schurkenstaaten" wird, sich zukünftig kooperativer gegenüber den USA zu zeigen. Aber wie weit muss die Kooperation reichen, um den Herren der Welt zu gefallen? Oder ist Kooperation schlicht die falsche Vokabel, wenn es um Unterwerfung geht?